Subkutan

Kurzprosa

von  beneelim

Ich spüre das Salz. Die Perlen, die zurück bleiben, wenn das Wasser verschwindet. Wellen, vor, zurück, vor, zurück, ein kleines Souvenir aus einem Leben, das mir entglitten ist. Ungefähr gestern – ich habe die Sache beendet, sage ich. Es klingt mächtig, kompakt, so groß, dass es genau in den Griff meiner Hände passt. Es denkt sich leicht, und irgendwann, vermute ich, wird es in die Brust sinken, den lichtjährigen Weg finden, hinunter, wo es jetzt Platz genug gibt.

Dann soll es sich dort verwandeln, soll es dort schlafen, was auch immer. Nur raus aus den Gedanken. An den Ort, wo es Sinn machen kann. Sich verteilen, bitte, ein Heilmittel, Arme, Beine, Eingeweide, mein Bestiarium.

Ich suche nach Vorwürfen, will Namen finden für die tanzenden Schatten, die kläffen und streiten und konturlos auf dieses angeborene Schattenrad tropfen, Speiche um Speiche vorwärtsdrängen, wieder hoch gefasst werden, kläffen, streiten. Beißen.

Versuche: dich erinnern.
„Ich sage doch nur, was ich mir denke. Soll ich unehrlich sein?“ Die Zigarette steht steil zwischen deinem Zeige-, und Mittelfinger empor; die Glut rasselt zugweise dem Filter entgegen, du saugst, stößt den Rauch aus, kratzt dich am Hinterkopf. Eine schlaflose Nacht hängt dir in den Augen, klebt schweißkalt in deinem Shirt. „Aber du bist sympathisch.“

Anstatt vor die Bettkante zu kotzen sinke ich kichernd ins Kissen und reibe mir mit beiden Händen die Stirn. Man kann sich entscheiden, ein Leben hindurch die Kreuzungen nehmen, wie die Füße gerade ihre Schritte finden. Es bleibt ein Gefühl, sich selbst zu soufflieren, einem Tauben das Drehbuch vorzulesen, eine Stimmung wie aus zweiter Hand, ähnlich der Wahl, zu der das eigene Traumbild gelangt.
„So redet man einfach nicht.“
Naja, vielleicht post-koitale Depression?“
„Das klingt mehr nach Wut.“

Ich bespreche diese Angelegenheiten, als ob sie zerschlissene Wolkenformationen wären, die über mir vorüberziehen, ein paar Freunde, die vor dem Fenster stehen, winken, sich auf den Sattel schwingen und den Kopf noch kurz lachend in den Nacken werfen, bevor sie in die Pedale treten. Aus vergrabenen Fantasien vertraute Verwandte hinter halbblinden Autoscheiben, einige blitzende Augen, hie und da die Sternschnuppen von makellosen Zahnreihen, die hinter Lippenpaaren,  so schelmisch hoch gewinkelt, versinken.
Darum erwähne ich Wut, Trauer, Kälte, Abspaltung, Selbstbezogenheit und wirke mit Zunge und Stimmband in die Abendluft hinein; seifenblasige Abhandlungen über das, was passiert zwischen dir und mir, die Nähe, die Zerstörung, dein Vernichtungsreflex, mein lächelndes Geheimnis.

„Das ist doch völlig unsinnig“, erwidere ich irgendwo in deine lavierte Verabschiedung hinein; ich klinge forsch und flehend zugleich.
Du: „Vielleicht will ich mich nur schützen? Egal. Ich sollte einfach besser aufpassen beim nächsten Mal, abwarten, ob ich bereit bin.“
„Ist das jetzt als Trost gemeint?“
„Worum geht es dir denn überhaupt? Warum kommst du immer wieder? Soll ich dich belohnen? Und dann: womit auch? Die meisten Leute meinen, das Leben funktioniert nach Strafe und Belohnung. Kriegst du das nicht in deinen Kopf hinein, dass das alles keine Bedeutung hat? Keine Gewichtung? Ob ich dich jetzt ficke oder erschlage wird am Ende keinen Unterschied machen.“
„Ach so siehst du das?“
„So sehe ich das.“

Danach, wir hatten noch zweimal gefickt, einen Spätfilm auf ARTE angesehen und den Totenkreis innerhalb unserer Umarmung mit Gelächter umzäunt. Hatten den Rotwein geleert und mit zwei längeren Abschiedsküssen nun doch ein Wiedersehen angedeutet.

Bin ich losgefahren, übermüdet, entspannt, mit einem verdorbenen Gefühl unter dem Brustbein. Etwa drei Stunden habe ich bis ans Meer gebraucht und weil mir kein Ort passend schien, bemühte ich mich, angetrieben und haltlos zu sein. Wie viel Zeit habe ich verbraucht, von den ersten, unbeholfenen Fummeleien auf nächtlichen Hinterhöfen bis zu den stilvolleren Katastrophen der vergangenen Jahre, mich zu simulieren?

Nachdem ich das Auto verlassen hatte, hatte ich begonnen, um Begriffe zu feilschen.  Die Worte scheinen nicht gut genug, ich habe sie zensuriert, wenn sie angesetzt haben, sich dir zu nähern, so wie ich mittlerweile mich selbst zensuriere für die entspannten Abende mit Freunden, die Wandertouren im Gesäuse, die Junk-Food begleiteten Serienmarathons, für die zigtausend Seiten eines Lebens ohne dich.
Eine Träne schwillt über den Wimpernsaum, ich halte sie zurück, bis ich dort angekommen bin, wo ich ihren verdienten Lagerplatz vermute.

Schlüsselbeintief bin ich über das Ufer hinausgegangen, habe Schlamm und Kiesel unter den Füssen gespürt, wie ich jetzt die Last der Salzkörner spüre. Zugehörigkeit. Abgeschiedenheit. Und meine eigene, porentiefe, weltumspannende Grenze; ich sehe trotz mattem Sichelmond meinen Puls darunter, wenn ich eine Faust mache und den Blick auf eine Stelle fixiere, knapp zwei Fingerbreit unter dem linken Handgelenk.  Und hinter dem Sichtbaren, noch unter dem Puls, in einem rosafarbenen, immerwarmen Schleier, muss noch etwas liegen, das sich erzählt, obwohl keine Sprache erlaubt ist, das deine Geschichte, unseren Krieg, unser Verschwinden und Erscheinen als einen Vers in seine vernarbte Unterkunft stickt.

Weit darunter, in einer bald vermessenen Tiefe, wird es nicht schweigen.


Anmerkung von beneelim:

God give me strength
To keep on walking

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Kommentare zu diesem Text

eilika (33)
(10.09.09)
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