Eine neue, schlimmere Hölle als damals.

Text zum Thema Ausweglosigkeit/ Dilemma

von  ZornDerFinsternis

Die Straße gab uns Zuflucht. Unter all den vielen Menschen, kam einem das eigene Leid
und der Schmerz so unwirklich und minimal vor.
Und diese Freiheit, sie war immer ein verlorengeglaubter Traum, den wir schon lange
begraben hatten. Ein unmögliches, unerreichbares Verlangen, das der Wirklichkeit so fremd war.
So fremd, wie wir uns geworden waren. Ja, es gab Tage, da habe ich die Stimme deines Herzens
gefürchtet. Habe in deine himmelblauen Augen gestarrt und weder dich, noch mich in ihnen
wieder erkannt.
Die Kindheit, die wir nie hatten, haben wir zusammen nachholfen wollen. Ohne Regeln. Ohne
Verbote. Es galten bloß die Regeln, die wir aufgestellt hatten. Es ging einzig und allein
darum, irgendwie zu überleben. Über den Tag zu kommen. Geld zusammenzuschnorren, damit man sich
in der Nacht ordentlich wegballern konnte. Eine Hand voll Speed, ein wenig Koks, Bier und Schnaps
in rauen Mengen. Feiern. Sich fallen lassen, und das Leben; den Alltag außer Acht lassen.
Die Gewissheit, dass man nach diesem Fall, vielleicht nie mehr aufstehen würde, blendete man einfach aus,
wenn man dann überhaupt noch so viel Mensch war, um zu wissen, was man da eigentlich mit sich tat.
Bis in den späten Morgen Drogen und Alkohol. Das sieben Mal die Woche und das zwei einhalb Jahre lang.
Und so schön die Nächte auch immer gewesen sind, der Totalabsturz kam dann am Morgen. Wenn man in den
letzten, versifften Hinterhöpfen neben Kotze und überlaufenden Müllcontainern wach wurde. Die Sonne
schien nie so intensiv gelacht und mein Herz berührt zu haben. Alles war möglich. Und vielleicht war
genau das, bloß Einbildung gewesen.
Diese Nichtigkeit des Selbstverständlichen ist irgendwie erschreckend. Und doch, kümmert es mich nicht.
Seit Wochen habe ich keine Dusche mehr gesehen und meine Klamotten zum Wechseln, hatte mir jemand geklaut,
als ich für uns am Eck die lustigen, bunten Pillen gekauft habe.
Ja, wie man sieht, ist diese große Freiheit, die so verführerisch in allen Neonfarben blinkt, wie die Sterne
am Himmel, nach ein paar Händen Speed, und ein wenig LSD, doch nicht das, was wir uns gewünscht hatten.
Verlustreich waren unsere Kindertage an uns vorübergerauscht, wie die ICEs im Hauptbahnhof.
Alles war genommen und nichts gegeben worden. Bedauerlich, irgendwie.
Und noch immer hängt uns dieses Leiden von Früher nach. Auch hier. In diesem grenzenlosen Leben, ohne
Verpflichtungen und Erwartungen.
Die Zeit bis zur nächsten Party haben wir immer nur genutzt, Passanten anzuschnorren, irgendwelche Essensreste
aus den Abfalleimern zu pulen und uns Zigaretten zu besorgen. Irgendwo, zwischen Alkohol und Drogen
blitzen dann die Sterne in allen Farben der Werbereklametafeln. Und, es fühlt sich so gut an.
Dieses betäubte Dasein war es, was wir anstrebten. Angestrebt hatten. Und uns nun, teuer erkauft hatten.
Der Magen hing uns täglich in den Kniekehlen und der Dreck der Straße würde locker als Bekleidung ausreichen.
Die Nächte im winter waren die Schlimmsten. Hatte immer Sorge, wenn ich neben dir wach werde, dass du dann
nie mehr wachwerden würdest. Aber, was gegen diese Sorgen immer gut half, waren Schnaps, Joints und die bunten
Pillen mit den liebenswerten Smilys oder Sonic drauf. Ja.
Und die Monate verstrichen. Zwischen Party, Überlebenskampf, Party, Verlust, Angst und der nächsten Party,
verschwanden Frühjahr, Sommer und auch der Herbst gab langsam auf.
Es wurde eisiger. Und ich hatte noch immer das Bild vom Sommer in mir. Dich und mich. Auf irgendeiner
dieser vielen, dummen Partys. Eigentlich erstaunlich, dass dieses Bild so klar vor meinem geistigen Auge
auf und ab tanzt. Hatten wir uns doch immer den letzten Funken verstand weggesoffen, und all die Schmerzen
mit Koks und Heroin übertüncht.
Diese Fassade bröckelte. Ja. Das Leben in Freiheit, hatte seine Spuren hinterlassen. Narben. Blaue Flecken.
Ja, und bald würde sie kommen. Voller Arroganz und Überheblichkeit. Würde nicht anklopfen. Sondern direkt
und impulsiv zuschlagen, und den Preis für unser neues Leben einfordern.
Vor den Dealern, bei denen wir Schulden gemacht hatten, hatte ich keine Angst mehr.
Im Laufe dieses Lebens, habe ich schon so viele Schläge bekommen, ich meine behaupten zu können, dass ich
alles schon eimal gesehen habe. Würde man mir damit drohen, mich umzubringen, ich würde den Typen bloß
auslachen. Man könnte mir wohl keinen größeren Gefallen mehr tun. Denn das hier, ist definitiv kein Leben mehr.
Wir hatten alles wenige, was wir noch gehabt hatten in diese Hoffnung gesetzt. Ja, und wir haben zugesehen,
wie die letzten Felle davonschwimmen. Wie unsere kleine Insel, mit uns zusammen, langsam untergeht. Und es
geht immer weiter bergab.
Und so oft, wie wir den Schmerz des Lebens intensiv in uns aufnehmen mussten, und das Leben ausgekotzt haben,
ist es ein absolutes Wunder, dass es uns noch nicht vollends zerrissen hat.
Immer wieder haben wir uns aneinander geklammert, wenn die Entzugserscheinungen wie ein gnadenloses Unwetter, über uns hineinbrachen. Haben uns immer wieder geschworen, wir hören auf. Noch eine Woche. Noch Zwei. Einen Monat.
Und dann gehen wir wieder nach Hause. Zumindest in die Stadt, in der wir aufgewachsen waren. Ein zu Hause wartete dort ja nicht auf uns. Nicht mehr. Niemals.
Ja, dieser Spruch von damals, dass man die wichtigen Dinge nicht auf später verschieben sollte... er ist gold wert.
Aber was zählt das schon noch, wenn man bereits seit Jahren ganz tief unten ist? Einen Scheissdreck.
Und ich laufe durch unseren Park. Wo wir in den lauen Sommernächten immer neben der alten, grünen Parkbank schliefen. Und heute liegt hier Schnee. Und es sind drei Jahre aus unseren zwei geworden. Es fühlt sich schwerer an als damals. Und den Schmerz kann ich nur noch mit Alkohol versuchen, zu begraben. Der Ausbruch von der Hölle in die Freiheit, hat geendet. In einer grausameren, kälteren, unmenschlicheren Hölle geendet.
Diese Freiheit, hat ihren Preis eingefordert:ich stehe allein an unserer Parkbank. Mein Herz schreit jämmerlich und ich kann nichts tun. Bloß "leben".

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Kommentare zu diesem Text


 Seelenfresserin (03.08.10)
Hallo Zorn,

Und wieder einmal ein schriftliches Zeugnis dafür, das es, auch wenn jeder das Gegenteil behauptet, schlimmer werden kann als es eh schon war...

denn man kan definitiv tiefer fallen, als man schon ist...


Gut gelungener Text, jemand wie ich kann sich zwar nur zum Teil einfühlen, da ich selbst nie solche erfahrungen gemacht habe, aber ich kann mich einfühlen.

glg Seelenfresserin

 ZornDerFinsternis meinte dazu am 03.08.10:
Das ist sehr lieb von dir, freut mich, dass die Gefühle ein wenig rüberzukommen scheinen.
Liebe Grüße zurück. Anni

 Seelenfresserin antwortete darauf am 03.08.10:
Kein Problem. Wenn es darum geht die Wahrheit zu sagen, bin ich jemand der das gerne macht.

Und: Sei stark, um zu leben.

Glg Jenny

 ZornDerFinsternis schrieb daraufhin am 03.08.10:
Süß, wirklich. Dankeschön :)
Ich muss dich einfach mal drücken - also, fühl dich mal lieb gedrückt, ja? :)

 Seelenfresserin äußerte darauf am 03.08.10:
Dann tu ich mal das ;) Und fühl dich ebenso gedrückt.

Ich freu mich auf dein nächstes Werk.

glgl jenny

 ZornDerFinsternis ergänzte dazu am 04.08.10:
Uii... wie lieb, danke sehr :) Kann ich mich nur anschließen, warte auch schon sehnsüchtig darauf, mehr von dir lesen zu dürfen. Anni :)
Manu (56)
(03.08.10)
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SigrunAl-Badri (50)
(03.08.10)
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Diro (50)
(03.08.10)
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 Dieter Wal (04.08.10)
"Und so schön die Nächte auch immer gewesen sind, der Totalabsturz kam dann am Morgen. Wenn man in den
letzten, versifften Hinterhöpfen neben Kotze und überlaufenden Müllcontainern wach wurde. Die Sonne
schien nie so intensiv gelacht und mein Herz berührt zu haben."

Größtmögliche Gegensätze.

"Immer wieder haben wir uns aneinander geklammert, wenn die Entzugserscheinungen wie ein gnadenloses Unwetter, über uns hineinbrachen. Haben uns immer wieder geschworen, wir hören auf. Noch eine Woche. Noch Zwei. Einen Monat.
Und dann gehen wir wieder nach Hause. Zumindest in die Stadt, in der wir aufgewachsen waren."

Würde den Text an deiner Stelle etwas lektorieren lassen und dann deutschlandweiten Drogeneinrichtungen anbieten. Sie sollen ihn dir aber angemessen bezahlen. Und lass dich auf gar keinen Fall mit weniger als 200€ abspeisen. Dazu solltest du ihn hier allerdings erst mal löschen. Erstveröffentlichungsrechte und so.

 ZornDerFinsternis meinte dazu am 04.08.10:
Sind die Gegensätze jetzt aus deiner Sicht, etwas Schlimmes?._.
Naja... sorry, Dieter, aber ich würde echt noch sehr bezweifeln, dass das irgendwer lesen will, geschweigedenn dafür Geld bezahlt :D

 Dieter Wal meinte dazu am 04.08.10:
Solche Gegensätze sind super, weil dein Leser es nachempfinden kann. Also wenn ich solche Sachen schrieb, meist im Auftrag. Dann nannten wir es Reportage und die Kunden zahlten. Du schriebst es ohne Auftrag. Dafür liest es sich verdamt authentisch. Das macht die Sache für Leser umso wertvoller. Größere Medien würden dir übrigens mehr Geld bieten (Es sei denn, sie wollen dich über den Tisch ziehen und sparen...).
(Antwort korrigiert am 04.08.2010)

 ZornDerFinsternis meinte dazu am 04.08.10:
Ah... okay :) gut, dass ich dich und dein Wissen habe :)
Naja. Ich schreibe das ja eig. mehr für mich, nicht, um vllt. i-wie drauf zu hoffen, dass den Kram irgendwer kaufen will. Es ist einfach meine Eigentherapie und Punkt. :D
Zweifler (58)
(04.08.10)
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 ZornDerFinsternis meinte dazu am 04.08.10:
Ja, ich schätze du meinst, man sollte Goethe oder Schiller gelesen haben, denn das hier ist wirklich nicht gerade furchtbar lesenswert :)
Vielen Dank für deine liebenswerten Zeilen und das Lob, das aber nicht angemessen ist, sprich, mir garnicht zusteht.
Ich werde mich bemühen, am besten ganz, auf Fehler zu verzichten. Entschuldige, Rechtschreibung liegt mir eben wirklich nicht, wobei ich schon gesehen habe, dass einige Nomen klein geworden sind und Buchstabendreher enthalten sind...aber, da war es schon zu spät ._. Entschuldige :)
LG, Anni
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