Inhalt 
II. 

I.

Erzählung zum Thema Erziehung

von  Lala

Prolog

Meine einzige Erinnerung an die Zeit, als ich ein Kleinkind von vielleicht vier Jahren war, ist die, dass Mum, die mit einem vollbeladenen Tablett in der Hand an mir vorüberging,  es trotzdem schaffte, mir, der ich traumverloren am abgeräumten Esstisch saß und malte, den Wachsmaler von der linken in die rechte Hand zu stecken. Vielleicht hat sie dafür das Tablett auch abgestellt, vielleicht auch Dad angegiftet, er solle mehr auf mich achten, denn vielleicht lag Dad schon satt und rund in seinem Sessel und spielte mit der Spieluhr. Und vielleicht betrachtete er im Spiel versunken, die sich anmutig und verführerisch auf dem Teller drehende und Geige spielende Fee? Vielleicht.


I.

Sie sagte es mir, als wir in die neu eröffnete Shoppingmall fuhren, um die zur Eröffnung üblichen Sonderangebote auszunutzen. Ich hatte gerade die Schule beendet und war dabei, mich zu entscheiden, wie es weitergehen sollte.

„Mum, wir müssen links abbiegen.“, dirigierte ich sie durch den dichten Verkehr.
Mum nickte und fuhr rechts rum und ich bemerkte, dass ich auch rechts gemeint hatte. Aber wie konnte sie sich so sicher sein, denn wir fuhren in keinem uns bekannten Viertel?
„Das ist alles meine Schuld.“, sagte sie plötzlich, ohne mich anzublicken.
„Was ist deine Schuld?“
„Deine Schwierigkeiten mit links und rechts und so.“
„Was meinst Du?“
„Ich habe Dich umgestellt. Von links auf rechts. Ich hatte gedacht, das würde es Dir einfacher machen.“
„Wovon redest Du?!“

Sie musste vor einer Kreuzung anhalten und blickte zu mir. Sie war nicht den Tränen nahe, aber sie sah mich so an, als wäre ich nicht ihr neunzehnjähriger Sohn, sondern ein völlig Fremder gewesen.

„Von meinen Fehlern rede ich, hörst Du? Es tut mir leid. Ich dachte, dass es in einer Welt, in der mehr Rechts- als Linkshänder leben, es einfacher für Dich wäre, wenn Du nicht ständig umdenken müsstest. Verstehst Du? Dass es leichter für dich wäre, wenn Du auch im Uhrzeigersinn ticken würdest.“
„Du meinst richtig rum?“, fragte ich stutzig.
„Ja.“

„Dann bin ich eigentlich andersrum?“, grinste ich sie nach einer kurzen Pause an und war froh, einen Ausweg gefunden zu haben, dieses mir unangenehme und mir von meiner Mum unvermittelt aufgezwungene Thema beenden und das Gespräch in andere Gefilde lenken zu können.
„Blödmann.“, lachte sie mich an. „Du und andersrum – pfff.“

Und bevor Mum zu irgendwelchen Peinlichkeiten aus meiner Vergangenheit ausholen konnte, brach hinter ihr ein Hupkonzert aus. Ich nahm es zum willkommenen Anlass, mich umzudrehen und den nachfolgenden Rumhupern wilde Gesten zu machen und war erleichtert, als wir endlich weiterfuhren.

Wir sprachen nie wieder darüber. Aber in der Nacht jenes Tages, an dem sie mir ihren Fehler gebeichtet hatte, starrte ich meine linke Hand an und fragte mich, was in ihr stecken mochte.

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II. 
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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (19.08.12)
Mir ging es ähnlich. LG

 Lala meinte dazu am 19.08.12:
Hallo Azu20,

wenn es Dir um die Umdrehung der Händigkeit geht, gehe ich mal davon aus, dass dieses Motiv der Geschichte glaubwürdig erzählt wird - und das freut mich natürlich.

Danke.

Schöne Grüße

Lala

 styraxx (21.10.12)
Ein echt guter Einstieg, wobei der Prolog natürlich das Seine dazu gibt. Einfach toll wie hier die gutbürgerliche Familienidylle geschildert wird. Kein Wort zuviel und keines zu wenig. Nein, darben muss diese Familie nicht.
"denn vielleicht lag Dad schon satt und rund in seinem Sessel und spielte mit der Spieluhr."
Der Prolog endet mit dem Wort "vielleicht". Und es könnte so gewesen sein, oder auch nicht? Egal, die Möglichkeitsform, zumindest mir geht es so, ist eine Einladung zum Weiterlesen, die ich gerne annehme. Und das Motiv Links- oder Rechtshänder gibt natürlich viel her. Bin gespannt wie es weiter geht. LG

 Lala antwortete darauf am 23.10.12:
Hallo styraxx,

Danke für die lobenden Worte. Ist ja schon immer hilfreich, wenn der Leser nicht gleich abgeschreckt wird. Hoffentlich hielt oder hält das Interesse am Text noch an. Schön, dasss Du die Möglichkeitsform und das "Vielleicht" erwähnst. Es war und ist mir wichtig - aber nicht so, dass der Text davon abhänge. Es gibt vielleicht - schon wieder vielleicht - nich einen anderen Akzent.

Danke fürs Lesen und Empfehlen.

Schöne Grüße

Lala
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