IV.
 Inhalt 
VI. 

V.

Erzählung zum Thema Abrechnung

von  Lala

V.

Obwohl sie am nächsten Morgen vor Neugier brannte, zwang Friederike sich, zuvorderst die wichtigen Dinge zu erledigen. Eine ordentliche Morgentoilette, ein gutes Frühstück mit einem schönen Kaffee und ein anschließender Besuch bei Kurt – zwar ohne Blumen geschweige denn Versen – aber sie und Kurt waren beide erwachsen.

Erst am frühen Nachmittag dieses Montags, begann Friederike damit die Versuchsreihen vom Sonntag zu wiederholen. Sie blieb ruhig, selbst wenn sie Kontakt zur Stimme des Schamlosen bekam. Sie notierte die Qualität, stoppte die Zeit des Empfangs bis zum Abbruch und die Dauer bis sie wieder erneut auf der Position Kontakt bekam. Sie arbeitete systematisch alle Positionen ab und wiederholte diese Experimente am Dienstag, am Mittwoch und bis zum Ende der Woche und nächsten Woche. Natürlich immer erst dann, wenn sie ihr Pflichtenheft: Blumen gießen, Wäsche machen, Gardinen wechseln, viel trinken, Kurt besuchen, Flur putzen und sich selbst pflegen, erfüllt hatte.

Am Ende der diversen Versuche hatte Friederike die perfekte Position. Das Elektrokabel der Brotröstungsmaschine war begrenzt und in diesem Radius, gab es eine Position, die sechs Minuten, zweiunddreißig Sekunden gute Qualität bot und nur, vier Minuten, zwölf Sekunden brauchte, um wieder hundertsiebzehn Sekunden lauschen zu dürfen. Das Hauptproblem, schloss Friederike, war die Temperatur. Außen-, Innentemperatur und eigentlich auch die Temperatur im Blumenladen. Aber die zu messen und zu verifizieren war ihr zu aufwendig und erschien ihr auch unmöglich.

Natürlich hatte Friederike alles notiert, wenn sie zufällig „On Air“ war und Briegel und seinen Freunden bis zum Verbindungsabbruch lauschen durfte. In einem eigens dafür vorbereiteten Heft – PB Mitschnitte (bereinigt) – hatte Friederike die mitgehörten Dialogfetzen eingetragen, die nicht als belangloses Verkaufsgespräch für dumme Hühnchen erkennbar waren, sondern im Gegenteil von Briegels verdorbenen Charakter zeugten.

„Das Schlimmste ist die Verstellung.“, seufzte Friederike an einem Mittwoch, als sie Blumen an Kurts Grab legte und fügte schuldbewusst hinzu: „Ach Kurt, ich weiß ja, ich bin eine Biene mit Stich. Ganz genau wie Du es immer gesagt hast.“ Friederike sammelte sich und wischte sich wie beiläufig eine Träne aus dem Augenwinkel und sprach weiter, so als ob Kurt sie hören könnte: „Aber Bienen haben nicht nur einen Stich, sie haben wie Du weißt auch einen Stachel.“ Und plötzlich lächelte Friederike. Ja, Kurt wusste nur zu genau um den Stachel Friederikes. Aber so leicht wie Kurt, würde sie es Piet nicht machen.

Kurt war nicht mehr Kurt gewesen, als er die Filterfabrik verlassen musste. Schnell war er ihr zur Last geworden. So sehr, dass sie überlegte, ihn zu ermuntern sich wieder eine Katze anzuschaffen. Aber andererseits hatte er sich das nicht verdient und sie bekam ja auch keinen neuen Vogel. Erwachsene, alte Menschen sollten sich keine Haustiere anschaffen, die sie überdauern könnten. Das wäre kindisch gewesen. So saß Kurt aber rum. Schaute Fernsehen oder aus dem Fenster und nicht selten zu tief ins Glas. Sprechen mochte er auch nicht. „Worüber denn, Weib?“, fragte er nur mürrisch, wenn sie mit ihm reden wollte. Ja und schwofen ging nun gar nicht mehr, da machte seine Hüfte nicht mehr mit. Kurt war überflüssig geworden. Kurt, so schien es Friederike, hatte seine Seele in der Filterfabrik gelassen und sie hatte nur einen Fleischsack zurück bekommen, der wie Kurt aussah. Es brach ihr das Herz, aber er erinnerte sie an diese kopflosen Hühner beim Hühnerbauern.
Als sie eines Morgens entdeckt hatte, dass Kurt ins Bett genässt hatte, wusste sie, dass nur noch einer der Helms erwachsen war. Kurts Abschied vom Leben gestaltete sie schmerzlos. Er schlief ein und seine Nadel fiel nicht mehr in die Spur zurück. Als kindischer Greis hätte ihr Mann auch nicht weiter leben wollen. Bei Briegel fiel ihr Urteil härter aus. Zu vieles hatte sich in ihrem Heft, der Mitschnitte angesammelt.

Es hatte Friederike in den letzten Monaten große Überwindung gekostet, spätestens nach zwei, drei Wochen, wieder bei Briegel Blumen zu kaufen, damit dieser ja kein Verdacht schöpfe. Aber irgendwann musste damit Schluss sein. Friederike wusste, dass Piet nicht nur sie selbst, sondern auch viele andere betrogen hatte.

Betrogen hatte, wie Anna Amalia, die ihm die Gedichte schrieb und sicher schon einen Verlag gefunden hätte, wenn er sie nicht hinhalten würde mit ominösen Kontakten zu großartigen Verlegern und wenn Amalia nicht so verhuscht, wie abgebrannt und süchtig wäre. Es war Annas Stimme gewesen, die sie an jenem Sonntag zuerst aus dem Toaster gehört hatte.
Obendrein betrog der Schubiak sie mit diesem Lustknaben und Schauspielschüler Jan Eric und machte sich mit ihm auch noch lustig über Anna. Immer wieder schüttelte Friederike ihr Haupt, wenn sie zum wiederholten Male in ihrem schlauen Buch nachlas, welche Unverschämtheiten die Beiden miteinander abzogen:

„Die dumme Gans merkt nicht, dass Du sie verarscht?“
„Nenn’ sie nicht so, Jan.“
„Aber Du bist schwul Piet, Du bist Florist und hast von Literatur keine Ahnung. Das muss sie doch gemerkt haben?“
„Jan! Dreh dich bitte wieder um und sei nicht so zickig. Amalia muss schreiben und ich bin ihre Muse.“
„Muse? Du bist ihr Schneemann.“
„Wenn ich schon was bin, dann bin ich ein Schneemann mit Möhre, für meine Poesiemöse.“
„Weißt Du was Du bist Piet?“
„Behalt es für dich Jan und bleib jetzt endlich liegen! Dauernd fällt mir die Rose wieder aus Deinem Arsch. Hast Du Blähungen?“
„Was geilt Dich eigentlich daran so auf, wenn ich mit dieser schwarzen Rose im Hintern rumlaufe?“
„Gar nichts - ich habe es mal im Fernsehen gesehen.“
„Au!“
„Stell Dich nicht so an.“



Der Blumenmann war schwul. Alle Welt wusste das, nur Amalia nicht - die Poetin, die Friederike ins Herz geschlossen hätte, wenn sie nicht Drogen nehmen würde. Aber was dem Fass den Boden ausschlug war die Stiftung: „Das Anonyme Grab“ welche er mit seinem Freund und Kupferstecher Ralphi ins Leben gerufen hatte.

Den kleinen Spendentopf „Stiftung Anonyme Gräber“ auf Piets Tresen, hatte Friederike schon bei ihren ersten Besuchen im Blumenladen bemerkt gehabt. Wenn sie sich von Piet unbeobachtet gefühlt hatte, hatte sie schon mal einen Fünfer in die Box gestopft.
An sich hielt Friederike nichts von diesen Klingeltöpfen, die ihrer Meinung nach kein Mensch kontrollierte. Vor der eigenen Türe kehren, gerade sein und Rücken durchgedrückt halten, darauf kam es nach Frau Helm an. Ablasspfennige war was für Katholiken. Nein, Friederike war protestantisch. Sie war davon überzeugt, dass der Pförtner des Himmelreiches, nicht wegen fünf Euro die Tore öffnen würde. Da brauchte es andere Qualitäten. Aber bei Briegels Büchse hatte sie anfangs und auch noch später und dann und wann, eine Ausnahme gemacht und fünf Euro in die Büchse des Anonymen Grabs gestopft.

Aber bei einer dieser Gelegenheiten, wo sie sich unbemerkt gewähnt hatte und spendete, stand auf einmal Piet in ihrem Rücken und raunte mit tiefem Timbre: „Es gibt viele, die sich ihrer Stimme nicht bedienen – aber noch viel mehr gibt es, die stumm bleiben müssen. Um sie nicht zu vergessen, schmücken wie ihre letzte Heimstatt.“ Piets Stimme, hatte ihr die Nackenhaare zu Berge stehen lassen und sie fühlte sich ertappt vom Wildrosenhüter. Die Vernunft verdrängte schnell den Schauder. Die Situation war Friederike peinlich gewesen. Auf Nachfrage hätte sie zugeben müssen, dass es ihr egal gewesen war, welcher Zweck mit der Dose verfolgt wurde, aber Rechenschaft ablegen wollte sie auch nicht, denn warum sie wem, was, wie schenkt, ging schließlich keinen was an.
Sie brauchte nicht lange, um die Situation wieder zu kontrollieren und zwischen sich und dem Blumenmann einen gesunden Abstand zu verschaffen. Sie hörte nur scheinbar interessiert zu, wie Piet ihr die Spendenaktion erklärte:

„Es gibt so viele stumme, triste Gräber. Ungepflegt und teilnahmslos wie ein Massengrab. Ein Stein, ein Name - das ist nicht mehr als eine Erkennungsmarke.“ Briegel ging wieder auf Distanz zu Frau Helm, vielleicht weil auch er gespürt hatte, dass er ihr zu nah gekommen war. Im moderaten Ton, so als führe er vor Fremden ein Verkaufsgespräch, fuhr er fort:“ Aber dahinter stehen Schicksale und keine Wegwerfartikel. Meine Kollegen und ich sammeln mit diesem Fond Geld, um in den Verscharrungswüsten Oasen zu schaffen. Und wenn es nur ist, um denjenigen, die wirklich Anteil nehmen, sie in ihrer Verbundenheit mit den Verstorbenen zu bestätigen: Niemand ist alleine.“

Die Botschaft hörte Friederike gerne, aber schon damals zweifelte ihr Magen am Wahrheitsgehalt. Auch wenn sie sich sicher war, danach nie wieder was in die Büchse getan zu haben, hatte der Schmeichler es doch geschafft, ihre unangenehmen Empfindungen zu zerstreuen.


Dank des Toasters wusste sie nun, welch übles Spiel Briegel und seine angeblichen Kollegen spielten. Kollegen? Die Kollegen hörten nur auf einen Namen : Ralphi. Ralphi gehörte der Blumenladen an der Rennbahn und Ralphi hatte die Ideen, wie den alten Mütterlein, das Geld aus der Tasche gezogen werden kann. Ralphi brauchte ständig Geld, denn Ralphi zockte.


„Piet, die Dose hier reicht nicht. Das Rad müssen wir wieder größer drehen. Wir haben damals drei Mille auf einen Schlag gemacht.“
„Nein.“
„Hallo? Was bist Du für ein Sparkassengesicht geworden?“
„Die Alte war senil gewesen und hat nie eine Quittung verlangt. Leichtes, viel zu leichtes Spiel.“
„Bedenkenträger - Du kannst doch Computer, Piet? Das sehe ich doch. Dann bastelst Du eben eine. Wenn die tot sind, dann interessiert die das doch nicht.“
„Du bist gierig, Ralph.“
„Oh, Mann! Alle sind gierig und die, die bescheiden bleiben, werden gemolken. OK, dann machen wir eben keinen Bestattungsvorsorgevertrag mehr, sondern einen Grabpflegebetreuungsdingsbumsvertrag. Aber nicht mehr diesen Fünf Euro Beschiss hier. Das bringt doch nichts voran.“
„Hundert, zweihundert und wenn eine alte Lady schwach wird, auch mal mehr, mein lieber Ralph. Und keiner fragt nach. Nur hier und da einen alten Kranz hingelegt und ein Foto als Beweis gemacht. Was willst Du?“
„Mehr.“
„Sag mir wie.“
„Es läuft über meinen Namen.“
„Und?“
„Du hast die Kunden und denen verkaufen wir meinen Grabpflegeservicevertrag mit einem kombinierten Bestattungsvorsorgevertrag und, und, und, gesiegelt und gestempelt vom Kuratorium deutscher Grabpfleger. Aber Minimum Fünfhundert im voraus und fünf Jahre Laufzeit.“
„Und für jeden vermittelten Vertrag kassiere ich eine Provision?“
„Jepp“
„Kriegt Du es denn hin, Ralphi, mir gut gemachte Gütesiegel zu präsentieren?“
„Wieso? Du kannst das doch mit dem PC machen. Nicht ich.“
„Das kostet aber extra.“
„Hauptsache, Piet, wir können diese Dose wegschmeißen.“
„Lass die Dose stehen!“
„Die brauchen wir doch nicht mehr. Das ist doch billig.“
„Stell sie wieder hin. Wir brauchen sie dringender denn je.“



Ralphi tauchte häufig bei Piet auf und jedes mal hatte er eine neue Geschäftsidee. Oder einen sicheren Tipp von der Rennbahn. Erstaunlicherweise war Ralphi nicht ständig knapp im Geld. Seine Trabrennbahnnase brachte ihm nicht selten genug dickes Geld, dass er hätte aufhören wollen oder müssen. So war es ihm auch jüngst wieder mit der 582:10 Siegwette auf Florino gelungen, fette Beute zu machen. Eine Beute, die Piet nicht entgangen war, der geduldig für Ralph und seine Bestattungsvorsorgeverträge mit Gütesigel bei seinen alten Tanten geworben hatte. Und Friederike wusste alles. Wusste, dass Piet ein Windhund war, wenn es ums Geschäft ging. Ralphi dagegen war ein Träumer und Spieler. So blieb es nicht aus, dass Piet dreitausend Euro an Ralphi mit der rechten Hand überwies und mit der linken viertausend Euro Provision und Bearbeitungsgebühren – der PC und so – bei Ralphi einforderte und die Florino Siegwette, Ralphis bester Rennbahn Coup, so schnell schmolz wie Schnee im April.


Diese beiden falschen Brüder konnte Friederike nicht wie die Katze in den Schuppen entführen und an Rattengift verbluten lassen. Sie konnte dem Blumenmann nicht eigenhändig den Kopf abschneiden, so wie damals dem Huhn, als sie es mit der Geflügelschere selbst mal probiert hatte. Aber sie konnte ihr Wissen teilen. Sie konnte aus ihrem schlauen Buch zitieren und Briefe schreiben und sie konnte dafür sorgen, dass sie, wenn die Fluten über dem Blumenmann zusammenschlagen würden, den besten Platz hatte, um seinen Untergang zu verfolgen. Friederike wusste auch wann der Tag des Herrn oder ihrer sein würde. Erst kürzlich hatte ihr das Radio im Toaster den Tag und die Stunde verraten.

„Was hast Du bestellt, Piet?“
„Einen Federkiel, Jannilein.“
„Nenn mich nicht so albern. Ich bin immer noch ein Kerl.“
„Pah. Du hast keine Phantasie, mein Freund.“
„Wenn es das ist, was Dich Rosen in meinen Arsch stecken lässt, will ich davon auch nicht allzu viel haben.“
„Die Rose kommt später. Aber erst der Federkiel. Drei Meter lang. Wow. Mit echter Spitze. Hör zu Jan, und die Spitze bewegt sich und schreibt elektronisch in leuchtender aber blassblauer Frauenhandschrift : Gedichte. Quer über meinen Laden.“
„Das kostet doch ein Vermögen, Piet?“
„Weißt Du, manchmal setze ich eben alles auf Sieg. Das unterscheidet uns. Vielleicht bist Du deswegen noch der Lustknabe vom Regisseur dieses Kleinkunstkellerkabaretts?“
„Du bist ein Arschloch, Piet.“
„Vergöttern wir nicht Arschlöcher?“
„Nein, Piet. Tun wir nicht. Also, ich nicht. Ich weiß Du kapierst es nicht, deswegen erkläre ich’s Dir auch nicht. Nimm’s einfach hin: Ich liebe Dich.“
(Geräusche – Anm.:FH)
“Piet. Piet! Sieh mich an. Du bist sensibel. Du bist kein Klotz. Wärst Du ein Klotz, wäre ich nicht hier. Du kannst so wunderbar sein. Ein Zauberer. Du hast Ideen und Du machst Dein Ding. Ich bewundere Dich. Also, wann kommt Dein Superduperfederkiel?“
„Samstag in acht Tagen.“
„Soll ich kommen?“
„Nein.“
„Neien!?“
„Jan, ich habe es Anna versprochen. Bitte, sei nicht böse.“
„Ich vertraue Dir, Piet.“
„Ich weiß das.“
„Und?“
„Bitte, Jan.“

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