Das Haus, in dem ich wohne

Geschichte zum Thema Nachbarschaft

von  Ganna

Das Haus, in dem ich wohne, wurde erst vor einigen Jahren renoviert. Danach stand es leer, weil im Dorf das Gerücht umging, es sei feucht und stinke. Die Ersten, die einzogen, waren ein junges Pärchen aus Polen und wir, eine Deutsche mit Kind. Wir bekamen die schönsten Wohnungen in der zweiten und dritten Etage, sonnig und still, mehrere Zimmer, Küche, Bad mit Badewanne und eine Toilette extra, was ich sehr schätze. In allen Räumen, sogar im Flur, gibt es Fenster.
    Von den Zimmern aus schauen wir in winzige verwilderte Höfe, die sich zwischen leerstehenden Häuschen, kleinen Garagen und Scheunen befinden. Ihre schadhaften Dächer krümmen sich unter der Last der Ziegel und manchmal bricht eins mit Getöse zusammen.
    Im ersten Winter froren wir, weil unter und neben uns niemand wohnte, doch das ist inzwischen anders. Nach und nach wurden alle Wohnungen bezogen und wir haben es warm, so dass wir auch im Januar, wenn es am kältesten ist, kaum zu heizen brauchen.
    Das ist angenehm, doch unsere Nachbarn sind seltsame Menschen. Sie leben alle in großen Familienverbänden mit drei, vier oder fünf Kindern, dazu noch eine Oma oder Tante, die weitere Kinder hat. Mit dem Nachwuchs wird in den derbsten Ausdrücken kommuniziert, geschrieen und gekreischt. Öfter hört es sich auch an, als würden dort Möbelstücke gegen die Wand fliegen und zerbersten. Manchmal weinen die Kinder, dann tun sie uns leid. Meistens jedoch ist die aus ihren Fenstern und Wohnungen dringende Musik derartig laut, dass sie sämtliche anderen Geräusche übertönt.
    Alle Nachbarn haben wenigstens einen Hund, manche auch zwei. Die Hunde sind groß, brauchen nicht an der Leine zu gehen, der Kampfhund aus der ersten Etage ausgenommen, und pinkeln Pfützen auf die Treppe, die nie weggewischt werden.
    Die einzige, die im Haus die Treppe macht, bin ich und der Gedanke, dass ich so anders bin als meine unmittelbaren Mitmenschen, macht mich etwas verlegen. Doch die Treppe, die genau vor meiner Tür liegt, nicht zu säubern, so dass auch sie sich immer mehr mit einem Gemisch aus weggeworfenem Müll, Zigarettenkippen, Hundehaaren und Exkrementen bedeckt, wäre mir peinlich, weil ich öfter Besucher empfange, die aus anderen Wohngegenden anreisen.
    Tatsächlich nehmen es immer wieder Leute auf sich, sich durch die Müllberge zu schlängeln, die meine Nachbarn vor ihren Türen stapeln, um bis zu mir durchzudringen. Nicht, dass es hier keine Müllabfuhr gäbe, nein nein, pünktlich zweimal die Woche wird der fast leere Container geleert. Doch die Nachbarn bringen ihren Müll nur sporadisch nach unten, immer dann, wenn er sozusagen reif ist, wenn eine stinkende Brühe die Plastiksäcke bereits verlässt, um schon immer voran zu gehen. Natürlich kann dann der Container den plötzlichen Ansturm der Säcke nicht aufnehmen, so dass sie auf großen Haufen im Keller liegen. Mitunter versagt der Mut oder die Gutmütigkeit der Müllmänner und sie ziehen unverrichteter Dinge wieder ab, so dass das Haus eher einer Deponie gleicht, was vor allem in der heißen Jahreszeit zu gewissen Unannehmlichkeiten führt.
    Alle Familien des Hauses besitzen wenigstens ein Auto. Inzwischen haben manche auch zwei, weil das erste fahruntauglich wurde und auch so aussieht. Doch auch der Zweitwagen bleibt nicht lange von Beulen und herausgeschlagenen Scheinwerfern verschont, so dass er alsbald schon zu diesem Haus gehörig erkannt wird. Das bringt so manchen Vorteil mit sich, denn einen Einbruchsversuch in einem Gefährt ohne Tankverschluss und Tür ist wahrscheinlich nicht zu befürchten.
    Der Einbruchsversuch, dem mein Auto glücklicherweise widerstand, machte mich gleich einsichtig und ich fetzte sofort den CD-Player heraus, entfernte sämtliche Werkzeuge und alle losen Teile, um es dann mit Apfelsinenschalen, gebrauchten Taschentüchern und leeren Flaschen zu dekorieren. Natürlich putze ich es seit dem auch nicht mehr. Diese Anpassung erfüllt voll ihren Zweck. 
    Man kommt letztlich nicht umhin, sich anzupassen, was soll man machen. Das junge polnische Pärchen hat nun auch schon ein Kind, einen Hund und einen Zweitwagen. Und ich bemerke bei mir zunehmend das Bedürfnis, einen Hund anzuschaffen, einen ganz ganz großen!


Anmerkung von Ganna:

Angeregt durch die Nachbarschaftsgeschichten von Leilahlilienruh, entstand dieser Text.

Doch natürlich, ich habe übertrieben.

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Kommentare zu diesem Text


 souldeep (14.02.08)
Liebe Ganna,
diese geschichte hab ich auf deiner HP schon gelesen...
sie plätschert im herrlichen kaffe-plausch-stil daher und
hat doch ein paar happen drin, die sich nicht einfach so
schlucken lassen.

realität?
ja. wenn nicht deine, dann die anderer...
sicher für einige menschen - und das hab ich auch so
ähnlich schon gesehen und gehört.

deine schilderungen sind wie von mittendrin im geschehen
und so holst du mich als leserin auch hinein.

herzliche grüsse dir,
Kirsten

 Ganna meinte dazu am 14.02.08:
Ja, es ist mitten aus dem Leben gegriffen,
eine von vielen Realitaeten eben.

Ich danke Dir, für Deinen Kommentar und grüsse herzlich zurück
Ganna
NachtSchwärmer (57)
(18.02.08)
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 Ganna antwortete darauf am 19.02.08:
Liebe Ute,
ich glaube, Dein Kommentar sollte unter meinem Text "Wasser" stehen.

In Deinem Gedicht sind alle vier Elemente vereint und lösen sich letztlich auf, das gefällt mir gut.

liebe Grüsse
Ganna
Francisco_Wilando (54)
(19.02.08)
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 Ganna schrieb daraufhin am 20.02.08:
Nun, das mit dem Anpassen war nicht so ganz ernst gemeint, ich möchte damit sagen, dass es keinen Sinn macht, sich über die Verhältnisse aufzuregen oder dagegen ankämpfen zu wollen. Schliesslich bin ich in diesem Haus der "Fremdkörper" und gehöre eigentlich nicht hinein. Ich versuche es, mit Humor zu sehen.
Und ich versuche immer, mit den Leuten zu reden, einen guten Kontakt zu haben, verteile manchmal kleine Geschenke an die Kinder usw. Das scheint mir das Einzige zu sein, das ich tun kann.

LG Ganna

 Jorge (09.02.13)
Es war amüsant das Haus zu besuchen.
Ich habe mir hinterher wie im Zwang die Hände gewaschen und kräftig gelüftet. Warum ich gelüftet habe, weiss ich gar nicht zu sagen )
LG Jorge

 Ganna äußerte darauf am 09.02.13:
...Dank Deines Kommentares habe ich noch einmal meinen Text gelesen und herzlich gelacht über dieses Haus...

...ich bin inzwischen umgezogen...

LG Ganna
Zweifler (62)
(25.01.14)
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 Ganna ergänzte dazu am 26.01.14:
...das freut mich...

LG Ganna

 Dieter_Rotmund (09.06.20)
Ein wenig polenfeindlich, aber "...die Hölle, das sind die anderen" (Sartre).

 Ganna meinte dazu am 13.08.20:
...Dein Kommentar ist unpassend...

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 13.08.20:
Nun ja, die Polen kommen in diesem Text ziemlich schlecht weg, das wirst Du kaum leugnen können.
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