Wuhh!

Beschreibung zum Thema Identität

von  LotharAtzert

Der Hinweis Babettes vom Genotypischen (Kommentar in "Aus dem Gartentagebuch I") findet für den Aufmerksamen in allem Bestätigung: Fluch und Segen entspringen der gleichen Quelle der genetischen Vorleistung.
Schon immer war ich irritierbar durch leiseste Geräusche, die andere als normal empfinden bzw. nicht einmal bemerken. Es genügen ein Laut, eine nur leicht erregte Stimme auf der Straße, ein Vorwurf, um mich völlig aus jedem Konzept zu werfen.
Konzepte sind immer zwiespältig, gehören einer Entwicklungsstufe des Egos an, die irgendwann einer spontaneren und gegenwartsbezogeneren Haltung weichen sollten, auch wenn das manch einem Ohr subversiv klingt in unserer Zeit: Jetzt hier sein am Ort! - nicht "vor Ort" - insofern ist jede Irritation als Hinweis ein Fingerzeig.

In jenen wenig stillen Momenten aber fallen diese Welten von Gedankenimpulsen in mich ein, die sich in geordnete Strukturen ergießen wollen. Das Unbestimmte, einmal aus Vorzeit zum Ursprung gekommen, wird bestimmend, wie Bestimmtes in Bestimmung oder Schicksal sich fügt und über die Begegnung im Empfinden aufsteigt.
Doch wie gesagt, ein einziges Geräusch und alle Verdichtung ist abgebrochen, auf der Flucht, wie ein aufgeschreckter Vogelschwarm.

Früher suchte ich in verborgenen Verstecken eines Waldes Zuflucht. In Einöden, unwirtlicher Abgeschiedenheit, eine Zeitlang nach dem Scheitern einer Ehe sogar in den rumänischen Karpaten. Wölfe und Bären sollten mir Schrecken einjagen, bis daß ich in der Not endlich höre, wem ich angehöre. ...
Und in schöner Regelmäßigkeit kam dort statt Bären und Wölfe dann eine Wandergruppe, Nordicwalker, ein Bautrupp, Hund, Troll oder sonstwas Störendes vorbei und aus war's mit der Ruhe.
Lange dienten mir Störungen von Außen als Alibi für verzögerte Entwicklung. Erst spät kam das Begreifen, daß nicht Ablenkendes verantwortlich ist, sondern die Haltung des Nichtannehmens der Gelegenheiten zum Lernen, der Lektionen zur Auflösung der Ablenkbarkeit. Heute weiß ich, daß alles äußere Geschehen von innerem Verdrängen kommt - nichts verschwindet spurlos, alles will erlöst werden.
Schon als ich's zu ahnen begann, änderte sich alles dramatisch. Hierzu ein Beispiel:

Eimal saß ich abseits der ausgetretenen Wege, Menschenblicken gut verborgen im Unterholz und hörte, wie jemand in der Ferne nach seinem Hund pfiff. Augenblicklich wurde mir klar, was nun folgen würde. Und richtig - des Vierbeiners Riechkolben schnüffelte den Pfad entlang, den ich bis zum Baumstumpf, auf dem ich Platz genommen hatte, gegangen war - immer im selben Zickzack, zahllosen Ästen ausweichend. Die Nase folgte dem Geruch des Wildes.

Der Pfiff nach dem Hund, begleitet vom Namensruf "Benny" oder ähnliches, nahm an Lautstärke zu, doch Benny hörte nicht mehr, Apollons Schwester ließ ihm keine Option.
Als er mich endlich sah, trennten uns gerade noch zwei Meter. Da erst stoppte er überrascht, weil das Wild nicht vor ihm floh, sondern ihn statt dessen auch noch ansprach: "Hey Benny, was geht?"
Das war zuviel. Ein erstaunendes, leicht gedämpft klingendes, kurzes "Wuhh!" entfuhr ihm jäh, bevor er kehrt machte und schnurstracks zurück lief, dorthin, woher Pfiffe und Ruf seines Herrn kamen.


Mögen alle Wesen Glück und die Ursache zum Glück haben,
mögen sie getrennt sein von Leid und der Ursache hierzu.
Mögen sie im großen Gleichgewicht ruhen, ohne Anhaften an Nähe, oder Widerwillen gegen andere.

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Kommentare zu diesem Text


 Fuchsiberlin (02.05.14)
Zu oft lassen wir uns von Geräuschen ablenken, die andere Töne damit verdrängen. Manchmal wäre es auch sinnvoll, an einem ruhigen Platz, die leisen Töne zu genießen. Oder einfach zu Hause: Stille einkehren zu lassen, zu versuchen in sich einen Pol zu finden. Doch wie viele Menschen können diese Stille wirklich aushalten, oder wollen diese bewußt wahrnehmen?

Liebe Grüsse
Jörg

 LotharAtzert meinte dazu am 02.05.14:
Ja, da sprichst Du was gelassen aus. Tatsächlich lebt man nicht nur in einem dauernden Geräuschpegel, sondern ist meistens noch aktiv dran beteiligt, denn ... um dorthin zu gelangen, wo es ruhig ist, müssen Viele weite Strecken durch zerstörte Landschaft zurücklegen.
Was das Ertragen von Stille angeht: ich glaube, hier muss man ein wenig spielen lernen. Ein krampfhaftes nach Ruhe suchen ... brauch eigentlich garnicht weiterreden ...
Im Lärm entspannen, oder wie meine Lehrer sagen: Aller Laut ist Mantra! In diesem Sinne -
Danke und auch liebe Grüße
Lothar

 Ganna (17.05.14)
...ist es nicht so, das wir unser Äußeres selbst erschaffen?
...was kam da zu Dir mit einen Wuhh?

...aber ich versteh es...Stille ist mein größter Reichtum und hier vorhanden, wenn der Wind sich legt...

LG Ganna

 LotharAtzert antwortete darauf am 18.05.14:
Unbedingt ist es so, daß wir es selbst erschaffen. Nur dauert es einige Zeit, bis das Verursachte als Wirkung in der Gegenwart erscheint, weswegen viele keinen Zusammenhang mehr sehen können.
Was zu mir kam, war der Jagdtrieb, die Göttin Artemis, das ewige Getriebensein, nach dem Ursprung aller Dinge zu suchen ...
Danke
LG Lothar
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