Über die ungewisse Zukunft

Essay zum Thema Zukunft

von  loslosch

Ignoratio futurorum malorum utilior est quam scientia (Cicero, 106 v. Chr. bis 43 v. Chr.; De divinatione - Über die Sehergabe). Die Unkenntnis zukünftigen Übels ist nützlicher als seine Kenntnis.

Seit der Mensch über seine Sterblichkeit nachdenken und urteilen kann, treibt ihn die Frage über das Zukünftige um. Sentenzen zu dieser Thematik sind daher ein klassischer Dauerbrenner. Der Ausspruch Ciceros über lauerndes, verborgenes Unglück ist leicht verständlich; denn es leuchtet unmittelbar ein, dass ein Leben unter diesen Konditionen zur Qual würde. Hier zugleich als Warnung an die antiken Zeitgenossen, mit der damals populären Zukunftsdeutung (aus Vogelflug, Tierskeletten etc.) behutsam umzugehen.

Die Unergründlichkeit des Zukünftigen ist leicht instrumentalisierbar, als Trost für die Benachteiligten ebenso wie als Rückversicherung der Herrschenden. Dass Zukünftiges im Dunkeln liegt, ist in der Moderne kein wissenschaftliches Thema mehr. Kann man also davon absehen? Leider nein. Allzu viele Menschen suchen und finden ihr Heil in der Zukunftsdeutung, die quasi professionell als therapeutisches Gespräch angeboten wird (Kartenlegen, Handlesen, Kaffeesatz, Kristallkugel, Astrologie etc.). Dabei scheitern diese Konzepte bereits an inneren Widersprüchen. Richtet der "Beratene" sein Verhalten nach dem Zuspruch aus, beeinflusst er den interdependenten Prozess der Zukunft; die "Beratung" müsste also nachjustiert werden und so fort. Welches potentielle Ehepaar lässt sich (normalerweise!) auf eine Ehe ein, die angeblich zum Scheitern verurteilt ist? Eine prekäre Ausgangssituation für den Wahrsager.

Projiziert man das Wissen um das Zukünftige auf eine kosmische (göttliche) Allmacht, ist die Antinomie zwischen Willensfreiheit und Vorsehung unauflöslich. Am Ende mündet die Debatte in der Theodizee (Gottes Gerechtigkeit oder Rechtfertigung), der Frage also, wie dieser Geschicke-Lenker allmächtig, gerecht, gütig sein und Leid in der Welt zulassen kann.


Anmerkung von loslosch:

Das Problem der Theodizee:


Entweder will Gott die Übel beseitigen und kann es nicht:
Dann ist Gott schwach, was auf ihn nicht zutrifft.
Oder er kann es und will es nicht:
Dann ist Gott missgünstig, was ihm fremd ist.
Oder er will es nicht und kann es nicht:
Dann ist er schwach und missgünstig zugleich, also nicht Gott.
Oder er will es und kann es, was allein für Gott ziemt.
Woher kommen dann die Übel und warum nimmt er sie nicht hinweg? (Nach Wikipedia.)

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Kommentare zu diesem Text

AronManfeld (43)
(15.03.13)
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 loslosch meinte dazu am 15.03.13:
in kenntnis des todesdatums sich schon vorher umbringen! logischer widersinn, gut verballhornt: aus angst vor dem tod selbstmord begehen. lo
mathis (48)
(15.03.13)
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 loslosch antwortete darauf am 15.03.13:
makaber auf das menschliche elend heruntergebrochen. lo

 loslosch schrieb daraufhin am 12.11.16:
ja, und eine kaste wäre brotlos!

 TrekanBelluvitsh (15.03.13)
Oder um es profan auszudrücken: Für endliche Wesen, die in der Zeit leben, ist darum ein Fußballspiel so interessant: Vor dem Anpfiff weiß man nicht, was in den nächsten 90 Minuten geschieht.

Und darum sind solch 'schönen' Hobbys wie die Jagd und der Stierkampf nicht nur Tierquälerei sondern auch unmenschlich: Jeder weiß schon zu Beginn, was das Ende ist. Nur einmal möchte ich sehen, wie die Füchse sich zusammentun und die Jäger samt Pferden verspeisen. Ob die dann wohl auch Hörner blasen...?

 loslosch äußerte darauf am 15.03.13:
zum fußball fällt mir ein: Ante Šapina. der "wusste" mehr.

zum stierkampf (und zum auto-rennsport): unbewusst bei vielen sensationsgierigen: wenn der stier nun aber doch zustößt. (wenn der rennfahrer im doppelten sinn die kurve kratzt ...) lo

 Bergmann (15.03.13)
Stark!

Ciceros Sentenz in heutigen Ohren: leicht missverstehbar als Aufforderung zur Verdrängung ...

ttU

 loslosch ergänzte dazu am 15.03.13:
ist auch eine gefahr meiner rosinenpickerei. t.t. lo

 Bergmann meinte dazu am 15.03.13:
Ausweg: Wer sich seiner Verdrängung bewusst ist, wird's damit nicht übertreiben. Andererseits war immer schon segensreich: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Umgekehrt: Ich werd nicht heiß, wenn ich nichts weiß. Mein Fazit: Cicero war einer der klügsten Römer überhaupt. Ich las im Geschichtsstudium unter anderem De re publica und schrieb darüber (auf deutsch). In dem Seminar war keine Guttenbergische Praxis möglich. Man muss den Professoren auf die Finger schauen und ihnen ihre Augenbinden wegnehmen ...
ttU

 loslosch meinte dazu am 15.03.13:
einen besseren hätte ich noch im angebot: lukrez (~97 bis ~55 v. chr.). er wurde nur 42, cicero, sein zeitgenosse, dagegen 63.

ich muss da mal was zeitlich nach vorne packen, uli.

 Rudolf (15.03.13)
Ein gut geschriebener Text, aber inhaltlich schwach. Du klammerst alle naturwissenschaftlichen Erkenntnisse aus. Das Erforschen von Naturgesetzen ist nichts anderes als der Blick in die Zukunft. Wo es nicht genauer geht, versuchen wir uns mit Risikomanagement und Risikovorsorge auf Zukünftiges einzustellen. Ganz banal stellt sich mir die Frage, was daran nützlich sein soll, wenn ich nicht weiß, dass es am Nachmittag ein Unwetter gibt und ein Gartenfest plane.

 loslosch meinte dazu am 15.03.13:
... Das Erforschen von Naturgesetzen ist nichts anderes als der Blick in die Zukunft ...

zu kurz! natürlich werden prognosen dadurch überhaupt erst seriös. aber immer unter rebus sic stantibus bzw. variierenden annahmen der anwendungsbedingungen.

und das weite feld der selffulfilling- und selfdestroying-prophecies. mein text hat sich am cicero-zitat vorgetastet. lo

 Rudolf meinte dazu am 15.03.13:
… vielleicht schreiben wir aneinander vorbei, aber ich finde es besser, wenn ich weiß, dass ein Tsunami kommt, und vom Strand gehe.

Selbst wenn ich weiß, dass das Flugzeug abstürzt und ich keinen Fallschirm habe, kann ich mir immer noch überlegen, wie ich die Zeit bis zum Eintritt des Ereignisses sinnvoll nutze, oder? Vielleicht ist die Sitznachbarin nett oder die Bar gut gefüllt.

Also, Kopf hoch und keine Angst, nur weil ein bisschen Zukunft vor uns liegt

 loslosch meinte dazu am 15.03.13:
ja, etwas vorbei. ich antworte gleich auf ekkis kommi unten - zum themenkomplex. schau mal später dort. lo

 Momo (15.03.13)
Das denke ich manchmal über die vielen Vorsorgeuntersuchungen, die Krankheiten feststellen können, die man gar nicht wahrnahm, mit denen der Körper in dem Bewusstsein der Gesundheit aber auch oft selber fertig wird, in dem Bewusstsein der Krankheit aber tatsächlich lebensbedrohlich krank wird.

Über deine Anmerkung:
Menschliche Gedanken über einen menschelnden Gott.

LG Momo

 loslosch meinte dazu am 15.03.13:
der gedanke in der anmerkung ist ein sehr alter. unsere erwägungen können nur menschliche sein. wenn wir "göttliche", außerlogische möglichkeiten in betracht ziehen, wird unser denken beliebig. wie mag der "schöpfer" auf die menschlichen religionskriege herabblicken? lo

 Momo meinte dazu am 15.03.13:
Wie soll man einen Gott, der mit Sicherheit außerhalb der Logik steht, logisch erfassen können?
Es gibt analoge Möglichkeiten des Denkens, das die Wirklichkeit u.U. eher erfasst als das logische mit (s)einem Ursache-Wirk-Prinzip.
Du sollst dir kein Bildnis machen, heißt es in der Bibel. Da es den „Schöpfer“ wohl nur in unseren Vorstellungen gibt, wird er auch nicht herabblicken, denke ich mal.

 loslosch meinte dazu am 15.03.13:
herabblicken mag auch heraufblicken oder wahrnehmen bedeuten. wir merken schon: das ganze rel. brimborium ist ausdruck von hilflosigkeit ...

 EkkehartMittelberg (15.03.13)
Lothar, du hast deinen Kommentar diesmal als Essay bezeichnet. Mit Recht, wie ich meine, denn er greift in Verbindung mit der Wikipedia-Anmerkung tiefer.
Das rasche Voranschreiten der Naturwissenschaften macht heute in einigen Fällen die Zukunft kalkulierbarer. Nehmen wir das Beispiel eines an Aids erkrankten Menschen. Es lohnt sich für ihn, nicht in Verzweiflung zu verfallen, weil absehbar ist, dass ihm geholfen werden kann.

 loslosch meinte dazu am 15.03.13:
kalkulierbarer, jaaa!

ich muss auch gleich das missverständnis ausräumen, das mein essay hervorrufen kann.

weiß ja keiner, dass ich lange jahre an wirtschaftsprognosen mitgearbeitet habe. prognosen, basIerend auf seriösen daten mit plausiblen annahmen, dienen der planbarkeit der zukunft. oft liegen sie daneben. manchmal sind sie nur deshalb volltreffer, weil sich fehler in den annahmen und rahmenbedingungen zufällig kompensieren.

aus dem nähkästchen: ein spezial-prognostiker schrieb mal, in etwa: im kommenden jahr dürfte die preisrate des privaten verbrauchs eher etwas wenig deutlich zunehmen als in der vorperiode.

der bursche wusste um die begrenzheit von prognosen und schwurbelte rum!

zu den wetterprognosen, dieser tage wieder erlebt: die prognose für den 10.3.13 war am 8.3. stimmiger als am 9.3. (aber das merkt kaum einer.) trotzdem sind wetterprognosen sinnvoll. sie müssen halt noch besser werden.

dein aids-beispiel, lieber ekki, belegt die verbesserte möglichkeit einer krankheitsprognose. t.t. lo
Graeculus (69)
(12.11.16)
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 loslosch meinte dazu am 13.11.16:
schon aus logischen gründen bin ich kein a-theist. die gläubigen glauben was zu wissen. auf diese ebene der argumentation begebe ich mich nicht.
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