Tiere hier und heute

Kurzprosa zum Thema Tiere

von  Ganna

Mitten im Wald habe ich täglich Kontakt mit Tieren.
Schweine suchen gleich hinter meiner Hütte nach Wurzeln, Pilzen und im Herbst nach Kastanien. Sie laufen mir am Tag über den Weg und haben allgemein wenig Respekt vor Menschen. In Jahren der Trockenheit kommen sie von den Bergen runter, laufen auch vor die Hütte, durch die Sommerküche und lassen sich durch Rufen oder Klatschen nur wenig beunruhigen. Sie sind sich ihrer Kraft bewusst. Körper und Kopf sind noch nicht durch einen dünnen Hals getrennt, so dass Bauchgefühl und Überlegung miteinander im Einklang geschehen. Durch sichere Instinkte geleitet, wissen sie, dass von mir keine Gefahr ausgeht. Erst im Herbst nach Eröffnung der Jagdsaison üben sie Zurückhaltung.

Immer wieder kommt es vor, dass mehrere Frischlinge oder auch ein einzelner allein durch die Gegend irrt. Die Kleinen durchwühlen meinen Komposthaufen, werden von freilaufenden Hunden gejagt und verenden kläglich. Letztes Jahr zog einer der Jäger im Dorf solch ein mutterloses Schweinchen groß. Es lief selbstverständlich mit den Leuten durch die Dorfgassen und amüsierte sich mitten im Menschengewühl auf dem Dorffest. Später wurde es von seinem Ziehvater geschlachtet.

Füchse lauern hinterm Hügel auf Beute und erschrecken mit ihrem heiseren Bellen nicht nur die Kaninchen. Auch das raue Husten der Rehe hat mich anfangs verunsichert. Eidechsen und Kröten bevölkern den Garten, Schnecken fressen den Salat, Schlangen liegen unter Steinen und Insekten surren in der Luft. Tiere sind Alltag.

Tiere kriechen in meine Hütte und in meine Kleidung, wenn ich nicht aufpasse. Sie beißen und stechen, saugen mein Blut, stehlen meine Nahrungsmittel, zerfressen mein Holz und wollen von meiner Arbeit und meinem Sein profitieren. Das sind ihr Recht und ihr Wesen. Sie sind weder putzig noch niedlich, sondern streitbare Wesen, die rücksichtslos stehlen und morden, wenn ihnen keine Grenzen gesetzt werden. Hier steht ein Leben gegen das andere. Die auf Unwissenheit beruhende Begeisterung über Tiere naturferner Menschen zeugt von kindlichem Unverständnis. Tiere gehören dazu, ebenso wie Steine, Bäume, Flüsse und Erdbeben. Sie sind gefährlich und nützlich und unverzichtbar im Gefüge eines harmonischen Gleichgewichtes zwischen allen Beteiligten. Über sie kann nicht geurteilt werden und das macht sie unanfechtbar.

Natur ist weder romantisch, noch human. Es ist ein System, was sich selbst reguliert und am Leben erhält. Das Sein des einen steht gegen und mit dem Sein des anderen. Jeder ist des anderen Teilhaber, Freund und Feind. Die Regeln sind aufgestellt, die Aufgaben verteilt. Das Wohl der Allgemeinheit steht an erster Stelle und dieses heißt: Überleben um jeden Preis. Dabei geht es um das Überleben des Lebens selbst, das das Gedeihen und den Untergang und Tod des Einzelnen beinhaltet. Erst indem jedes Wesen danach strebt zu überleben, sich zu vermehren und seine Existenz zu sichern, erst dadurch wird das Überleben insgesamt garantiert. Der Sinn des Einzelnen ist nicht zu trennen vom Streben des Lebens insgesamt. Der Lebenssinn des Einzelnen ist Ausdruck des Lebens, sich selbst zu erhalten und entspringt keiner individuellen Entscheidung.

Menschen brechen dieses auf, indem sie sich durch die Schaffung eines eigenen Systems ihre Unabhängigkeit beweisen wollen. Eines Tages jedoch werden sie erkennen müssen, dass sie nicht mächtig genug sind, sich gegen den Lauf der Gestirne zu stellen, denn die Natur gereicht einer sinnvollen Ordnung, die jedem ein Überleben ermöglicht, der die Regeln und die höhere Ordnung akzeptiert.

Meine Hütte war aufgrund ihrer Bauweise nicht hermetisch von der Umwelt abgesichert. Der Angriff der Tiere erfolgte von allen Seiten. Ich hatte die Wahl, zu chemischen Abwehrmitteln zu greifen oder die Sprache meiner Nachbarn verstehen zu lernen und mich mit ihnen auf ein friedliches Zusammenleben zu einigen. Im Wald bin zuerst ich der Gast, der sich den Regeln anzupassen hat. Chemische Mittel, Fallen oder Gewalt wollte ich nicht anwenden. Ich komme von „draußen“. Will ich etwas anderes, so gilt es, das Andere erst einmal kennenzulernen. Im Wald musste ich zu einem Teil-nehmer werden, denn die Natur stellt einen Lebensraum dar, über deren Regeln ich mich nicht beklagen kann. Der Lauf der Sonne und der Schein des Mondes sind wie sie sind.

Heute sind auch die Landbewohner nur noch selten mit der Natur vertraut. Sie haben ihre Komfortwohnung in Einfamilienhäuser mit schöner Aussicht verlegt und schaffen sich, wie die Städter, eine Welt aus Fernsehen und Internetinformationen.

Ich lernte vor allem aus Büchern und indem ich das darin Gelesene ausprobierte und anwendete. Um meinen Garten vor den Angriffen der Schweine zu schützen, urinierte ich regelmäßig auf bestimmte Steine. Die Wildschweine respektierten das gekennzeichnete Territorium und meine Kartoffeln. Ich wiederum respektierte ihre Wege zum Bach hinunter.

Leider funktionierte das nur so lange, wie es keine Waschbären gab, diese Biester respektieren nichts und niemanden. Also habe ich heute einen großen Zaun, den ich ständig auf eventuelle Durchschlüpfe und Löcher hin überprüfen muss.

Vor zwanzig Jahren gab es noch wesentlich mehr Tiere als heute. Ich schreibe es vor allem diesen Waschbären zu, dass es kaum noch Schlangen und Eidechsen gibt. Die wilden Kleinbären sind sehr schlau. Sie klettern auf Bäume, kriechen in jedes Loch und räubern die Eier der Vögel und Reptilien. Aber sie klettern nicht nur ausgezeichnet, sie graben auch gezielt Löcher. Ihr hervorragendes Gehör erlaubt es ihnen, Regenwürmer in der Erde zu orten. Gleich ob Hühner, Erdbeeren, Tomaten oder kleines Getier, nichts ist vor ihnen sicher. Überdies pflegen sie ein gutes Familienleben, stehen miteinander in Kontakt und laden sich gegenseitig zum Fressen ein, so dass sie ganze Fressorgien veranstalten, sollten sie ein reifes Melonenfeld oder einen zugänglichen Garten entdecken. Der Schaden, den sie unter den hier lebenden Tieren und auf den Weinfeldern anrichten, dürfte sehr groß sein. Da die Jäger nur tagsüber jagen, laufen ihnen Waschbären nicht vor das Gewehr und in ihren Wohnhöhlen auf den Bäumen sind sie vor Jagdhunden sicher.

Lange Zeit waren Waschbären hier unbekannt. Meine erste unangenehme Erfahrung machte ich mit ihnen, als ich früh in meinen prächtigen Garten kam und auf ein Feld der Verwüstung blickte. Noch nicht durch einen Zaun gesichert, waren alle Tomaten, Gurken und auch der Kohl zerstört. Es war mit rätselhaft, welches Tier dies hat anrichten können. Noch nie hatte ich einen solchen massiven Schaden gehabt. Dann fielen mir angebissene Tomaten und Kohlblätter auf, die eine Spur zum Fluss anzeigten. Unten im Wasser schwammen Gemüsereste und mir fiel ein, dass das einzige Tier, welches die merkwürdige Eigenschaft besitzt, seine Nahrung vor dem Verzehr zu waschen, der Waschbär ist. Bei genauer Untersuchung des Umfeldes entdeckte ich die Spuren seiner feinen Füße in der Asche der Feuerstelle.
Im ersten Moment war ich ratlos und fragte die Jäger, was ich gegen Waschbären unternehmen könnte. Diese brachen in lautes Gelächter aus und meinten, es gäbe hier keine Waschbären. Nur ein wie ich im Wald lebender Nachbar hatte sie schon gesichtet. Nach ausgiebigen Recherchen im Internet sah ich dann ein, dass ein Zaun unerlässlich sein würde. Seitdem habe ich einen doppelt gesicherten Zaun, der fest im Boden verankert ist und ein Eindringen in den Garten unmöglich machen soll.

Auch die Population der verwilderten Katzen hat zugenommen. Sie streunen durchs Gebüsch, stöbern das kleine Getier auf und fangen die schönen Smaragdeidechsen, deren prächtige, einen halben Meter große Exemplare ich vor 20 Jahren hier überall begegnen konnte. Leider gibt es etliche menschliche Bewohner dieser Gegend, die sich nicht genügend um ihre Katzen kümmern und eine ungehinderte Vermehrung zulassen. Seither finden sich kaum noch Mäuse und Ratten, aber auch die anderen Kleintiere sind bedenklich weniger geworden.
Mäuse in der Behausung lassen sich auch wunderbar durch Lavendel abhalten. Ich stopfte ihn unter Regale und in alle Ecken, was nebenher sehr angenehm duftete.

Der jährlichen Invasion der Ameisen gebiete ich durch Essig Einhalt. Einmal mit der scharfen Würze gewischt, geben sie lange Ruhe und suchen sich andere Wege.

Es gibt aber Tiere, die sich nicht so einfach abweisen lassen. Jeden Herbst lagerten Siebenschläfer ihre Vorräte bei mir ein. Hinter der Holzverkleidung und auf dem Zwischenboden fand ich schon kiloweise Esskastanien. Die hübschen Tierchen mit ihren großen Knopfaugen wurden schließlich zu unseren ständigen Mitbewohnern. War eines vertrieben, nahm sofort ein neues seinen Platz ein. Mein Söhnchen war ein begeisterter Freund der kleinen, nachtaktiven Nager und trug so auf seine Weise dazu bei, dass den kleinen Tierchen nicht eventuell ein Leid geschah. Ich gewöhnte mich an sie, wenn sie abends und nachts über unsere Balken huschten. Auch andere Waldbewohner hatten ihre persönlichen Siebenschläfer einwohnen. Es schien wie ein ungeschriebenes Gesetz des Waldes, dass jeder Mensch sein Heim mit einer Siebenschläferfamilie teilen muss.

Die Äskulapnatter, welche bei uns eine Zeitlang ihr Quartier hatte, war wesentlich unangenehmer. Lange ahnte ich nichts von meiner Untermieterin, bis ich sie eines Tages sich ringelnd auf meinem Bett fand, als ich die Hütte betrat. Erschrocken suchte ich sofort das Weite. Doch ich konnte mich nicht aus unserer Wohnstatt vertreiben lassen, also näherte ich mich vorsichtig, ging hinein, öffnete die Fenster…wobei mir die Schlange entgegenfiel. Sie hatte sich unter dem Fensterbrett versteckt. Dabei sah ich aus der Nähe, dass sie ein stattliches Exemplar von etwa einem Meter Länge war.
Anschließend räumte ich vorsichtig die gesamte Hütte aus, um jeden Winkel auf die Schlange hin untersuchen zu können. Auf dem Zwischenboden fand ich eine Schlangenhaut. Nach der gründlichen Durchsicht zog ich wieder in unser Gemach ein und lebte friedlich darin. Erst ein Jahr später, als ich Dach und Zwischenboden inspizierte, schaute ich ihr, die vor mir still auf einem Balken lag, in die Augen. Langsam und ruhig entfernte ich mich aus ihrem Territorium. Und wir setzten unser friedliches Zusammenleben fort. Sie blieb in der oberen Etage und wir darunter.

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Kommentare zu diesem Text

janna (66)
(10.03.14)
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 Ganna meinte dazu am 12.03.14:
...sie lärmen sehr, die Siebenschläfer, und nagen gerne ihre Wege frei...

liebe Grüße zu Dir,
Ganna

 LotharAtzert (10.03.14)
Faszinierend. Ich hätte stundenlang weiter lesen können.

 Ganna antwortete darauf am 12.03.14:
Danke, freut mich, es wird sich fortsetzen, denn es gibt noch vieles hinzuzufügen.
Zweifler (62)
(10.03.14)
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 Ganna schrieb daraufhin am 12.03.14:
...das Wollen ist ja Voraussetzung, um das Können zu probieren, aber nicht jeder der will kann auch und man kann sogar sagen, nicht jeder der kann, will auch...

...aber das ist wieder eine andere Geschichte.
Graeculus (69)
(10.03.14)
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 Ganna äußerte darauf am 12.03.14:
...das stimmt wohl, aber sollten sich mal Ameisen bis in Deine Wohnung wagen, dann weißt Du jetzt, dass man ihnen mit Essig den Weg abschneiden kann...

 Regina (10.03.14)
Du beschreibst Erfahrungen, die wir hier nicht haben. Sehr aufschlussreicher Text.

 Ganna ergänzte dazu am 12.03.14:
...schade eigentlich, ich finde solche Erlebnisse sehr bereichernd...

Danke für die Sternchen,
LG Ganna

 Jorge (14.03.14)
Es gibt in Europa sicher wenige Leute, die so eindrucksvoll über den Einklang von Mensch, Tier und Natur schreiben können. Wer akzeptiert schon eine Äskulapnatter als Untermieterin? Wer weiß so viel über das Leben der Waschbären?
Dein Tipp mit dem Essig werde ich in diesem Jahr ganz bestimmt erinnern.
Danke für diesen tollen Text.
Liebe Grüße
Jorge

 Ganna meinte dazu am 15.03.14:
...tatsächlich habe ich vieles gar nicht aufgeschrieben...vielleicht schreibe ich noch einen zweiten Teil, denn über die Jahre hatte ich viele Begegnungen mit Tieren...Danke für die Sternchen,

LG Ganna
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