Zwischen Eifel und Fernost
Stammten die Kloses (Hausnummer 10) aus der nahgelegenen Eifel, so war die Herkunft von Hyuna, Yoona, Jonguk und Nabi Choi (Hausnummer 14) etwas fernöstlicher, nämlich Korea.
Familie Choi wohnte schon in der Reihe, bevor wir Mitte der 80er Jahre dazu stießen. Frau Yoona Choi und ihr Mann Jonguk, sie klein und spindeldürr, er ebenso klein, aber gedrungen, betrieben in der Stadt ein koreanisches Restaurant, das – so hörten wir von anderen Nachbarn – sehr gut ging. Unsere Koreaner waren dort voll eingespannt, das konnten wir sehr rasch feststellen, denn sie waren nur selten zu Hause. Wenn sich unsere Wege kreuzten, dann machten sie sich noch kleiner und huschten möglichst eilig an uns vorbei. Ein kurzes Lächeln oder halblautes Guten Tag war alles, was wir ab bekamen.
Umso mehr Kontakt bekamen wir mit den Kindern. Tochter Hyuna war, als wir einzogen, in der achten Klasse, ihr jüngerer Bruder Nabi gerade in die Grundschule gekommen. Beide sprachen akzentfrei Deutsch, ganz im Gegensatz zu ihren Eltern, die man mit ihren wenigen Satzfragmenten kaum verstand.
Das Mädchen war der Typ intelligente und frühreife Musterschülerin, prädestiniert einmal Ärztin oder zumindest Studienrätin zu werden. Sie war hoch aufgeschossen und dünn und trug zu ihrer simplen Pferdeschwanz-Frisur die passende Streberinnne-Brille. Nabi, deutlich pummeliger, hatte es nicht so mit Schule. Hyuna kam auch gut klar ohne ihre Eltern. Sie übernahm sogar weitestgehend der Mutterrolle für den etwas chaotischen Bruder.
Solange Nabi seiner Schwester gehorchte, schien diese Art des Zusammenlebens – zumindest nach außen hin – zu funktionieren. Hyuna schaffte locker das Gymnasium, Nabi aber hatte mehr und mehr Probleme auf der Hauptschule. Das hörte man heraus in lautstarken Streitereien, die sich oft samstags oder sonntags morgens ergaben, bevor die Alten ins Restaurant losfuhren. Es ging ganz schön zur Sache, und zwar auf Koreanisch, nur ab und zu gespickt mit deutschen Kraftausdrücken, die dann aus dem Munde Nabis kamen.
Nabi pubertierte und rebellierte. Hyuna keifte herum. Immer öfter wurden wir Zeuge ihrer vergeblichen Erziehungsversuche. Hierbei waren die Sprachanteile eindeutig mehr deutsch und das sehr vulgär. Schön war das ganze Schauspiel nicht. Auch asiatische Kinder brauchen ihre Eltern.
Nabi hatte auch schlechten Umgang. Immer häufiger traf er sich mit zwielichtigen Jungens aus seiner Klasse. Und da er quasi sturmfreie Bude hatte, war unser Weg immer häufiger zugeparkt mit … zuerst Mofas und Mopeds, dann Vespa-Rollern und Motorrädern.
Jugendtreff Choi, nannte ich diesen Hotspot ironisch. Ich hätte auch Nürburg-Ring Nordschleife sagen können, wenn dann sechs, sieben dieser frisierten Zweiräder vor unserer Tür erst getunt und dann gestartet wurden.
Vorher hatten die Jungens im Haus schon ihren Spaß gehabt: Musikanlage und Fernseher überdröhnten sich wechselseitig.
Nein, das war uns definitiv zu laut. Und so passte ich die Erziehungsberechtigten ein ums andere Mal ab, um ihnen meine Empörung über Nabis Umtriebe sehr deutlich mitzuteilen.
War es eine drohende Eskalation in dieser verfahrenen Lage, war es die Abwesenheit der Schwester, die zum Studium ausgezogen war, hatten die Eltern sich Aushilfen im Restaurant besorgt? Keine Ahnung. Mit uns tauschte man sich da nicht aus. Jedenfalls waren sie plötzlich viel mehr präsent. Nabi begann eine Lehre in einem Asia-Shop, irgendein Import-Export-Unternehmen, Schwerpunkt Elektronik. Und endlich kam so etwas wie Ordnung zurück ins Nachbarhaus .
Wie sich das bemerkbar machte? Wir rochen es, denn plötzlich zogen sehr asiatische Gerüche durch unser Küchenfenster herein. Immer häufiger merkten wir so, dass die alten Chois zu Hause waren, mittags wie abends. Meist roch es ausgesprochen lecker. Aber wenn sie ihren Fisch mit knollenweise Knoblauch anbrieten, dann war es selbst meiner Frau zu penetrant – und die liebt Knoblauch!
Mit dem Rückzug aus dem Restaurant begannen die Chois nun aber auch, bewusster ihr altes koreanisches Leben zu leben. Sie legten im Garten einen chinesisch dekorierten Teich an für Goldfische. Sie öffneten immer alle Fenster und Türen, um die bösen Geister aus dem Haus zu lassen. Leider begannen sie den Tag dann extrem früh, barfuß auf dem Rasen mit Tai chi. Herr Choi stieß dabei die Atemluft mit einem befreienden Stoßgeräusch aus, das laut genug war, die letzten schwerhörigen Geister zu verscheuchen – er zielte wohl auf jene, die bei uns noch Zuflucht gesucht hatten. Kurz: Wir waren wieder etwas genervt.
Für Entspannung sorgte dann die Idee unserer Nachbarn, im Zuge ihres neuen Gesundheitsbewusstseins mehr Fahrrad zu fahren. Sie baten mich, für sie Fahrräder zu besorgen. Frau Choi wollte unbedingt ein Klapprad, Herr Choi ein Mountainbike. Da ich schon in früheren Jahren immer Hyunas Mädchenrad gewartet hatte – ihr Vater konnte noch nicht einmal einen Reifen aufpumpen – knüpften wir so wieder an freundlichere Zeiten an.
Schon damals hatten wir kleinere Fahrradreparaturen nicht mit Geld vergolten – ich bat anstatt dessen immer um etwas Koreanisches zu essen, aber „ohne Konzession an den deutschen Geschmack!“, wie ich mutig dazu sagte. Da kam meist ein ganzes Abendessen als Honorar…
So auch jetzt wieder. Und es gab dann sogar Tage, da bekamen wir von unseren Nachbarn in Nr.14 die exotischen Hauptspeisen und von Kloses in Nr. 10 den alles versüßenden Nachtisch.
Was soll man dazu sagen? Tja, so geht Nachbarschaft in Reihenhäusern! (manchmal)