Die Sommerhitze hatte sich verzogen und ein goldener Herbst brach an. Die Wärme wurde wohlig und die Natur bot all ihre Kräfte auf, um uns gebührlich zu beschenken. Überall fanden wir frei in der Landschaft stehende Obstbäume, die sich von der Last ihrer Früchte befreiten, indem sie sie einfach fallen ließen. Ob Feigen, Walnüsse, Wein oder Pilze, alles war im Überfluss vorhanden und schien nur darauf zuwarten, von uns aufgesammelt zu werden.
Die Esskastanie, welche neben meiner Hütte stand, ließ ihre Früchte mit Getöse auf das Blechdach fallen. Anfangs erschreckten wir, später gewöhnten uns daran. Überall im Wald standen Maronibäume. Wir sammelten und trockneten die nahrhaften, wohlschmeckenden Samen, die sich abends nebenbei auf dem Ofen rösten ließen. Esskastanien enthalten alles, was ein Mensch zum Leben braucht, so dass er sich lange Zeit davon ausschließlich ernähren kann. Esskastanienmehl in Brot und Kuchen verbacken, zu Pudding gerührt, in Fladen gebraten und als Einlage im Eintopf, als Süßigkeit und Nachtisch, wurde kostenlos geboten, wir stolperten darüber.
Nach Nüssen mussten wir täglich schauen, denn wir konkurrierten mit den Wildschweinen, die sie besonders liebten. Äpfel mochten sie offensichtlich weniger, denn weiter unten am Fluss fanden wir zwei Apfelbäume, deren Früchte den gesamten Boden bedeckten. Wir kochten viel, viel Apfelmus und Pfirsich- und Aprikosenkompott, Brombeerkonfitüre, Pflaumenmus und Birnenkompott.
Wenige Tage nach Beginn des Herbstregens gingen wir mit einem Korb unter dem Arm, um Pilze zu holen. Gleich bei mir auf der Wiese entdeckten wir Schirmpilze, die wir wie Schnitzel in der Pfanne brieten. Auf den Weiden standen Hexenringe, die sehr lecker schmeckten und auf der großen Kuhwiese vom alten Jojo wuchsen die besten Champignons der Welt, so viele, wie wir niemals hätten essen können.
Die ganze Welt hatte sich in ein Schlaraffenland gewandelt. Obendrein waren wir von Weinfeldern umgeben. Als Trauben und auch als Getränk wurde Wein feilgeboten, denn die Behälter in den Weinkellern mussten geleert werden, um die neue Ernte aufnehmen zu können. Der kostenlose Wein wurde an die Erntearbeiter vergeben, die diesen wiederum mit allen teilten.
So war das Leben schön. Wir konnten uns fast ausschließlich aus der Natur ernähren und diese segensreiche Zeit reichte bis in den Dezember hinein.
Wäre das Leben nicht wundervoll, wenn man wäre wie eine Kuh, die nur ihren Kopf zu neigen brauchte, um die leckersten Pflanzen in sich aufzunehmen und sich auf diese Weise zu sättigen, den lieben, langen Tag auf der Weide oder im Wald stehend, über Wiese und Feld spazierend, nicht beschränkt durch Arbeitszeit und Amtsvorschrift den Tag genießen könnte?
Die Tage wurden kürzer, die Touristen weniger und ich ging kaum noch ins Hotel. Täglich musste nun Holz gemacht werden, um den Ofen damit zu füttern. Conny borgte sich ein Spinnrad aus und stellte es neben den Ofen in die Hütte. Dort spann sie beim Schein der Kerze so manches Knäuel Wolle, das ich dann zu Socken verstrickte. Es war still in der dunklen Waldeinsamkeit zu zweit, während der Kleine im großen Bett schon schlief.
Wir zwei Frauen teilten uns unsere Vergangenheit mit, sprachen über Gott und das Leben und die Aufgaben, die es für uns bereithält. Unsere stille Waldzweisamkeit wurde ab und an von einem Fiepen der Siebenschläfer unterbrochen, die die Hütte ebenso wie wir zu ihrem ständigen Wohnsitz auserkoren hatten. Nachts kamen dann die Schweine, die den Waldesgrund nach Eicheln und Maronis durchwühlten. Sie grunzten laut in unsere Ohren, die wir nur von einer dünnen Bretterwand von ihnen getrennt waren.
Auf diese Weise lebten wir in Kontakt mit den Tieren, von denen immer wieder einige Gattungen versuchten vom umbauten Raum zu profitieren.
Es war eine Zeit der wundervollen Stille, aber auch der Beschäftigung mit uns selbst. Es standen kein Radio und Fernsehen zur Ablenkung zur Verfügung, weder Kino, noch Theater, weder Kneipenbesuche noch abendliche Treffen mit Freunden, so wie ich es aus meinem Stadtleben kannte. Wenn dich bis zum nächsten Freund Kilometer durch dunkle, wilde Natur trennen, wird man diese zu Fuß in der Nacht nur selten gehen wollen. War ich doch einmal nachts unterwegs, sang ich nach Kräften laut aus mir heraus durch die Dunkelheit. Die Schweine sollten es wissen, damit sie mir nicht überraschend im Wege standen. Vor diesen in Horden auftretenden Tieren hatte ich durchaus Respekt, sie können dem Menschen gefährlich werden.
Doch dann jagte mir etwas ganz anderes einen großen Schrecken ein. Das jeden Herbst in Perpignan stattfindende Jazzfestival fand auch in unserem Dorf seine Liebhaber und Interessenten; freundliche Liebhaber und Interessenten, die Autos besaßen und die Dorfrandbewohner ohne ein eigenes Auto mit zu den Konzerten nahmen. Nach der Veranstaltung wurde ich früh gegen zwei Uhr vorne am Briefkasten abgesetzt, von wo aus ich den zehnminütigen Weg zu mir hinter laufen musste. Das tat ich wie immer singend.
Links neben mir läuft noch etwas, bemerkte ich plötzlich und wurde hellwach. Etwas Schweres rannte wie im Galopp mir links zur Seite, links hinter den Büschen auf dem Feld und blieb doch auf meiner Höhe. Es hätte ein Nashorn sein können oder ein Nilpferd, so schwer und wuchtig klangen die Schritte, so heftig erzitterte der Boden. Plötzliche Angst erfasste nicht nur mein Herz, meine ganze Person wurde zur Angst, über die der Kopf zu herrschen nicht aufgab.
Langsam laufen, lautete ein Befehl, kontinuierlich weiter singen, nicht beirren lassen…Während ein anderer Teil desselben Kopfes krampfhaft überlegte, was denn da neben mir rennen konnte. Obwohl es offenbar im Galopp rannte, blieb es konstant auf meiner Höhe. Da stimmte etwas nicht! Nicht die Beherrschung verlieren, befahl mein Kopf mir weiter…Schweine waren es nicht, diese kannte ich gut, sie würden mich auf diese Art nicht begleiten, doch andere große Tiere gab es hier nicht…so tun, als ob nichts ist…langsam laufen…Hatte ich nicht Castaneda gelesen? Ich hatte Castaneda gelesen. Und sprach er nicht von Geistern und Wesenheiten, die aus anderen Ebenen in die unsere gelangten, und die auch ihm unaussprechliche Ängste eingejagt hatten?
Aber es gibt keine Geister, nicht wahr? Das ist Einbildung, Unsinn, Aberglaube. Und was rannte da deutlich hörbar links neben mir und ließ den Boden unter uns erzittern? Es gibt keine Geister. Wirklich nicht? Bin ich jetzt verrückt?
Dort, wo der Weg zu mir auf die Wiese mündet, verließ mich das Flusspferdnashorn. Und ich dankte Gott, noch einmal lebend davon gekommen zu sein.
Dies war eines von weiteren Erlebnissen, die meine materialistische Geisteshaltung spürbar erschütterten und sich letztlich so weit verdichteten, dass sich mein gesamtes Weltbild verändern sollte.