Uroboros

Kurzprosa

von  beneelim

Wie das Porno war, als Klaudia, Lukas und ich und zwei andere nach drei Wochen Hitze in Unterwäsche durch den Regen liefen; als wir endlich ans Filmen gehen konnten. Machen wir das nicht meistens so, sagte Lukas zu mir, nachdem wir es getrieben hatten, dass wir alles tun, damit jede Chance am wenigsten genutzt bleibt? Wir machen uns etwas aus, wir ficken, wir gehen ins Kino oder schick Essen, wir küssen uns scheu auf den Mund, wenn wir uns verabschieden, weil, wir melden uns, ganz bestimmt, wenn nicht heute Abend, dann am Ende der Woche. Wir heben nicht ab, wenn dann der Anruf kommt, wir schreiben anfangs noch schnell was zurück, von wegen Stress, in der Arbeit, bei den Eltern. Wir hoffen, dass keine Antwort eine Antwort ist, irgendwann. Wir lassen die Zeit die Dinge erledigen, oder auch das Schicksal, was weiß ich. Dann denken wir, es ist vorbei, denken von uns, womit es sich am Leichtesten leben lässt, ohne eine Ahnung zu haben, wie das, was wir sind etwas sein kann, das wir jemals selber getan haben.
Ich rolle von ihm herunter, meine Hand klatscht auf gerötete Haut statt auf die bissigen Bremsen, die uns umschwirren. Meine Unterhose ist neben einem Kuhfladen gelandet, über den Bäumen hinten auf den Hügeln sammelt der nächste Sturm seine Kraft. Sie haben ihn mit einem knappen Kilo Gras erwischt, gleich nach der Grenze. Das gibt in Österreich etwas weniger als in Bayern, aber seinen Job kann er wohl knicken. Was ihn nicht stört, meint er. Scheiß Psychos. Scheiß Diagnosen, Compliance und Medikationen. Scheiß Lohnsklaverei.

Die Idee mit dem Film hatte Klaudia, wenn man es genau nimmt. Weil nichts, was sie sagt, nach etwas klingt, was der nächste Sonnenaufgang nicht schon verdampfen könnte, kann man sich ohne weiteres mit ihren Federn schmücken. Oder ihren Liebhabern. Nach dem Tod ihrer Mutter ist sie durch Europa gezogen, denn Erben will gelernt sein. In Amsterdam blieb sie zwei Monate hängen, dann auf die Inseln, London, Glasgow und hinüber nach Dublin. Und so weiter. Schließlich Lissabon. Die beiden Typen, die sie in der Alfama aufgegabelt hatte, der eine Marokkaner, der andere irgendwas Skandinavisches, waren seit drei Jahren zusammen. Knapp dreihundert Euro später war man sich einig gewesen; ein schwules Ding aus feministischer Sicht, eine schwanzlose Penetration mit der Linse, ein Hotelzimmer nahe der Restauradores, schmal, ins Tiefe geflüchtet, wie alles in dieser Stadt. Das Licht war perfekt, ein Uroboros auf Atifs Arsch, der fraß und fraß und versank dennoch in der Nacht, die früher daher kam, als es zu wünschen war. Klaudia. Mit dem Fuß schon aus der Tür, noch bevor Frühstück oder die Busfahrt in den Norden ausverhandelt waren. Ein weiteres Jahr folgte, der Weg bog sich langsam wieder rückwärts, sie verlor fünf Kilo, trug Kurzhaarschnitt, verlor den Vater, das Geld ging aus. Oder sie war zu langsam. Ja, sie zieht die Kamera aus der Camouflagetasche, ja so will ich das sehen. Immer einen Tick schneller bleiben, so viel kann sie uns als Rat mitgeben. Wollen wir? Während Lukas mich aufmuntert, schlüpfen die beiden anderen aus ihrer Wäsche, Jock-Straps umspannen ihre Ärsche, sie greifen einander in den Schritt, als würden sie irgendwas an der Obsttheke auf ihr Gewicht prüfen, sie lachen, murmeln ein paar Sätze auf Tschechisch. Lukas erzählt, wie er vor zwei Wochen im Dampfbad einen Türken angemacht hat, und als er ihm einen blasen wollte, meinte er, das dürfe nur seine Freundin. Er grinst. Meint, bis zu diesem Tag hatte er den Glauben an die Romantik verloren gehabt.  Mir wird nicht wohler. Das Licht, denkt an das Licht, Klaudia wird forsch, sie riecht bereits den nächsten Regen.

Ich vergesse immer das, was danach kommt. Wäre das anders, hätte ich nach dem Verlust meiner Unschuld wohl mit dem Ficken aufgehört. Irgendwann ist es Nacht geworden, wir sind zurück in die Stadt gefahren, Lukas hat mich auf die Stirn geküsst und ist aus dem Wagen gesprungen. Bis dann.  Von oben bis unten voller Lukas. Ich streife stets meine Haut ab, wenn der nächste Tag sich freudlos über die Dächer schiebt, und jedes Mal hoffe ich, dass die folgende Schicht ihm keinen Halt mehr bieten wird. Seit zwei  Jahren geht das schon so, und es bleibt nicht mehr viel, bis ich blank liege. Klaudia wird bis zum Wochenende den Schnitt fertig haben, die restlichen Szenen, die mühsamen, holen wir gegen Ende des Monats nach. Die mit Text und Kleidung, die stets noch sichtbar gemacht haben, was wir wirklich miteinander anzufangen wissen. Die beiden Tschechen haben bei mir gepennt und nach ein paar Joints und irgendeinem Pulver, das nach Lebhaftigkeit aussah, sind sie grunzend am Sofa eingeschlafen. Gegen sechs Uhr morgens hat Lukas Mutter angerufen, er sei nicht nach Hause gekommen. Ja. Keine Ahnung. Er schien in Ordnung. Seine Medikamente hatte er dabei. Nein, keine Drogen. Ich lasse mich auf den Drehstuhl vor dem Computer fallen, verrauche den halben Joint, den die Tschechen im Aschenbecher haben liegen lassen. Skype mit einem ehemaligen Leichtathleten, der Anfang fünfzig ist und ich sage ihm, dass er noch toll aussieht und bevor er kommt, lege ich auf. Immer einen Tick schneller sein. Was zu tun haben. Die Welt in ihren Angeln belassen. Denn es könnte kalt werden. Und still. Weil meine Wohnung ganz voll ist mit meinen Gedanken, streife ich Jeans und ein Shirt über und fahre drei Runden auf der Stadtautobahn, bis der Tank halbleer ist und mir die Augenlider den Dienst zu verweigern beginnen. An der Türschwelle, noch bevor ich den schalen Geschmack meiner zurückgelassenen Gedanken an den Lippen spüren kann, höre ich bereits das Telefon klingeln. Ich kenne die Stimme, die vom anderen Ende der Leitung heran galoppiert, kenne die Tränen im Sattel und die Vergangenheit, die sie besiegeln. Irgendjemand, eine Frau, eine Mutter, hat heute ihren Sohn verloren. Und danach, im Bett, meinen Blick in die Zimmerdecke verbissen. Ich spüre, wie meine Haut nachwächst.


Anmerkung von beneelim:

just doodling.

http://keinverlag.de/texte.php?text=194457

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (29.08.13)
Hier und da kleine Schlampigkeiten wie "war man sich einige" und zwei zu ambitionierte Schlusssätzchen (würde ich weglassen, ist prätentiöser Unsinn), ansonsten gerne gelesen!

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 11.05.20:
Nach nochmaligen lesen bemerke ich: Da geht es um Teenager im FOMO-Fieber. Handwerklich sorgfältig gemacht, aber die dem Thema innewohnende Redundanz, das Gehechele, wirkt früher oder später etwas arg bleiern.
Parkplatzbizon (32)
(04.02.14)
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