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Supergau: 15.5.96
„für Blindheit bestraft.“
„Prolog.“
Ich habe im Jahre 45 kurz vor Kriegsende im Alter von 8 Jahren durch eine Handgranatenexplosion Mein Augenlicht verloren. Zusätzlich auch das linke Bein. Für diese Kriegsopfer wurde ein Gesetz KOVG „Kriegsopferversorgungsgesetz“ Geschaffen, welches 1950 in Kraft trat. Durch dieses Gesetz war für meine finanzielle Existenz gesorgt.
Meine Frau Claudia kommt abends von der Arbeit nach Hause und liest die eingegangene Post. ich spreche mit meinem Sohn René und seiner Freundin Andrea,
die gerade vom Skilaufen am Flumserberg zurück gekommen waren. Da ruft Claudia
mit ängstlich erstickter Stimme: Ich glaube da ist etwas nicht gut.
Ich gehe zu ihr ins Büro, setze mich auf einen Stuhl. Claudia liest mir aus
einem Schreiben vom Konsulat St.Gallen vor, Ich müsse unverzüglich meinen
Reisepass und meinen Österreichischen Staatsbürgerschaftsnachweis
eingeschrieben an das Konsulat schicken, da meine Österreichische Staatsbürgerschaft durch die Erlangung der Schweizer Staatsbürgerschaft fristlos
aberkannt worden sei. Mir wurde mit einem Ruck der Boden unter meinen Füssen weggezogen und ich stürzte haltlos in eine für mich ungesicherte
gesetzliche Baugrube an der Grenze zwischen Schweiz und Österreich. Bis zu diesem Zeitpunkt Hat mir niemand die Existenz einer solchen teuflischen Gesetzesfalle bewusst
machen können. Die Nachricht hatte mich wie ein
Blitz aus heiterem Himmel getroffen. Ich wusste sofort, dass meine
Kriegsopferrente auf der Stelle verloren war. Mein einziges zählbares
Einkommen war unweigerlich an die Österreichische Staatsbürgerschaft gebunden.
Als mehrfaches Krüppel musste ich nun sehen, wie ich wieder zu meiner Staatsbürgerschaft in Österreich kommen könnte.
Mein Sohn René rief sofort im Konsulat in St.Gallen an, um die näheren
umstände zu eruieren, wie es zu diesem plötzlichen Verlust meiner
Staatsbürgerschaft kommen konnte. Honorakonsul Frau Häferle meldete sich und antwortete mit schroffem, unfreundlichen Ton: Ich sei ein mündiger Bürger
und müsse wissen was ich unterschreibe. Ausserdem müsse ich die Gesetze kennen.
Wie wir später feststellen konnten, wussten die wenigsten Politiker über das Staatsbürgergesetz bescheid und wie es zu so einem abrupten Verlust führen
konnte. Der Welser Abgeordnete zum Nationalrat Herr Heidinger konnte mir diese teuflische Automatik erklären. Sie funktioniert ohne geringste Vorwarnung.
Wenn du in der Schweiz einen Antrag für Einbürgerung stellst, geht ohne irgend
eine Vorwarnung die Österreichische Staatsbürgerschaft verloren.
Mit Frau Fernandez aus dem Generalkonsulat für Österreich in Zürich besprachen wir telefonisch alle Möglichkeiten für eine Wiedererlangung der Österreichischen
Staatsbürgerschaft. Fernandez erkundigte sich bei dem zuständigen Beamten für Staatsbürgerschaftsangelegenheiten im Lande Steiermark. Ein Unzuständiger Mann
wie ich später herausfinden konnte, da zu diesem Zeitpunkt dieses Amt aufgelöst worden war und direkt dem Landeshauptmann unterstellt war. Eröffnete Frau Fernandez, dass die Aussichten so gut wie null seien. Da ich als Rentenempfänger dem Staat sehr viel Geld koste, werde er mir nicht die
geringste Hilfe anbieten, um wieder in den Österreichischen Staatsverband
aufgenommen zu werden. Er gab sich wie ein echtes Charakterschwein. Der Beamte
hatte überhaupt nicht die geringste Kompetenz so etwas unqualifiziertes zu
sagen. Bei dieser Mitteilung von Frau Fernandez begann ich hemmungslos in den Telefonhörer zu weinen, so dass auch Frau Fernandez grosses Mitgefühl mit mir
und Claudia empfand. Mein Sohn René fuhr nach seinem ein wöchentlichem Urlaub
von Walenstadt Schweiz wieder nach Hause und begann in Wels eine beispiellose
intensive Suche nach einen Weg, die Staatsbürgerschaft wieder zu erlangen.
In drei Tagen hatte er den einzig möglichen Weg gefunden. Ich fuhr am 5. März
95 nach Wels und meldete mich unverzüglich polizeilich in Wels
bei meinem Sohn Rene Lichteneggerstrasse 53 als festen Wohnsitz an.
Das war ein Reihenhaus, das ich vor kurzem meinem Sohn Rene notariell
überschrieben hatte. Dort musste ich nun ein Jahr lang Wohnen. Genau genommen
183 Tage im Jahr. Ausserdem war ich bei meinem Sohn in seinem Tonstudio als Arbeitnehmer gemeldet. So verlangte es das Gesetz.
So lebte ich nun in Wels Oberösterreich und meine Frau in Walenstadt in der
Schweiz. Unsere Traurigkeit war unbeschreiblich, wir weinten täglich wenn wir
Telefonisch Kontakt aufnahmen.
Nach einer Wartezeit von 12 Monaten sollte ich, wenn nichts unvorhergesehenes dazwischen kam, meine Österreichische Staatsbürgerschaft wieder verliehen
bekommen. Vorher hatte ich schon an alle erdenklichen Persönlichkeiten
Bittgesuche geschrieben, da ich noch immer nicht kapierte, dass es bei diesem
Gesetz um ein Landesgesetz handelte. Darunter an Bundespräsident Klestil und Bundeskanzler Vranitzki und an das Bundessozialamt in Wien. Ich bekam auch von
allen freundlicher Weise ein Antwortschreiben, wo sie ihr grösstes Bedauern
über mein Missgeschick ausdrückten, jedoch mir in diesem Falle nicht helfen
könnten, da sie für mein Anliegen nicht zuständig seien. Die Gesuche füllen
einen Ordner von 40 Seiten. Keiner von den Politikern konnte oder wollte mir
den richtigen Weg aufzeigen. Verständlich wenn man bedenkt, wie viel sich der Österreichische Staat in meinem Falle ersparen konnte. Es ist traurig aber die Wahrheit. Jeder versteckte sich hinter unverständliches Gesetzeswerk. Von mir wurde vom Standpunkt des Österreichischen Konsulat in st. Gallen verlangt, dass ich die Gesetze aus dem ff kennen müsste. Zu keiner Zeit bekam ich irgendein Gesetzesblatt in die Hand und lesen konnte ich es zu dieser Zeit auch nicht. Ich muss hie auch noch deutlich festhalten, dass ich bevor ich den Antrag auf erleichterte Einbürgerung in der Schweiz unterschrieb, habe ich mich telefonisch in Wien bei meinem zuständigem Bundessozialamt erkundigt ob die Doppelbürgerschaft für mich auf den Bezug meiner Rente keinen negativen Einfluss habe. Es wurde mir zugesichert, dass dies keinen Einfluss habe. Ich habe mich auf diese Zusicherung verlassen, was sich später als äusserst Fatal erwiesen hat.
René hatte den einzigen Weg ausfindig gemacht, der ausschliesslich über Doktor Stummer in der Oberösterreichischen Landesregierung führte. Verschiedene Versuche die 12 Monate Wartezeit abzukürzen schlugen alle samt fehl. Man hätte mir die zweite Hälfte des Jahres erlassen können, diese Möglichkeit wäre im Gesetz vorhanden gewesen, doch diese Erleichterung wollte mir niemand zugestehen. Diese Auskunft erhielt ich von Dr. Stummer in der oberösterreichischen Landesregierung.
Mein seelisches Tief war unbeschreiblich. Ich träumte jede Nacht Horrorträume von Mord und Tod. Die Tieffliegerangriffe der letzten Kriegstage kamen darin vor, es war schrecklich! Die Flugzeuge schossen aus allen Rohren auf mich. Ich konnte am Tag unmöglich an was anderes denken, als an meinem Verlust der Österreichischen Staatsbürgerschaft. In meiner Angelegenheit gab es in der Rechtsprechung keinen echten Prezidentsfall. Der einzige vergleichbare Fall, basierte auf einem Aussenminister in der Österreichischen Regierung im Jahre 67 oder 68.
Das folgende Jahr wurde hart und lang. Ich fuhr unzählige male die Strecke mit
dem Zug alleine von Wels nach Walenstadt um meine Frau wieder zu sehen und uns
gegenseitig Mut zuzusprechen. Das geschah alles geheim, ich durfte ja Wels nicht verlassen, sonst wäre die ganze Mühe um sonst gewesen. In Walenstadt hob ich einmal unbedacht das Telefon ab und eine Beamtin vom Konsulat war in der Leitung. Ich musste rasch eine plausible Antwort erfinden, dass ich nur kurz auf Besuch in Walenstadt in der Schweiz war.
Am 11.3.96 war es dann so weit. Um 9 Uhr 15 verliess ich die Oberösterreichische Landesregierung als neuer Bürger von Oberösterreich.
Den wenigsten im Staate Österreich wird dies bewusst sein, dass es den
Österreicher gemeinhin gar nicht gibt. Ich stelle fest, es gibt 10 verschiedene
Österreicher. Die Staatsbürger der 9 Bundesländer und einen Auslandsösterreicher.
Nun besitze ich zusätzlich die Schweizer Staatsbürgerschaft, nur um einen preis, den ich mit Verständnis dieses Gesetzesdschungel nie bereit gewesen wäre zu bezahlen.
Ein zusätzliches Übel musste ich noch bewältigen.
Meiner geschiedenen ersten Frau musste ich Monatlich eine beträchtliche Summe
Als Unterhalt bezahlen. Ich schilderte sofort in den ersten Tagen, dass ich
durch den Verlust meiner Rente nur die Hälfte monatlich zahlen könne.
Als Antwort hatte ich nach 2 Monaten eine Pfändungsklage auf dem Hals, die ich
dann auch noch zusätzlich gerichtlich ausfechten musste und zum Glück gewonnen
habe. An zwei Fronten zu kämpfen kostete meine letzte Kraft.
Eines wurde mir auch klar: In unserer Gesellschaft wird unterlassene Hilfeleistung streng geahndet; Doch der Staat hat diese Verpflichtung nicht, der kann über Leichen gehen.
Im Jahre 95 habe ich den ersten Computer vom Schweizerischen Blindenbund erhalten, um alles genau mit eigenen Händen und Ohren lesen zu können.
Franz Puschnik
© F. J. Puschnik