Weggehen 12 (Einzug)

Text zum Thema Zufriedenheit

von  Ganna

Anfang Oktober mit Beginn der Regenzeit bezogen mein Söhnchen und ich die Hütte. Sie erwies sich als regen-und winddicht und auch der Ofen funktionierte. 15 m2 umbauten Raum konnte der Ofen gut beheizen. Die fehlende Isolierung ließ ihn natürlich sofort auskühlen, wenn das Feuer im Ofen erlosch. Auch der Ofen war nicht der beste und speicherte keine Wärme. Er musste fortwährend beheizt werden, sollte es warm bleiben. Ich musste für einen größeren Holzvorrat sorgen, diesmal allein, denn nun machte mir niemand mehr das Holz. Jetzt war ich als Haus- und Hofbesitzerin selbständig. Ich hatte bewiesen, dass ich alles in den Griff bekam und meine Position behauptet. Auch hatte ich klar gestellt, dass ich keine männliche Dienstleistung im Austausch gegen Sex akzeptieren würde. Ich sorgte selbst für mich und mein Kind, indem ich arbeiten ging, hatte unsere Behausung gebaut und einen Garten angelegt. Die Leute hatten Respekt vor mir und das war gut so.

Eines der beiden Fenster ließ sich nach dem Einbau nicht mehr öffnen, was sich aber nach einem Jahr von allein gab. Die Hütte steht auf einem lebendigen Grund an einem Berghang, der sich auf natürliche Weise bewegt. Das Wachstum der Bäume ringsum, Regengüsse und Erderschütterungen verändern den Untergrund, was sich auf die Hütte auswirkt. Auch hier gibt es ein Zusammenspiel der einzelnen Beteiligten. Haben sich alle aneinander gewöhnt, kann es Phasen zeitweiliger Stabilität geben.
Der Boden brauchte Zeit, sich mit der neuen Last zu arrangieren, die Wurzeln der Bäume im Untergrund waren ebenso davon betroffen, wie die Tiere. Die Energie eines Platzes ändert sich mit einem solchen Eingriff.
Heute nach über 20 Jahren kann ich sehen, dass sich das ganze Bauwerk etwas einer Seite zuneigt. Die Neigung schwächt sich im Sommer ab und nimmt nach Einsetzen des Regens wieder zu. Damit kann ich gut leben, denn wahrscheinlich ist, dass die Hütte mein Leben noch überdauern wird.

Der Bau der Hütte hat mich nicht mehr als einige Nägel und etwas Zement gekostet, jedoch viel Schweiß und Überlegung. Es macht dich stark, wenn du dir selber eine Behausung errichtest, stark und unabhängig. Du weißt, dass du es kannst. Wovor solltest du noch Angst haben, nach einer solchen Aktion? Es wäre keine Katastrophe, die deine Existenz angreifen würde, würde dir das Dach über dem Kopf abbrennen oder eine Flut die Mauern fortspülen. Du kannst dir jederzeit etwas Neues bauen. Diese Unabhängigkeit schenkt dir Kraft. Und diese Kraft lässt dich dein Leben leben deiner Wahl entsprechend.
Menschen, die sich mit natürlichen Mitteln ihre Häuser selber bauen können, geben keine guten Sklaven ab. Die Haus steht symbolisch für ein selbstbestimmtes Leben.

Jeder kann sich an fast allen Orten der Welt selber eine Behausung bauen, die je nach den örtlichen Gegebenheiten gestaltet sein wird. Die örtlichen Materialien zu verwenden ist nicht nur praktisch und billig, sondern wird das Gebäude auf natürliche Weise in die Landschaft einfügen.
Für eine einfache Behausung, dem Menschen und der Natur angepasst, braucht niemand einen Architekten, weder eine statische Berechnung, noch eine Genehmigung. Das, was Ameisen, Bibern und Meisen erlaubt ist, sollte selbstverständlich auch einem Menschen gestattet sein. Die Erlaubnis des Bauens für sich selber würde den Menschen wieder Verantwortung für sich zurückgeben. Das Agieren in eigener Verantwortung aber macht stark und zufrieden. Das kann ein Machthaber nicht wollen.

Fast sieben Jahre verbrachte ich gemeinsam mit meinem kleinen Sohn in dieser Hütte. Macht es glücklich in solch eine Hütte zu wohnen? Nein. Macht es glücklich in einer Villa mit zehn Zimmern neben einem Swimmingpool zu wohnen? Nein.
Glück oder Unglück existieren unabhängig vom jeweiligen materiellen Umfeld. Der kreative Prozess an sich macht glücklich. Mich hat diese Hütte glücklich gemacht, weil sie meine Schöpfung war, ein Beweis meiner Unabhängigkeit und Stärke.  Ich brauche niemanden und nichts zu fürchten, denn ich habe meine Eigenständigkeit bewiesen.

Meine Hütte gilt somit als Symbol meiner Kraft und ihr Werden als Ausdruck meines eigenen Seins. So außen wie innen. Hermes wusste es, Götterbote, Weiser aus dem alten Land, von dem die Sage spricht. Das äußere Dasein als Ausdruck der inneren Befindlichkeit. Jeder richtet sich sein Leben ein, wie er es vermag oder, wie sein Unterbewusstsein es arrangiert. Leben um zu lernen. Lernen ein Leben lang. So lang wir lernen verändern wir uns, bleiben beweglich und im Wachstum, streben einer Vollendung entgegen, von der wir nicht wissen, wie sie aussehen mag.
Erst die Resignation, das sich Einrichten in Behaglichkeit, in vermeintlicher Sicherheit, lässt uns starr und alt werden, das Festhalten an Schuldzuweisungen, die Verbitterung über ein vermeintliches unabänderliches Schicksal. Wer dauerhaft vermeidet, sich für sein Leben verantwortlich zu fühlen, verhindert sein eigenes Wachstum. Seine körperlichen Leiden lassen letztlich den Zustand seiner Seele erkennen. Die hohen Kosten der Krankenkassen in Deutschland sind nicht zuletzt Ausdruck vieler ungelebter Leben.

Als ich mit den Arbeiten begann, wusste ich nicht, wie man eine Hütte baut. Nie hatte ich daran gedacht, dies zu tun. So verbrachte ich sehr viel Zeit mit Nachdenken darüber, in welcher Reihenfolge ich welche Tätigkeit ausführen sollte, von welcher Seite was wie genagelt wird usw. Obwohl vieles letztlich nur eine aus der Not geborene Lösung sein musste, hält die Hütte bis heute durch, immer noch regendicht. Steht einem mehr Zeit und Kraft zur Verfügung als mir, lässt sich sehr vieles besser machen. Ich würde dann mit Steinen und Lehm bauen und das Dach idealerweise mit Holzschindeln decken.

Der Töpfer aus dem Dorf schenkte uns seinen alten Herd, der auch noch in der Hütte Platz fand. Es war eine große Erleichterung, während des Regens die Möglichkeit zu haben, drinnen zu kochen und ohne großen Aufwand einfach mal einen Tee zubereiten zu können. Im Backofen des Herdes buk ich viele Kuchen und auch Brote. Der alte Herd tat noch etliche Jahre treu seine Arbeit, bis er irgendwann in Flammen aufging.

Nacheinander trudelten jetzt die Männer bei mir ein, um mein Bauwerk zu prüfen. Sie rüttelten an den Stämmen, schauten in alle Ecken, suchten nach Löchern und konnten nicht glauben, dass es nicht hineinregnete. Sätze wie: Es sieht ja sauber und ordentlich bei dir aus! Oder: Und zu den Fenstern regnet es auch nicht rein? Zeigten, dass ihre Vorstellungen weit entfernt von der Realität gewesen waren.
Einer meiner Nachbarn, der es abgelehnt hatte, mich bei der Materialbeschaffung zu unterstützen, „weil das nie etwas wird, aus dem Vorhandenen eine Hütte zu bauen“, sagte fassungslos kopfschüttelnd: In solch einer Hütte wollte ich immer leben…

Nun lebte ich darin.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 Regina (17.05.14)
In D wäre es kaum möglich, so etwas zu tun.

 Ganna meinte dazu am 17.05.14:
...ja, das scheint mir auch so zu sein...
Gringo (60)
(17.05.14)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Ganna antwortete darauf am 17.05.14:
...Du siehst das völlig richtig, es war in mancher Hinsicht ein Glück, dass viele mir nicht halfen...wenn, dann wäre das wahrscheinlich nach dem üblichen Schema gelaufen...so wie es war, war es gut...

...es wäre schon okay, wenn Männer für Frauen sorgen, dann aber bitte mit Respekt und den gibt es viel zu wenig...

...ich danke Dir,
mit lieben Grüßen
Ganna
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram