21. Ein Nordmann und ein Pflaumenkopf – Die Begegnung [21]
Schundroman zum Thema Zeitreise
von DIE7
Die Tür des Nebenraums quietschte in den Angeln. Fynn Lander strebte dem großen Rolltor zu.
„Fynn!“ Er fuhr herum. „Fynn Lander!“ Das Flüstern kam vom Nebenraum her, dessen Tür noch einen Spaltbreit offen stand. „Hierher, Fynn!“ Die Stimme kam ihm bekannt vor. Lander folgte ihr zurück in den Nebenraum und erblickte – den „Chef“ seiner Passagiere, jener wunderlichen Gestalten, die seine „Sinterklaas“ just in dem Augenblick verlassen hatten, als die Brigg unter seinen Füßen mit Mann und Maus zu Staub zerfiel.
„Der Tschakalacka …“, Fynn Lander grinste und ließ sich auf einen Stuhl fallen, um dem Fremdling in die dunklen Augen blicken zu können, „Ich trau mich gar nicht zu fragen, wie du hierher gekommen bist. Womöglich habt ihr auch meine „Sinterklaas“ auf dem Gewissen‚ meine Männer. ’Wir sind dann mal wäch, näch.’ war das letzte, was ich von euch mitgekriegt habe – dann wart ihr weg, von Bord gehüpft. Sind die anderen sechs auch hier, Tschaka…?“
„Fynn, “ unterbrach ihn der zierliche Fremde, breitete seine durchscheinenden Ärmchen aus und hob die Schultern, „wie sonst hätten wir dich hierher bekommen sollen? Und die anderen,“ seine schmalen Lippen lächelten milde, „ob einer oder sieben, das macht bei mir keinen Unterschied. Aber - wir brauchen dich hier, und vor allem: Jetzt!“
„Jetzt!“ Landers Stimme wurde hart, „Jetzt! – Ha!“ Zornig funkelte er den Fremden an, „Wo?!“
„Ja, hier natürlich, Flynn.
“Wo!“ Fynn fragte nicht. „Wo bin ich hier? Die ganze Welt hat sich verändert, ich weiß nicht, wo ich bin! Ich weiß gar nichts mehr! Ich weiß nur, dass ich hier vor einem milchweißen Pflaumenkopf sitze und dass da draußen,“ er wies mit dem Daumen über die Schulter zum Fenster, „ dass da draußen auch nichts ist, wie es sein soll. Das einzig Reale, das ich gesehen habe, war ein Jätti, ein Jätti!, der drei Männer in der Luft zerrissen hat, und“, Landers Nase näherte sich um Haaresbreite der kleinen Knollennase des Fremden, „dass das das einzig mir Vertraute und Reale da draußen war, dich eingeschlossen, lässt mich wahrlich daran zweifeln, ob ich überhaupt noch bei Verstand bin, du Held!“
Mit tiefem Seufzer sackte Lander zurück in den Stuhl und blickte den Milchling fragend an.
Die großen, runden Augen im eine Spur zu groß geratenen Pflaumenschädel glänzten, eine schwarze Pupille inmitten auberginefarbener Iris. Das, was Lander für einen schmalen, röhrenartigen Hut gehalten hatte, schien zum Kopf zu gehören. Der Goldring am oberen Ende, an dessen auffälliger Breite Fynn den Anführer der Gäste ausgemacht hatte, begann nun, zu schimmern, und sein warmes Leuchten flutete den Raum.
„Fynn,“ das Flüstern wurde bestimmter, „ich weiß, dass dir schwer fällt, zu verstehen, was geschehen ist, aber – diese Welt hier ist schon dieselbe, die du vor ein paar Monaten verlassen hast, um mit den Inseln im Pazifik Handel zu treiben, aber …“ er hielt inne, legte sein weißes Händchen auf die Pranke Landers und schubberte mit dem anderen an seinem Knollennäschen, „man schreibt nicht mehr das Jahr 1877, Fynn.“
Pause.
„Hm?“ Fynn Landers hielt den Atem an.
„Du befindest dich jetzt im Jesterfield des 21. Jahrhunderts. Die westliche Welt ist elektrifiziert, es gibt Glühlampen, mit verfeinertem Petroleum betriebene Automobile, Flugzeuge, das sind Maschinen, mit denen man über weiter Entfernungen durch die Luft …“
„Wa…?“ Lander spürte, wie seine Kräfte ihn verließen, ihm schwindelte, der Raum begann, sich um ihn zu drehen, immer schneller; da legte sich die Hand des Milchlings kühlend auf seine Stirn, und allmählich kamen seine Sinne zur Ruhe. „Wie …?“
„Ach, Fynn, das ist eigentlich ganz einfach.“ Der Milchling schnäuzte sich in ein rot kariertes Taschentuch. „Du erinnerst dich an den zähen Nebel, nicht wahr? Das ist auf diesem Planeten mit seiner hohen Luftfeuchte eine typische Begleiterscheinung, wenn wir lokale Zeitreisen durchführen, Fynn. Die Vehikel dazu wählen wir nach Belieben, eigentlich brauchen wir sie nur, wenn wir etwas transportieren möchten, dass von diesem Planeten stammt.“
Der Ausdruck auf Fynns Gesicht schien den Milchling zu amüsieren, jedenfalls reichte dessen Grinsen jetzt bis zu den winzigen, abstehenden Öhrchen. „Auf jeden Fall begeben wir uns über die Dekohärenzgrenze hinweg zurück ins quantenmechanische String-Kontinuum – geben den gewünschten Zeitpunkt und Ort ein, aktivieren den Autopiloten, und den Rest, den Rest erledigt der Computer.“
„Komm-pjuh-ta.“ Fynn Landers war ein ganzer Kerl. Ein Mann wie ein Baum. Smart, klug, belesen und lebenserfahren. Doch all das sah man ihm jetzt nicht an, im Gegenteil.
„Ich seh’ schon, Fynn, das müssen wir anders regeln,“ der Milchling trat näher an Lander heran, der schwer wie ein Sack auf seinem Stuhl saß und ihn anstierte. Dann hob er beide Ärmchen in die Höhe, schüttelte die Hände und ließ die dünnen Finger tanzen, „schließ jetzt bitte die Augen! Und, Käpt’n, mein Käpt’n Fynn, hab’ keine Angst, das wird nicht schlimmer werden als bei unserem Handschlag, mit dem ich dich Erdling schon einmal gegen die fatalen Nebenwirkungen des Quantensprungs durch ein String-Kontinuum immunisierte, denen dein Schiff und deine Leute leider zum Opfer fallen mussten. Doch sei nicht betrübt, für sie ist gut gesorgt.“ Damit legte der Milchling seine Hände auf Landers Stirn.
Lander sah, wie sich das Leuchten des Goldrings zu gleißendem Strahlen wandelte. Geblendet schloss er die Augen, meinte zu spüren, dass Nebel aufkam und den Raum anfüllte, bemerkte die vertraute Kühle, wie die winzigen Wassertröpfchen sie mit sich bringen, fühlte, wie sie die unters Hemd und seinen Rücken empor kroch. Dann stürmte ein Blitzlichtgewitter an Bildern auf ihn ein, Rauschen flutete seine Ohren – und sein Hirn wurde mit Informationen überschwemmt. Er sah Finnland sich von Russland unabhängig erklären, sah Krieg und Verwüstung, unvorstellbaren Schrecken und Grausamkeit wie einen Heuschreckenschwarm über Europa herfallen, sah Frieden, sah, wie die Welt sich ein anderes Gesicht verlieh und all die Erfindungen, die zu begreifen sein Verstand sich geweigert hatte. Das war zuviel auf einmal. Lander sackte in sich zusammen und rutschte vom Stuhl. Als er aus seiner Ohnmacht erwachte, blickte er geradewegs in die dunklen Augen des Milchlings, die keine ihm vertraute menschliche Regung erkennen ließen, doch fühlte er sich geborgen und ausgeruht. Der gleißende Ring schimmerte wieder unschuldig golden.
„Na? Alles klar, Käpt’n Lander?“
„Schon“, Lander rappelt sich auf, nestelte den Rum aus seinem Bündel und nahm einen Schluck, dann noch einen, wischte mit dem Ärmel des wollenen Troyers über den Mund – und genehmigte sich einen weiteren. Warm rann der Rum die Kehle hinab und vertrieb die Kühle des Nebels, den Lander zu spüren geglaubt hatte.
„Fynn!“ Er fuhr herum. „Fynn Lander!“ Das Flüstern kam vom Nebenraum her, dessen Tür noch einen Spaltbreit offen stand. „Hierher, Fynn!“ Die Stimme kam ihm bekannt vor. Lander folgte ihr zurück in den Nebenraum und erblickte – den „Chef“ seiner Passagiere, jener wunderlichen Gestalten, die seine „Sinterklaas“ just in dem Augenblick verlassen hatten, als die Brigg unter seinen Füßen mit Mann und Maus zu Staub zerfiel.
„Der Tschakalacka …“, Fynn Lander grinste und ließ sich auf einen Stuhl fallen, um dem Fremdling in die dunklen Augen blicken zu können, „Ich trau mich gar nicht zu fragen, wie du hierher gekommen bist. Womöglich habt ihr auch meine „Sinterklaas“ auf dem Gewissen‚ meine Männer. ’Wir sind dann mal wäch, näch.’ war das letzte, was ich von euch mitgekriegt habe – dann wart ihr weg, von Bord gehüpft. Sind die anderen sechs auch hier, Tschaka…?“
„Fynn, “ unterbrach ihn der zierliche Fremde, breitete seine durchscheinenden Ärmchen aus und hob die Schultern, „wie sonst hätten wir dich hierher bekommen sollen? Und die anderen,“ seine schmalen Lippen lächelten milde, „ob einer oder sieben, das macht bei mir keinen Unterschied. Aber - wir brauchen dich hier, und vor allem: Jetzt!“
„Jetzt!“ Landers Stimme wurde hart, „Jetzt! – Ha!“ Zornig funkelte er den Fremden an, „Wo?!“
„Ja, hier natürlich, Flynn.
“Wo!“ Fynn fragte nicht. „Wo bin ich hier? Die ganze Welt hat sich verändert, ich weiß nicht, wo ich bin! Ich weiß gar nichts mehr! Ich weiß nur, dass ich hier vor einem milchweißen Pflaumenkopf sitze und dass da draußen,“ er wies mit dem Daumen über die Schulter zum Fenster, „ dass da draußen auch nichts ist, wie es sein soll. Das einzig Reale, das ich gesehen habe, war ein Jätti, ein Jätti!, der drei Männer in der Luft zerrissen hat, und“, Landers Nase näherte sich um Haaresbreite der kleinen Knollennase des Fremden, „dass das das einzig mir Vertraute und Reale da draußen war, dich eingeschlossen, lässt mich wahrlich daran zweifeln, ob ich überhaupt noch bei Verstand bin, du Held!“
Mit tiefem Seufzer sackte Lander zurück in den Stuhl und blickte den Milchling fragend an.
Die großen, runden Augen im eine Spur zu groß geratenen Pflaumenschädel glänzten, eine schwarze Pupille inmitten auberginefarbener Iris. Das, was Lander für einen schmalen, röhrenartigen Hut gehalten hatte, schien zum Kopf zu gehören. Der Goldring am oberen Ende, an dessen auffälliger Breite Fynn den Anführer der Gäste ausgemacht hatte, begann nun, zu schimmern, und sein warmes Leuchten flutete den Raum.
„Fynn,“ das Flüstern wurde bestimmter, „ich weiß, dass dir schwer fällt, zu verstehen, was geschehen ist, aber – diese Welt hier ist schon dieselbe, die du vor ein paar Monaten verlassen hast, um mit den Inseln im Pazifik Handel zu treiben, aber …“ er hielt inne, legte sein weißes Händchen auf die Pranke Landers und schubberte mit dem anderen an seinem Knollennäschen, „man schreibt nicht mehr das Jahr 1877, Fynn.“
Pause.
„Hm?“ Fynn Landers hielt den Atem an.
„Du befindest dich jetzt im Jesterfield des 21. Jahrhunderts. Die westliche Welt ist elektrifiziert, es gibt Glühlampen, mit verfeinertem Petroleum betriebene Automobile, Flugzeuge, das sind Maschinen, mit denen man über weiter Entfernungen durch die Luft …“
„Wa…?“ Lander spürte, wie seine Kräfte ihn verließen, ihm schwindelte, der Raum begann, sich um ihn zu drehen, immer schneller; da legte sich die Hand des Milchlings kühlend auf seine Stirn, und allmählich kamen seine Sinne zur Ruhe. „Wie …?“
„Ach, Fynn, das ist eigentlich ganz einfach.“ Der Milchling schnäuzte sich in ein rot kariertes Taschentuch. „Du erinnerst dich an den zähen Nebel, nicht wahr? Das ist auf diesem Planeten mit seiner hohen Luftfeuchte eine typische Begleiterscheinung, wenn wir lokale Zeitreisen durchführen, Fynn. Die Vehikel dazu wählen wir nach Belieben, eigentlich brauchen wir sie nur, wenn wir etwas transportieren möchten, dass von diesem Planeten stammt.“
Der Ausdruck auf Fynns Gesicht schien den Milchling zu amüsieren, jedenfalls reichte dessen Grinsen jetzt bis zu den winzigen, abstehenden Öhrchen. „Auf jeden Fall begeben wir uns über die Dekohärenzgrenze hinweg zurück ins quantenmechanische String-Kontinuum – geben den gewünschten Zeitpunkt und Ort ein, aktivieren den Autopiloten, und den Rest, den Rest erledigt der Computer.“
„Komm-pjuh-ta.“ Fynn Landers war ein ganzer Kerl. Ein Mann wie ein Baum. Smart, klug, belesen und lebenserfahren. Doch all das sah man ihm jetzt nicht an, im Gegenteil.
„Ich seh’ schon, Fynn, das müssen wir anders regeln,“ der Milchling trat näher an Lander heran, der schwer wie ein Sack auf seinem Stuhl saß und ihn anstierte. Dann hob er beide Ärmchen in die Höhe, schüttelte die Hände und ließ die dünnen Finger tanzen, „schließ jetzt bitte die Augen! Und, Käpt’n, mein Käpt’n Fynn, hab’ keine Angst, das wird nicht schlimmer werden als bei unserem Handschlag, mit dem ich dich Erdling schon einmal gegen die fatalen Nebenwirkungen des Quantensprungs durch ein String-Kontinuum immunisierte, denen dein Schiff und deine Leute leider zum Opfer fallen mussten. Doch sei nicht betrübt, für sie ist gut gesorgt.“ Damit legte der Milchling seine Hände auf Landers Stirn.
Lander sah, wie sich das Leuchten des Goldrings zu gleißendem Strahlen wandelte. Geblendet schloss er die Augen, meinte zu spüren, dass Nebel aufkam und den Raum anfüllte, bemerkte die vertraute Kühle, wie die winzigen Wassertröpfchen sie mit sich bringen, fühlte, wie sie die unters Hemd und seinen Rücken empor kroch. Dann stürmte ein Blitzlichtgewitter an Bildern auf ihn ein, Rauschen flutete seine Ohren – und sein Hirn wurde mit Informationen überschwemmt. Er sah Finnland sich von Russland unabhängig erklären, sah Krieg und Verwüstung, unvorstellbaren Schrecken und Grausamkeit wie einen Heuschreckenschwarm über Europa herfallen, sah Frieden, sah, wie die Welt sich ein anderes Gesicht verlieh und all die Erfindungen, die zu begreifen sein Verstand sich geweigert hatte. Das war zuviel auf einmal. Lander sackte in sich zusammen und rutschte vom Stuhl. Als er aus seiner Ohnmacht erwachte, blickte er geradewegs in die dunklen Augen des Milchlings, die keine ihm vertraute menschliche Regung erkennen ließen, doch fühlte er sich geborgen und ausgeruht. Der gleißende Ring schimmerte wieder unschuldig golden.
„Na? Alles klar, Käpt’n Lander?“
„Schon“, Lander rappelt sich auf, nestelte den Rum aus seinem Bündel und nahm einen Schluck, dann noch einen, wischte mit dem Ärmel des wollenen Troyers über den Mund – und genehmigte sich einen weiteren. Warm rann der Rum die Kehle hinab und vertrieb die Kühle des Nebels, den Lander zu spüren geglaubt hatte.