Gestern, habe ich mich verloren. In einem früheren Heute, das niemals wiederkommen wird. Präzise Schnitte hat das Messer ausgeführt – mein Wille, hat blutige Spuren auf blässlicher Haut hinterlassen. Wärme und Dasein in mich strömen lassen – einen winzigen Sekundenbruchteil, Glückseligkeit, zurückgelassen. Schwarze Farben und grelle Lichter stoben im Geiste. Regenbogenfarbene, schillernde Sterne und Emotionsexplosionen. So hoch, wie ich gestern auf der Himmelsleiter emporgestiegen bin, doppelt so tief, fiel ich ins Heute – endlos. Beißender Rauch füllt meine Lungen. Dichte Rauchschwaden hängen bedrückend im Raum. Die Uhr kann ich nicht sehen. Zeit nicht fühlen; nicht anders als niederreißend, wahrnehmen. Worte bedeuten heute genauso wenig, wie an jedem vorherigen Tag. Keines, hätte die Anmut, geschweige denn, die Kraft, mir eine neue Hoffnung zu schenken – Träume zu gebären, die Sehnsucht in mich fluten ließen. Der Abschaum vor mir im Spiegel hat veranlasst, dass das Essen von letzter Woche, in der Keramik gelandet ist. Dieser fahle, siechende, flaue Geschmack liegt noch immer auf meiner Zunge. Ja, so schmeckt Leben. Eigentlich müsste ich jetzt grinsen, aber mir ist nicht danach. Habe in Momenten, wie diesem, keine Kontrolle über meinen Körper. Über mich. Schraube den Deckel der Glasflasche ab. Werfe ihn irgendwo in den zugemüllten Raum hinein. Setze die Flasche an. Nehme einen hastigen, großen Schluck – Vodka – ein gutes Gefühl. Beruhigend. Irgendwie wärmend und behütend. Schließe die Augen. Wieder umringt mich Schwärze - und Einsamkeit breitet ihre Schwingen um mich. Greife nach den Tabletten auf dem Nachttisch. Eine neue Palette – 10 Stück. Hiefe mich kraftlos vom Boden auf. Stolper Richtung Bett. Drücke die 10 Glücklichmacher in meine hohle Hand. Zitternd greift die andere nach dem flüssigen Vergessen. Kälte pulsiert durch mich. Durchströmt alle Kompartimente meines wertlosen Körpers. Lasse sie in einer halben Flasche Vodka ertrinken. Innerlich grinse ich hämisch. Bin ich ein Sadist, wenn ich meinen Gefühlen beim Sterben zuschaue und mich dabei eine Art Zufriedenheit, gepaart mit leichter Geilheit, überkommt? Selbst, wenn es so wäre – Fuck Off – es gibt eh niemanden in meinem Leben, den es kümmern würde, wenn ich ein Arschloch bin. Ebenso, gibt es dort auch niemanden, den es stören würde; der es bemerken würde, wenn ich hier „fehle“. Werfe die Tabletten hinterher. Vielleicht ist das eine Art von Mitleid. Mitleid, mit den „armen Gefühlen“, die dort verzweifelt versuchen, nicht ertrinken; sterben zu müssen. Würge die Pillen runter. Für einen Moment befürchte ich, auf den schönen, verdreckten Teppich kotzen zu müssen. Das letzte Essen, von vor sieben Tagen, wiedersehen zu müssen. Die Musik hat irgendwann aufgehört zu spielen. Innerlich verfluche ich wieder den gottverdammten Laptop. Die Stille meines Lebens kann ich nicht mehr ausstehen. Ertragen. Irgendwie, hat doch bloß alles im Leben, mit ertragen zu tun. Leid. Schmerz. Verlust. Versagen. Scheitern. Nichts anderes ist es doch, was sich hier seit 19 verf*ckten Jahren abspielt. Irgendwann muss doch auch mal Schluss sein (dürfen). Oder? Etwa nicht? Draußen hat sich die Schwester der Nacht langsam ausgebreitet. Alles in müdes, trostloses blassgrau getaucht. Wünsche mir den Höhenflug von gestern zurück. Das frühere Heute, das doch niemals (zu mir) kam. Klappe das Messer auf. Spüre wieder Wärme und etwas Ähnliches wie „Freude“ durch mich fahren. Schneide tief. Und tiefer. Immer weiter in das weiße Fleisch hinein. Setze neu an. Wieder ein neuer Schnitt. Tiefer. Und mit jedem Tropfen Blut, gewinnt der Tag an Bedeutung. Sofern ich überhaupt die Bedeutung dieses Wortes gekannt habe. Im Blut liegt die Reinheit. So sagt man zumindest. Unschuld habe ich nie besessen, denn Würde und besagte „Nichtschuld“ nahm man mir. Vor vielen Jahren. Ließ mir bloß die Last auf meinen Schultern. Den Strick ums Genick. Zu dünn, meinen nutzlosen, widerwertigen Körper zu halten. Kein Ausweg. Keine Flucht vor dem Leben. Es ist sinnlos. Sinnlos davonzulaufen. Sinnlos, es zu lieben. Was ich auch tue, wie ich auch denke, handle, empfinde – es ist und war, immer nur falsch. Stecke mir eine neue Kippe an. Meine Letzte. Genieße, bis zum Schluss. Gehe in die Küche. Auf dem Boden liegt ein Ticket. Mein Ticket, in eine bessere, andere Welt. Hebe die 44’er auf. Lösche das Licht. Der Lärm der Straße scheint kilometerweit entfernt zu sein. Presse die Kippe in den überquellenden Aschenbecher. Sehne mich nach diesem früheren Heute, das niemals kam. In mir brodelt es. Irgendwie tobt da ein mächtiger Orkan. Fühlt sich fast an wie ein Orgasmus. Drücke den Stahl an die Schläfe. Starre in die abartigen Augen des Wesens im Spiegel. Empfinde nur Hass. Kälte.
Übrigens, ich hatte nicht vor, mit dem Rauchen aufzuhören.
„Klick“.