*Dame in Rot *

Geschichte zum Thema Begegnung

von  Borek

Gedrückt und müde war der Eindruck des Mannes, der für mich die Telefonzelle frei machte, obwohl seine Gestalt im Trenchcoat, stattlich und sportlich zugleich wirkte.

Als ich wählte, sah ich ihn langsamen Schrittes mit gesenktem Kopf in den Parkanlagen verschwinden. Ich sah diesen Mann im Trench nie wieder und trotzdem beschäftigte sich meine Gedanken in der nächsten Zeit sehr oft –neidvoll- mit ihm.

Anlaß dazu war ein Zettel, den ich in der Telefonzelle auf der Ablage sah. Verstohlen, heimlich nahm ich ihn an mich, wie ein Dieb ließ ich ihn in meiner Jackentasche verschwinden. Ohne meine Brille konnte ich nur, eine ausgewogene, gleichmäßige Handschrift erkennen. Am Rand des Zettels war groß und breit eine Nummer notiert.

Nicht nur Frauen sind neugierig, auch Männer können sich dieses Deliktes nicht freisprechen. Hätte der Mann vor mir einen Geldschein oder sonst erkennbares Wichtiges liegen lassen, sicherlich hätte ich versucht ihn zu erreichen. Aber so, einen beschriebenen Zettel, sicherlich nicht mehr wichtig, sonst hätte er mehr Acht darauf gegeben. Aber trotzdem eine Nachricht, eine Information von einem Fremden. Die Neugier war angestachelt. So wechselte in der Telefonzelle dieser Zettel seinen Besitzer.

Auf dem nächsten Parkplatz an der Autobahn München-Garmisch siegte meine Neugier. Ich hielt an und las den Zettel:

Ich weiß kaum noch, wie Deine Küsse schmecken

Und Dein Gesicht ist klein und mir so fern.

So weit ich auch die Hände nach Dir strecke,

Es ist nicht möglich, Dir ganz nah zu sein.

Mein Herz, ist eine riesengroße Wunde,

Gleich einem kürzlich ausgebrochenen Vulkan.

Wenn immer neue Schrunden sie bedecken,

Merkt man das Brodeln tief im Innern kaum.

Oh, könnt ich diese Liebe mit Dir leben,

Denn viel zu kurz ist diese Frist, die uns noch bleibt.

Laß unsere Herzen miteinander reden

Und hüll mich ein in Deine Zärtlichkeit.

Laß mich von Deiner Stirn die Sorgen streichen,

Hol Dir aus mir die Kraft, die Du jetzt brauchst

Und bist Du wirklich glücklich,

So ist das Glück auch mein, dann bin ichs auch.

Und kann es für uns keine Zukunft geben,

So bleibst Du, was Du immer für mich warst:

Das hellste Licht in meinem ganzen Leben!

Lache mich bitte nicht aus, wenn Du diese Zeilen liest, mein Liebster, aber genauso ist es mir zumute...........

Heute am 24.6.88 um 21 Uhr

Darunter war in einer anderen Handschrift groß vermerkt: 864 7625

Mein Gott, dachte ich, welch ein starkes Gefühl spricht aus diesen wunderbaren Zeilen.

Welch ein Glück für diesen Mann, von einer Frau so geliebt zu werden.

Wenn man schon die Gabe und die Fähigkeit hat sich so auszudrücken, um wie vieles stärker muß das tatsächliche Gefühl im Augenblick des Verschmelzens von Verstand und Seele sein. Welche unsagbare Kraft einer Liebe verbirgt sich hinter diesen Zeilen!

Auf der Fahrt zu meinen Kunden kreisten immer wieder meine Gedanken zu dieser Schreiberin und neidvoll dachte ich an den Mann im Trenchcoat.

Warum hat er diese wichtigen Zeilen liegen lassen?

Warum war er so bedrückt? Das Glück müßte ihm doch aus dem Gesicht springen!

Auch wenn sich beide nicht oft sehen – und dies ließ sich ja aus dem Zettel ersehen -- so muß er doch glücklich sein, so geliebt zu werden.

Oder welches Drama verbirgt sich?

“Oh, könnte ich diese Liebe mit Dir leben,

denn viel zu kurz ist die Frist die uns noch bleibt.”

Ist diese Frau verheiratet, ist sie krank?

Gedanken, viel zu viele Gedanken um einen Zettel, der mich überhaupt nichts angeht.

Und trotzdem: diese Schrift, diese Aussage, hatte sich ungewollt in meine Gedanken gedrängt.

Warum handelt dieser Mann nicht, weiß er denn nicht, wie rar, wie selten und kostbar ein sich hingebendes Herz ist?

Welchen Hunger Lieblosigkeit auslösen kann, welche Durstqualen entstehen, eingefangen zu sein in der Hierarchie der Alltäglichkeit, welche Sehnsucht besteht auszubrechen, um zu versinken im eigenen Echo des Du’s, das sich im hellsten Licht des ganzen Lebens auflöst?

Es war 21 Uhr 15, vorbei Büroarbeit und Krimi, die Küche war aufgeräumt, Beethovens ländliche Symphonie führte mich wieder zu den vorausgegangenen Träumen zurück.

864 7625 – ob ich anrufen soll, es ist bestimmt ihre Telefonnummer, obwohl – die hat man doch im Kopf!

Schon waren die Tasten in Bewegung: 864 –nein –

Was geht dich dies an, Bastian laß es.

Klick, der Wählvorgang war unterbrochen – aber interessant wäre es ja doch – sicherlich meldet sich ein Mann – 7625 –

Und schon kam das Freizeichen: -- tut—tut—tut...,

bestimmt ist es eine Geschäftsnummer --tut—tut—tut...

“Müller” meldet sich eine dunkle warme Stimme am Telefon,

“hallo, wer ist da?”

Ich war verdattert! Von dieser Stimme ging ebenso eine Faszination aus, wie von der Schrift, klar, aber mit der Wärme einer reifen Frau.

“Hallo, so melden sie sich doch!”

Ich legte auf.

Feigling, nun hast du deine Neugier befriedigt, hättest wenigsten:

“Entschuldigung, falsch verbunden” sagen können.

Zum x-ten mal las ich die Zeilen und brachte sie mit der Stimme in Verbindung: “Hallo, wer ist da?”

21 Uhr 30, mein Finger zitterte: 864 7625

“Müller”

“Hier ist Burger, Frau Müller, könnte ich bitte ihren Mann sprechen?”,

sagte eine mir völlig fremde Stimme in mein Telefon.

Verdutztes Schweigen auf der anderen Telefonseite.

“Sie müssen falsch gewählt haben, hier gibt es keinen Herrn Müller.”

“Oh, ich bitte vielmals um Entschuldigung.”

Na wenigstens hast du dich jetzt entschuldigt, dachte ich und war von einer Freude erfüllt, die mich jubeln ließ: es gibt keinen Herrn Müller, Hurra, es gibt keinen.

Bastian, du spinnst, was soll das, dränge dich nicht in andere Angelegenheiten! –

Wer drängt sich denn hier in andere Angelegenheiten? Sagte meine innere Stimme zu mir. Mir hat man den Zettel aufgedrängt, der Mann im Trench ist schuld und mit so einer Liebeserklärung geht man nicht einfach um wie mit einem Schmierzettel! Er ist schuld –nicht ich!

21 Uhr 45, 864 7625, der Finger zitterte nicht mehr.

“Müller”

“Frau Müller, hier ist Burger”.

“Haben sie nicht eben schon einmal angerufen und meinen Mann verlangt?”

“Ja, Frau Müller, ich bitte um Entschuldigung, aber ich wollte sicher gehen, ob sie allein sind.”

“Woraus schließen sie dies? Ich kann doch auch, wenn es keinen Herrn Müller gibt, trotzdem nicht allein sein.”

“Ja, aber ich glaube es nicht, da ich etwas gefunden habe mit ihrer Telefonnummer, es ist zu kostbar um es wegzuwerfen und ich stelle mir vor, daß dieses Stückchen Papier für seinen Besitzer einen unersetzbaren Wert hat und aus dem Text schließe ich, daß sie allein leben.”

“Sie machen es spannend und mich neugierig. Ich habe nichts verloren, zumindest vermisse ich nichts.”

Meine ängstliche Unsicherheit war gewichen, die Stimme hüllte mich in eine Wolke Vertrautheit ein, als ob ich ihr schon immer gelauscht hätte.

“Frau Müller, ich habe heute in einer Telefonzelle telefoniert.”

“Das tun täglich Millionen von Menschen, was ist da schon dabei?”

“Ja stimmt, aber ich habe eine Nachricht von ihnen gefunden.”

“Junger Mann, ihre Phantasie geht mit ihnen durch, ich pflege keine Botschaften allgemein in Telefonzellen zu hinterlegen.”

“Nein, das wollte ich auch nicht sagen, aber ein großer, stattlicher Mann im Trenchcoat muß dieses Gedicht von ihnen liegen gelassen haben.”

“Haben sie getrunken oder was bilden sie sich ein, was habe ich mit einem Mann im Trenchcoat zu tun und dann noch mit Gedichten, sie sind ein unverschämter Nachtschnorrer und wenn sie mich nochmals anrufen, melde ich dies der Polizei!”

“ Oh könnt ich diese Liebe mir dir leben,

denn viel zu kurz ist diese Frist, die uns noch bleibt,

laß unsere Herzen miteinander reden

und hüll mich ein in deine Zärtlichkeit.”

Ein Schluchzen kam von der anderen Seite des Telefons, Stille und wieder Schluchzen. Eine verängstigte Stimme fragte ganz leise:

“Woher haben sie diese Zeilen?”

“Die habe ich, wie ich ihnen schon sagte, in einer Telefonzelle gefunden, vermutlich hat sie der Mann vor mir liegen lassen.”

“Klaus”

“Ja, Klaus”

“Woher kennen sie Klaus?”

“Ich kenne ihn nicht, ich sagte nur so, Klaus, weil ich ihn beneide.”

“Sie brauchen ihn nicht zu beneiden.”

“Doch, wer so geliebt wird muß doch vom Glück verwöhnt werden.”

Wieder ein Schluchzen.

“Bitte entschuldigen sie.”

“Kann ich Ihnen helfen?”

“Nein, nein – oder doch, ist ihnen ihre Fundsache sehr wichtig, oder würden sie diese an mich zurückgeben?”

“Ja, selbstverständlich”, sagte ich, “darf ich sie anläßlich der Übergabe zum Essen einladen?”

Ein langes Zögern.

“Nun da sie schon einmal Schicksal spielen, so sollten sie auch ein Essen mit mir verdient haben.

Ich lade sie nach Aiing zum Abendessen ein, am Sonntag um 19 Uhr 3o vor dem Brauereigasthof.

Sie erkennen mich am schwarzen Haar und dem roten Chanel Kostüm. Kommen sie?”

“Ja, sehr gern.”

“Übrigens zum besseren Verständnis von Klaus, er war sehr erregt, es war unser letztes Telefonat und danke für ihren Anruf, gute Nacht.”

Ich war aufgewühlt, freudig erregt über den Schmerz eines anderen.

Hatte er überhaupt so eine Frau verdient? Wer war er überhaupt?

Die Nacht war kurz, die Träume herrlich, der Morgen leicht seelisch verkatert.

Es war Donnerstag.

14 Uhr 30 hatte ich einen Termin in Freiburg.

Auf der Autobahn zwischen Baden Baden und Freiburg überholte ich eine französische Panzerkolonne, die ins Manöver fuhr.

Ich sah nur noch einen grauen Koloß sich vor mir drehen.

Als ich aufwachte, war alles weiß in weiß gehüllt und es war Montag.

Ich hatte Glück im Unglück gehabt, die Soldaten hatten mich, bevor der Wagen explodierte, noch herausgezogen. Der Wagen sei total ausgebrannt, aber dies regle schon die Versicherung, diese käme für den gesamten Schaden auf. Eine Kette war gerissen und hatte den Panzer auf die Überholspur gedreht. Noch eine Woche Krankenhausaufenthalt und ich könnte bestimmt wieder nach Hause. Ob ich Verwandte oder Freunde hätte?

Nein.

“Ist wirklich alles verbrannt, haben sie keinen Zettel im Handschuhfach gefunden?” fragte ich.

“Nein, nein alles ist verbrannt.”

“Und sie glauben, sie können allen Schaden ersetzen?”

“Ja, ja da machen sie sich keine Sorge, der Fall ist eindeutig klar, eine reine Routineangelegenheit.”

Ich habe ein schlechtes Zahlengedächtnis.

Der Name Müller steht 1365 mal im Telefonbuch von München.

Ich habe alle im Laufe der Zeit angerufen.

Wochenlang bin ich sonntags nach Aiing gefahren und habe Ausschau gehalten nach einer

“Dame in Rot mit schwarzem Haar.”

V E R G E B L I C H..............


Anmerkung von Borek:

Anmerkung:

Diese Geschichte ist, wie all meine Geschichten, frei erfunden.

Das Gedicht ist nicht von mir verfaßt, es ist mein Eigentum, aber dies ist wieder eine andere Geschichte. Sie berührt mich noch immer und ich möchte sie nicht vergessen.

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Kommentare zu diesem Text

Nicola (80)
(21.01.08)
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 Borek meinte dazu am 21.01.08:
Liebe Nicola,
ich freue mich, daß ich Dich mit meiner Geschichte spannungsvoll einfangen konnte. Ja, der Phantasien sind keine Grenzen gesetzt.
Danke für Deine Meinung und den Klick. Liebe Grüße Herbert
Amada (38)
(28.01.08)
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 Borek antwortete darauf am 31.01.08:
Ja, Amada, einige Geheimnisse müssen noch für neue Geschichten übrig bleiben.Danke für Deinen Klick und ganz liebe Grüße aus München. Dein Freund Herbert
Mahina (70)
(09.02.08)
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Luzikatze (45)
(12.02.08)
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 Borek schrieb daraufhin am 13.02.08:
Deiner Meinung zu diesem Gedicht, kann ich nur zustimmen.
Der Ausgang der Geschichte?.......Schade.....
Aber oft erkennt man wichtige Dinge,....zu spät...!!!
Danke für Deine Meinung. Liebe Grüße in die Nacht Herbert
Googlehupf (55)
(04.06.08)
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