Das Rätsel der Sphinx

Essay zum Thema Psyche

von  LotharAtzert

"Es ist am Morgen vierfüßig, am Mittag zweifüßig, am Abend dreifüßig. Von allen Geschöpfen wechselt es allein mit der Zahl seiner Füße; aber eben wenn es die meisten Füße bewegt, sind Kraft und Schnelligkeit seiner Glieder ihm am geringsten."
(Übersetzung Gustav Schwab)
Freilich wissen wir heute und müssen nicht mehr lange herumraten, daß es Ödipus war, der das Rätsel löste, in dem er den Menschen erkannte und Theben damit von einem verheerenden Fluch befreite. Freilich konnte er sein eigenes Schicksal - das Töten des Vaters und Heirat der eigenen Mutter - damit nicht lösen.

Die Sphinx - ältere Darstellungen sprechen von einem Wesen aus einem Stierkörper, den Pranken des Löwen, Flügel vom Wassermann und dazu einen menschlichen Kopf, entsprechend dem Zeichen Skorpion - womit wir alle vier sogenannten Fixzeichen des Zodiaks haben, welche zusammen die Form eines geschlossenen Quadrates ergeben.
Fixzeichen sind die mittleren des jeweiligen Viertelverbundes im Kreis und heißen deshalb fix, weil sie ihren Zustand verfestigen.
Sigmund Freud, seines Zeichens Stier (6. Mai 1856 - 23. September 1939) prägte den Begriff vom Ödipuskomplex, welcher die Gesamtheit der ambivalenten Liebeswünsche - Libido -  meint. Nach ihm richten sich die unbewußten Wünsche des Kindes auf den gegengeschlechtlichen Elternteil. Mit dem Auftritt Freuds begann ein neues Kapitel in der Geschichte der Medizin.
Der Schweizer Carl Gustav Jung, (26. Juli 1875 - 6. Juni 1961) ein Löwe folglich, war zunächst begeisterter Schüler Freuds. Das änderte sich schlagartig, als sich beide auf dem Ozean - dem äußeren Körper des (nach Jung so genannten) "kollektiven Unbewußten" - befanden, dem Atlantik, um auf einem Kongress in New York zu sprechen. Auf dem Schiffe nun deuteten sie gemeinsam verschiedene Träume Jungs. Als der dann jenen aufforderte, auch einmal einen Traum zwecks Deutung beizutragen, soll es Freud mit der Antwort verweigert haben, dies könne seine Autorität untergraben.

Zweifellos gingen andere Unstimmigkeiten voran, insbesondere warf Freud dem jüngeren Kollegen immer wieder dessen "unwissenschaftlichen Spiritualismus" vor, doch das war der Moment, wo der Löwe erkannte, daß nicht zwei Freunde miteinander ihr Herz ausschütteten, miteinander teilten, was sie an Wissen hatten, sondern der eine der Lehrer des anderen zu bleiben gedachte und sich deshalb - stiermäßig - autoritär gegen ihn absicherte.

Alfred Adler (7. Februar 1870 - 28. Mai 1937 - Wassermann, die Flügel sogar noch im Namen ...) stammte wie Freud aus Wien und kam ebenfalls aus einer jüdischen Familie. Auch er war zunächst begeistert vom Ziehvater, doch wich das schnell einer Abkehr, sowie einem eigenständigen Forscherdrang, der in seiner "Individualpsychologie" gipfelte, nach der jeder Einzelne nach seiner Eigenart behandelt werden müsse. Adler, von Schopenhauer und Nietzsche inspiriert, prägte den Begriff vom "Minderwertigkeitskomplex," welcher durch Geltungsdrang zum Wille zur Macht überkompensiert würde - und hat damit wohl Freuds Inzestfantasien treffend konterkariert.

Bleibt der Vierte im Quartett, wiederum aus Wien - und der will nicht so rech hineinpassen, da die Psyche und der geistige Skorpion einander eigentlich ausschließen zum einen, und zum anderen war er Nichtjude bzw. NSDAP-Mitglied, wodurch er vor Verfolgung sicherer sein konnte, als seine "Kollegen". Denn auch er nannte sein Betätigen Psychologie, genauer "Tierpsychologie" - wohingegen man heute eher von Verhaltensforschung und Darwinismus spricht.
Die Rede ist von Konrad Lorenz, (7. November 1903 - 27. Februar 1987) dem "Vater der Graugänse" und Befürworter der Genmanipulation aus "rassepflegerischen Gründen."

Ich habe das geschrieben, um einmal mehr zu zeigen, wie jeder genotypisch ein anderes Auffassen von inneren Zuständen erlebt, erleben muß - und zugleich in seiner ureigenen Himmelsordnung des Jeweiligen bleibt. Die Sphinx als Repräsentantin der vier Fixierungen spiegelt sich in jedem der vier Psychologen/Psychiater wesensgemäß wider, doch kann sie, wenn überhaupt, nur als Ganzes verstanden werden. Erst dann befreit sie von ihrem Fluch.

In Freud spiegelt sie: Den Körper. Bzw. Fixierung auf Libido und Herdenbildung, sowie die Abgrenzung zu jenen von anderem "Stallgeruch".
In Jung: Das Bewegende in Empfindung und Ausdruck, gleich Anima und Animus. Von ihm stammt auch die vierfache Typisierung: Empfindungstyp-Fühltyp-Handlungstyp-Denktyp.
In Lorenz: Den Menschenkopf bzw. das Klassifizieren des Verhaltens der Arten, wie sie sich zeigen in ihrer Abhängigkeit von bestehenden Formen.
In Adler: Die Flügel, oder Fixierung auf das Individuelle, dessen Entwicklung allein und unter günstigen Bedingungen ein soziales Miteinander Aller ermöglicht.


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Kommentare zu diesem Text


 Regina (06.05.14)
Sehr interessant, habe nichts hinzuzufügen.

 LotharAtzert meinte dazu am 06.05.14:
Ist trotzdem hilfreich. Ich habe nämlich den Eindruck, daß je mehr ich mir textlich den Arsch aufreiße, umso weniger wird es gelesen, bzw kommentiert.
Danke, danke, danke ...
janna (66) antwortete darauf am 06.05.14:
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 LotharAtzert schrieb daraufhin am 06.05.14:
Ja Janna.
Der Text steht jetzt genau seit 12 Stunden hier und wurde 20 mal aufgerufen. Da sind andere schon jenseits der 50 und Ekki hätte 10 Kommentare - ich neide sie ihm nicht, bitte nicht falsch verstehen ...
Nun muß ich mich, der ich so gern des Heraklits Spruch "Einer gilt mir Zehntausend" zitiere, natürlich an die eigene Nase fassen und mich fragen: ist nicht ein einziger Leser, der's versteht, besser, als hundert falsche Jubler?

Das schöne Wetter, ja daran wird's liegen. Die Vögel singen wie narrisch ...
Danke auch Dir
BabetteDalüge (67)
(07.05.14)
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 LotharAtzert äußerte darauf am 07.05.14:
Man muß es auch in seiner Zeit sehen: Wien war damals die Hauptstadt der Geheimbünde, woraus sich bald schon der Nationalsozialismus erhob - allen voran der Stier aus Braunau.
Das von Adler betonte Soziale ist nicht das, was wir heute darunter verstehen, sondern nur das Mindestmaß für einen friedlichen Umgang der Menschen untereinander - wozu die Mnderwertigkeitskomplexe erkannt und aufgehoben werden mussten. Er war übrigens ein beliebter Kinderarzt.
Erich Fromm schätzte ihn sehr.

 Ganna (17.05.14)
...interessant...wir sind doch alle sehr unserer Ausgangsprägung verhaftet, als selbst befügelte schaute ich schon immer skeptisch auf die Stiere...

LG Ganna

 LotharAtzert ergänzte dazu am 18.05.14:
Ja auf die Stiere schau ich auch skeptisch. Meine Mutter war so einer. Immerhin brachte sie mir Kants kategorischen Imperativ - natürlich war der Liebling der deutschen Klugscheißer auch ein Stier - kindgerecht bei: "Was du nicht willst, das dir man tu, das füg auch keinem andern zu!"
LG Lothar
(Du bist Wassermann, hab ich das richtig verstanden? - ich bin zumindest ein halber: Mond, Venus und Merkur im W.)

 Ganna meinte dazu am 24.05.14:
...ich sehe mich als sehr luftbetonter Zwilling auch beflügelt...doppelt sozusagen...
oK0 (37)
(14.07.15)
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 LotharAtzert meinte dazu am 15.07.15:
Von mir? Ich kenne die zu wenig. Von Gross weiß ich nur, daß er erst Nietzsche verehrte, bis der ihm signalisierte, daß es nicht auf Gegenseitigkeit beruhte und er dann zum Nietzschehasser mutierte.
Und Reich - Summerhill fällt mir dazu ein und die antiautoritäre Erziehung. Nein, das reicht nicht.
Mach Du doch mal ...
Danke Dir, auch für die Empfehlung.
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