Mama, ich mag dich nicht!

Brief zum Thema Emanzipation

von  IngeWrobel

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Das sollte dich nicht wundern oder gar stören, denn das hast du mir doch beigebracht: Erstmal muss man alles ablehnen, was auf einen zukommt. Alles und jeder, das und der auf einen zukommt, ist ein Feind. Sie wollen was von dir um sich selbst zu bereichern.

Auch Liebe. Keiner schenkt dir einfach so seine Liebe. Er will was von dir: Deine Unschuld, dein Geld, dein Image oder die Bequemlichkeit, sich in deinem Leben eingenistet zu haben. Nichts gibt’s umsonst – schon gar nicht Liebe.

Hast du mir vermittelt, Mama, und so hast du gelebt. An Papa hast du dich verkauft, weil er dir dein tägliches Brot gesichert hat. Prostitution mit Ehering. Ich glaube, er war mit diesem Tauschgeschäft nicht unglücklich. Er hat dich gemocht, wahrscheinlich sogar geliebt. Das nahm deinem Kalkül die Kälte. Aber das kann ich nicht als Entschuldigung akzeptieren.

Mir hast du systematisch beigebracht, kein Vertrauen zu entwickeln. Liebe kannte ich nicht. Das war ein abstrakter Begriff. Ein Geschenk? So was gibt es nicht, denn alles hat seinen Preis – und was nichts kostet ist nichts wert.

Es sind nicht nur deine Gene in mir, Mama. Zum Glück. Zu meinem Glück ... denn das fand ich, trotz deiner Erziehung, im Laufe der Zeit. Heute weiß ich, was Vertrauen bedeutet und wie es sich anfühlt, Liebe zu schenken. Ohne Gegenleistung.

Was war deine Gegenleistung für meine naive Zuneigung? Ich weiß es nicht. Gab es da noch etwas Positives, das über die Mutterpflicht hinaus ging? Mir fällt nichts ein.
Wunderst du dich, dass ich dich nicht mag, Mama?

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Kommentare zu diesem Text


 toltec-head (11.09.13)
Ui! Ungewöhnlich scharfe Töne von dir. Gefällt mir gut. Ist der Antwortbrief bekannt?

 IngeWrobel meinte dazu am 11.09.13:
Ja, ich kann auch so! *lächel*
Das gehört in meine Abteilung: "Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen" nach Christine Brückner; Originalbuchtitel ist "Wenn du geredet hättest, Desdemona". Sehr empfehlenswert!
Dieser Brief, und auch andere "böse" Gedichte voller Zorn, kamen der Empfängerin nie unter die Augen. Erst nach ihrem Tod habe ich mich so konsequent mit meiner Mutter "ins Gericht gesetzt". Manchmal werden die alten Verletzungen aufgerissen, kommen aus der Erinnerung hoch, wollen behandelt werden ... dann wirkt das Schreiben wie ein heilendes Pflaster.
Natürlich könnte ich einen Antwortbrief schreiben, eine Art Rechtfertigung, eben aus der anderen Sicht, aber das ist nicht wichtig.
Aber mir fällt ein Text ein, der ein familiäres Problem behandelt und Mutter und Tochter zu Wort kommen lässt. Vielleicht sollte ich den mal hier einstellen. *grübel*
Danke fürs Lesen und Deine Worte und die Sternchen!
Gruß, Inge

 irakulani (11.09.13)
Ein bitteres Resümee, liebe Inge, was aber letztendlich doch aufatmen lässt, denn das Lyrich hat es geschafft sich zu emanzipieren, sich zu befreien... (was gerade im Hinblick auf die Bindungen zur und Prägungen duch die Mutter/Mütter nicht einfach ist.)

Ich wünschte, dies würde vielen gelingen!

L.G.
Ira

 IngeWrobel antwortete darauf am 11.09.13:
Dank Dir, liebe Ira, für's Verstehen und die Worte!
Meine Mutter musste mich alleine großziehen, weil mein Vater vor meiner Geburt schon tot war. Eine schwere Aufgabe in den letzten Kriegsjahren und den brotlosen Jahren danach. Sie hatte es schwer, bis sie meinen Stiefvater heiratete. Aber auch dann bekam ich weiterhin die doppelte Portion Strenge einer Alleinerziehenden zu spüren. Es gäbe viel Relativierendes, wenn ich einen fiktiven Antwortbrief schriebe. Dennoch ist für mich Lieblosigkeit seinem Kind gegenüber nicht entschuldbar.
Ich habe mich nicht nur befreit, sondern bin inzwischen selbst Mutter geworden - voller Liebe für mein Kind ... das ist es, was zählt.
Hab Dank für die Sternchen
und sei lieb gegrüßt,
Inge

 susidie (11.09.13)
Sehr ehrliche Zeilen, die tief berühren. Ich denke, dass gerade bei der Nachkriegsgeneration viel auf der Strecke blieb, was Liebe und Wärme für die Kinder angeht. Es wurde dadurch viel Schaden angerichtet, die die Betroffenen dann mühsamste ein Leben lang reparieren müssen. Umso schöner, wenn man es geschafft hat. Aber gerade wenn man eigene Kinder hat, geht das Verständnis für die erlittene Lieblosigkeit gegen Null. Die einzigartige Liebe zu den Kindern muss nicht erlernt werden, sondern ist im Normalfall tief verwurzelt und bedingungslos. Aber leider gibt es auch heute noch viel zu viele Eltern, die ihre Kälte weitergeben. Ein schlimmer Kreislauf. Der Text macht mich traurig und wütend, aber ich mag ihn sehr. Lieben Gruß von Su:)

 IngeWrobel schrieb daraufhin am 11.09.13:
Hallo Su!
Ich danke Dir für Deinen Kommentar - dem nichts hinzugefügt werden muss, denn Du hast verstanden.
Wut kann eine sehr gesunde Emotion sein und zur Heilung beitragen. Ich lasse sie manchmal verbal raus und bin froh, wenn das nicht missverstanden wird.
Liebe Grüße
von der Inge
Gringo (60)
(26.09.13)
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 IngeWrobel äußerte darauf am 26.09.13:
Manchmal hilft es "den Nachfolgenden", wenn ein Tabu angekratzt oder sogar gebrochen wird. Erstaunlicherweise hat es aber auch eine besänftigende Wirkung auf manche "Alten", die dieses Päckchen ihrer Vita immer noch unbewältigt mit sich rumschleppen.
Deine Worte, Lob und Sternchen freuen mich!
Liebe Grüße
Inge
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