Hinter deinen Augen - Teil 2
Kurzgeschichte zum Thema Leben/Tod
von MrDurden
Kurz nach 07:00 Uhr, ein Montagmorgen im Herbst und es ist kalt in Detroit. Die Heizung meines roten 71er Mustang funktioniert seit Jahren nicht, doch mit etwas Zeit gewöhnt man sich an beinahe alles. Wie jeden Morgen winkt mir Allie vom Fenster aus zu, während ich den Motor starte und mich auf den Weg zur Arbeit mache. Southwest End Street in Delray, hier habe ich den größten Teil meines Lebens verbracht. Nicht Vorstadt und nicht Downtown. Irgendetwas zwischen einem sorgenfreien Leben und der hoffnungslosen Randzone einer modernen Gesellschaft. Doch wir haben uns und das ist weitaus mehr, als man in einer solchen Stadt als selbstverständlich bezeichnen kann. Alice und ich kennen uns seit der Highschool. Mit Sicherheit zwei der gewöhnlichsten Lebensgeschichten, die man sich vorstellen kann. Weder große Perspektiven noch der Mut, dieses mehr oder weniger behütete Nest zu verlassen. Und trotz aller Zufriedenheit mit unserem kleinen, großen Glück, ist vor etwa zwei Wochen alles aus den Fugen geraten.
Mit einem Zwinkern in ihre Richtung fahre ich los. West End Street geht über in Springwells Street. Brücke über den Fisher Freeway. Kleinkariertes Vorstadtmuster. Einfamilienhäuser. Kombis mit Kindersitzen. Pershing Street, Central Avenue und schließlich Phoenix Academy. Seit nunmehr fünfzehn Jahren bin ich Hausmeister an dieser Schule. Flure wischen, Tafelkreide besorgen, mich über kleine Prügeleien amüsieren und wieder Flure wischen. Über Stress am Arbeitsplatz konnte ich mich nie beschweren. Nachdenklich parke ich am Straßenrand. 07:30 Uhr, der Motor verstummt und ein neuer Tag gleicht dem vorherigen auf die Minute.
Gähnend reibe ich meine kalten Hände und beobachte all die Kinder auf ihrem Weg ins Schulgebäude. Zwei Wochen und es kommt mir vor, als sei die Diagnose schon zwei Jahre alt. Fieber, Schwächeanfälle, andauernde Übelkeit, nach einigen Tagen brachte ich Allie ins Krankenhaus. Bösartiger Tumor, direkt unter dem Schädelknochen hinter ihrer Stirn. Wachstum fortgeschritten, ohne Operation geben ihr die Ärzte noch zwei Monate, bestenfalls drei. 50.000 Dollar, keine Krankenversicherung und mit einem Teilzeitjob als Hausmeister an der Phoenix Academy auch keine Kreditwürdigkeit. Keine Bonität in den USA, blanke Ironie. In drei Wochen wird sie das Haus nicht mehr verlassen können, sagen sie. In fünf Wochen wird sie nicht mehr wissen, wer sie ist, wer ich bin, sagen sie. Wie kommt ein 35-jähriger Kerl ohne Familie und Verwandtschaft also in weniger als drei Wochen an 50.000 Dollar?
Die Schulglocke, gleich niemand mehr auf den Fluren, endlich. Ich steige aus, schließe den Wagen ab und schlendere in Richtung Schule. Es wäre ein Wunder, würde ich an jemanden geraten, der mehr als 5.000 Dollar für meinen alten Mustang entbehren wollte. Aber es gibt einen Weg. Nicht gerade sinnvoll und letztendlich wohl ein Schuss ins eigene Bein, doch verzweifelte Situationen erfordern bekanntlich verzweifelte Maßnahmen. Alles, was ich brauche, sind ein paar Tausend Dollar, angemessene Abendgarderobe und mehr Glück als Verstand. Ist schon eine gefühlt Ewigkeit her, für diesen Detroiter Protzschuppen müssten meine Fähigkeiten aber noch reichen.
Kurz vor 08:00 Uhr, ein Montagmorgen im Herbst und es ist kalt in Detroit. Besenkammer, Putzwasser, Reinigungsmittel. Und ein neuer Tag gleicht dem vorherigen auf die Minute.
Mit einem Zwinkern in ihre Richtung fahre ich los. West End Street geht über in Springwells Street. Brücke über den Fisher Freeway. Kleinkariertes Vorstadtmuster. Einfamilienhäuser. Kombis mit Kindersitzen. Pershing Street, Central Avenue und schließlich Phoenix Academy. Seit nunmehr fünfzehn Jahren bin ich Hausmeister an dieser Schule. Flure wischen, Tafelkreide besorgen, mich über kleine Prügeleien amüsieren und wieder Flure wischen. Über Stress am Arbeitsplatz konnte ich mich nie beschweren. Nachdenklich parke ich am Straßenrand. 07:30 Uhr, der Motor verstummt und ein neuer Tag gleicht dem vorherigen auf die Minute.
Gähnend reibe ich meine kalten Hände und beobachte all die Kinder auf ihrem Weg ins Schulgebäude. Zwei Wochen und es kommt mir vor, als sei die Diagnose schon zwei Jahre alt. Fieber, Schwächeanfälle, andauernde Übelkeit, nach einigen Tagen brachte ich Allie ins Krankenhaus. Bösartiger Tumor, direkt unter dem Schädelknochen hinter ihrer Stirn. Wachstum fortgeschritten, ohne Operation geben ihr die Ärzte noch zwei Monate, bestenfalls drei. 50.000 Dollar, keine Krankenversicherung und mit einem Teilzeitjob als Hausmeister an der Phoenix Academy auch keine Kreditwürdigkeit. Keine Bonität in den USA, blanke Ironie. In drei Wochen wird sie das Haus nicht mehr verlassen können, sagen sie. In fünf Wochen wird sie nicht mehr wissen, wer sie ist, wer ich bin, sagen sie. Wie kommt ein 35-jähriger Kerl ohne Familie und Verwandtschaft also in weniger als drei Wochen an 50.000 Dollar?
Die Schulglocke, gleich niemand mehr auf den Fluren, endlich. Ich steige aus, schließe den Wagen ab und schlendere in Richtung Schule. Es wäre ein Wunder, würde ich an jemanden geraten, der mehr als 5.000 Dollar für meinen alten Mustang entbehren wollte. Aber es gibt einen Weg. Nicht gerade sinnvoll und letztendlich wohl ein Schuss ins eigene Bein, doch verzweifelte Situationen erfordern bekanntlich verzweifelte Maßnahmen. Alles, was ich brauche, sind ein paar Tausend Dollar, angemessene Abendgarderobe und mehr Glück als Verstand. Ist schon eine gefühlt Ewigkeit her, für diesen Detroiter Protzschuppen müssten meine Fähigkeiten aber noch reichen.
Kurz vor 08:00 Uhr, ein Montagmorgen im Herbst und es ist kalt in Detroit. Besenkammer, Putzwasser, Reinigungsmittel. Und ein neuer Tag gleicht dem vorherigen auf die Minute.