"Sie kommen hier nicht rein"

Bericht zum Thema Aktuelles

von  Momo

Heute morgen fuhr ich in die Stadt zum Schlossflohmarkt, der zwar groß angekündigt war, doch als ich in die Stadt hinein fuhr, sah ich jede Menge Polizei, aber weit und breit keinen Floh. Ich ging zum angrenzenden Marktplatz, kämpfte mich durch eine Traube festlich gewandeter Menschen, die sich vor der Lambertikirche gebildet hatte, und kaufte mir erst einmal ein Eis. Aber auch hier kein Flohmarkt, nur ein paar Leute, die mich ratlos fragten, ob ich wüsste, wo denn hier der Flohmarkt sei.

Wenn schon kein Floh, dann doch wenigstens noch einen kleinen Gang durch den Schlosspark, dachte ich. Vielleicht könnte ich noch ein paar schöne Fotos machen.
Auf der gegenüberliegenden Seite hatte sich eine lose Gruppe Demonstranten versammelt. „Kein Vergessen, kein Vergeben, 8. Mai – Tag der Befreiung.“
Darum also das Polizeiaufgebot. Demonstrationen werden in einer Demokratie begleitet und geschützt!

Vor dem schmiedeeisernen Tor des Parkeingangs stehen fünf bis sechs Beamte mit ihren Walkie-Talkies. Ein junges Paar mit Kind und noch einige andere Leute gehen hinein. Als ich das Tor öffnen will, greift der rechts von mir stehende Beamte ein, schlägt mir das Tor vor der Nase zu und hält sie fest. „Was wollen Sie?“, fragt er mich. „Ich will da rein“, antworte ich. „Sie kommen da nicht rein.“ Ich glaube zuerst an einen Scherz. Dann blicke ich in sein entschlossenes Gesicht – es ist kein Scherz. „Warum nicht“? „Weil mich der Veranstalter beauftragt hat, einen bestimmten Personenkreis nicht zuzulassen.“ „Und das bin ich“, stelle ich fest. „Warum, ich meine, warum sind diese Leute“, ich deute auf das kleine Grüppchen vor mir, die sich schon in der Ferne des Parks verlieren, „hereingekommen, und ich nicht“, frage ich ungläubig.
Ich schaue kurz an mir herunter. Liegt es an meinem Eis, an meiner Nase, an meinen Haaren? Was ist an mir anders? Ich trage heute meine neu erstandene, brombeerfarbene weite Hose und eine weite Bluse dazu. Sehe ich damit zu konservativ aus? Ich bin total irritiert.
„Das ist eben so“ sagt der Ordnungshüter zu mir, „da braucht es gar keinen Grund, ich muss mich vor ihnen nicht rechtfertigen.“ Mir verschlägt es die Sprache. „Ach“, sage ich, blicke noch einmal zu seinen Kollegen, denen jetzt auch das Lachen vergangen ist, „ich wundere mich“. „Ja“, sagt mein rechts neben mir stehender Beamte, „ich mich auch“, und damit drehe ich mich um und gehe.
Dann eben kein Schlossfloh, kein Schlosspark, ich habe ja noch mein Eis.
Aber verunsichert bin ich jetzt, und irritiert. Seh ich jetzt schon so konservativ aus, dass ich eine linke Veranstaltung stören könnte?
Als ich über die Straße zurückgehe, drückt mir eine junge Demonstrantin ein Flugblatt in die Hand. „Bundeswehrkonzert verhindern! 8. Mai – 10 Uhr, Schlossgarten.“
Jetzt geht mir ein Licht auf und meine Welt rückt sich wieder gerade. Für die Ordnungshüter mag ich zwar draußen stehen und auf der falschen Seite, aber da stehe ich gern, weil es sich für mich richtig anfühlt. Dagegen stört es mein Demokratieempfinden, wenn eine zu weite Hose, nebst Bluse und offene Haare zum Ausschluss einer öffentlichen Veranstaltung führen auf einem mit öffentlichen Mitteln gebauten Park.
Die Bundeswehr liebt es eben eng und zackig, da ist ihr schon zu weite Kleidung ein Dorn im Auge, das verstehe ich ja, was das Ganze jetzt aber mit Demokratie zu tun haben soll, wird mir wohl immer verschlossen bleiben.


Anmerkung von Momo:

Anmerkung:
Der Anlass für das Konzert der Bundeswehr im Schlossgarten ist nicht der 8. Mai als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus, sondern die Patenschaft der Stadt mit der Bundeswehr.
In einem Zitat aus dem Verteidigungsministerium heißt es: „Patenschaften … sollen das Verständnis der Bürger für die Bundeswehr als Instrument einer wehrhaften Demokratie zur Friedenssicherung fördern.“

Auf jeden Fall weiß ich jetzt, was unter einer wehrhaften Demokratie zu verstehen ist.

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Kommentare zu diesem Text


 Sanchina (08.05.11)
Hallo Momo, der Text steht erst einmal auf meiner Merkliste. Ich möchte schon gern kommentieren, aber ersteinmal hat es mir die Sprache verschlagen.
Gruß, Barbara

 AZU20 (08.05.11)
Mit Demokratie natürlich nichts, mit unserer bundesrepublikanischen Befindlichkeit eine ganze Menge. LG

 Momo meinte dazu am 08.05.11:
Die bundesrepublikanische Befindlichkeit, ein Sensibelchen, hm?
Danke, Azu.

Liebe Grüße, Momo
Caty (71)
(08.05.11)
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 Momo antwortete darauf am 08.05.11:
Doch, doch, ich denke, es war meine sehr legere Kleidung heute, ein wenig unkonventionell, vllt zu unkonventionell, ein „Signalements“ sozusagen. Ja, das dachte ich mir im Nachhinein auch, dass die Polizei die Leute nach bestimmten Kennzeichen einordnet, und ich blieb im Raster hängen.

Ich sah einmal einen Bericht über Guantanamohäftlinge, die einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen waren, und weil sie bestimmte Kennzeichen und Merkmale trugen, für Terroristen, zumindest aber für Sympathisanten gehalten wurden, in Wirklichkeit aber nichts mit El-Kaida zu tun haben.

Danke für Deinen Kommentar, Caty.

Liebe Grüße, Momo
Anne (56)
(08.05.11)
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 Sanchina schrieb daraufhin am 08.05.11:
Hallo Momo, als ich hier noch neu war, stand in meinem Autorenprofil, dass ich Juristin bin. Ich habe die Berufsangabe inzwischen entfernt. Zu deinem Text möchte ich mich aber in meiner Eigenschaft als Juristin äußern.

Du nennst den Text zwar einen Bericht; er liest sich aber leicht und locker wie eine Erzählung über etwas Alltägliches.

Natürlich geht es nicht um deine Kleidung. Das Ereignis, das du schilderst, ist deshalb so brisant, weil es einen Akt haarsträubender Willkür aufzeigt, den es in einem Rechtsstaat eigentlich nicht geben darf.

Die Formulierung „ ... einen bestimmten Personenkreis nicht zuzulassen“ verschleiert, dass das Gegenteil der Fall ist: der Personenkreis, der nicht zugelassen wird, ist tatsächlich vollkommen unbestimmt.

Den Polizisten wird doch lediglich gesagt, dass es gilt, zu befürchtende Proteste möglichst zu verhindern. Zu entscheiden, wer nicht rein gelassen wird, bleibt den einzelnen Polizisten überlassen.

Jeder Psychologe (oder welche professionellen Menschenkenner gibt es noch?), dem man ansinnen würde, nach einem einzigen flüchtigen Blick auf eine ihm unbekannte Person einzuschätzen, ob es sich um einen potentiellen Demonstranten oder eine Demonstrantin handelt, würde sagen: „tut mir leid, das kann ich nicht.“ Eine derartige Qualifikation gibt es nämlich nicht.

Aber ein Polizist kann das?

Ein Polizist ist ein Vertreter der Exekutive, mithin der Staatsgewalt. Die Exekutive kann ihre Macht am effektivsten ausüben, wenn kein demokratisches Brimborium sie dabei stört.

Oder soll etwa jemand, den ein Polizist auf den allerersten Blick als Krawallmacher erkennt, denn auch noch Rechte haben? Wo kämen wir denn da hin? Ein bisschen Willkür muss schon sein, wenn man Macht wirksam ausüben will.

Es ist immer eine schleichende Entwicklung, die zu einer Willkürherrschaft führt. Ich denke mir schon seit Jahren, dass wir wieder auf dem Weg in eine Diktatur sind. Viele meiner ehemaligen Kollegen teilen diese Meinung (und das sind keineswegs nur die „linken“). Denn auch ein demokratisch gesinnter Rechtsanwalt, dem du diesen Bericht vorlegst, wird sich machtlos sehen. Nachträglich den Zutritt zu einer Veranstaltung, die schon vorbei ist, zu erzwingen, geht nicht.

Und eines Tages ist so etwas dann alltäglich und ganz normal. Ich fürchte, dies ist heute schon der Fall. Die Entwicklung vollzieht sich unbemerkt. Was ist denn schon passiert? Du hast doch keinen Schaden erlitten! Der Tageszeitung ist dein Erlebnis sicher keine Schlagzeile wert. Erzähl es deiner Nachbarin oder deinem Gegenüber in der Straßenbahn: niemand wird sich dafür interessieren! Manch einer mag heimlich denken: „Wird schon was dran sein, wenn die Polizei das so entschieden hat.“

Übrigens: der 8. Mai war dieses Jahr auch keine Zeitungsmeldung wert. Ich habe nicht alle Texte gelesen, die am „Tag der Befreiung“ hier bei kV erschienen sind. Soweit für mich ersichtlich, ist dein Text der einzige, der daran erinnert. Dafür reich ich dir die Hand.

Gruß, Barbara

PS: Ich konnte heute keinen zweiten Kommentar senden, deshalb hab ich angehängt.

 Momo äußerte darauf am 08.05.11:
@Anne
Aber dir sind doch Worte eingefallen, liebe Anne, für die ich dir danke!

Grüße ich deinen Abend
Momo

@Sanchina
„Haarsträubende Willkür“ – so habe ich es empfunden.
Wenn mir ein Polizist sagt, er brauche keinen Grund, um mich daran zu hindern, einen öffentlichen Park zu betreten (von dem Konzert habe ich zu diesem Zeitpunkt ja noch gar nichts gewusst und hätte ich – es hätte mich sowieso nicht interessiert) und es brauche dafür keine Rechtfertigung, dann ist das krasseste Willkür.
Aber wahrscheinlich trug ich, wie bei Catys Rekomm schon erwähnt, bestimmte Merkmale, die auf jenen Personenkreis zutraf, der nicht erwünscht war. Natürlich kann das nur an Äußerlichkeiten festgemacht werden, und damit beginnt es, gefährlich zu werden.

„Und eines Tages ist so etwas dann alltäglich und ganz normal. Ich fürchte, dies ist heute schon der Fall.“
Das fürchte ich auch!

Ich danke dir sehr für deinen ausführlichen Kommentar, Barbara, der meinen Bericht einer nicht ganz alltäglichen Erfahrung durch wichtige und nachdenklich machende Gedanken ergänzt.

Ich grüß dich
Momo
baerin (53)
(08.05.11)
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 Momo ergänzte dazu am 09.05.11:
Hallo Chris,

meinst du DEN in Stuttgart? Ja, du liegst richtig, kennst dich aus in Oldenburg. ;)

Ich war eigentlich weniger sauer, als tatsächlich erstaunt und verwundert. So etwas ist mir noch nie passiert. Aber mein Herz schlägt links, das konnte man vllt schon von weitem pochen sehen.
Zum Runterziehen braucht’s mehr, so wichtig war der Gang durch den Schlossgarten für mich nicht. :)

Liebe Grüße, Momo
baerin (53) meinte dazu am 09.05.11:
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steyk (57)
(09.05.11)
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 Momo meinte dazu am 09.05.11:
Wenn Demokratie Auslegungssache ist, dann ist es der Rechtsstaat wohl auch? Und die Menschenrechte, und …

Liebe Grüße, Momo

 Dieter_Rotmund (22.10.18)
Ach, das waren noch Zeiten, als Bundeswehrkonzerte Aufreger waren.... Sehr nostalgischer Text, nolens volens.
Dennnoch gerne gelesen.
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