Weggehen 8 (Besitz)

Text zum Thema Außenseiter

von  Ganna

In Anbetracht der Geschehnisse des vergangenen Jahres und meines glücklichen Lebens unter freiem Himmel, fragte ich mich, was bleiben würde, würde ich meinen materiellen Besitz auf das absolute Minimum reduzieren. Mit wie wenig Geld ließe sich leben und welche Gegenstände wären unabdingbar? Wie weit überhaupt ist es möglich, sich aus der Gesellschaft zurückzuziehen?
Nein, ich wollte nicht zu einem asketisch lebenden Sadhu werden.
Das ging mir etwas zu weit. Hier ging es um mein eigenes Minimum. Wo sah ich dieses unabhängig von den Kindern, denn sie führten selbstverständlich ihr eigenes Leben mit ihrer Musik, Schule und allem, was das mit sich bringt.

Feuer bräuchte ich unbedingt, also Streichhölzer oder ein Feuerzeug und ein Messer, einen Topf, in dem man Tee und Gemüse kochen kann, einen Schutz gegen den Regen und ein Handtuch zum Abtrocknen nach dem Baden. Im Moment, auch wenn wir uns weitgehend aus dem eigenen Garten und der Natur ernährten und Conny für Milch und Käse arbeiten ging, kauften wir Kerzen und Streichhölzer, Salz und Öl, mal ein Stück Butter, auch brauchten wir Windeln für den Kleinen, Schulsachen, Papier, Schreibzeug, Briefmarken, Seife, Honig, Saatgut für den Garten und manchmal eine Flasche Wein…Wir würden Schuhe für den Winter brauchen, wenn unsere kaputt gingen und einen warmen Pullover, wenn der jetzige löchrig wurde.
Ein Korb ist nützlich zum Sammeln von Pilzen, Kräutern und Esskastanien, auch Löffel und Gabel finde ich zum Essen gut, vielleicht ein Behältnis für Lebensmittel, das sich fest verschließen lässt, eine Schere wünschte ich mir zum Beschneiden der Fingernägel, ebenso einen Kamm. Nähnadeln und auch Stricknadeln sind praktisch, um sich aus alter Kleidung neue zu fertigen.
Doch die Nadeln überschreiten schon eine Grenze vom absolut Notwendigen, sie scheinen fast ein Luxus zu sein. Den Besitz von Werkzeug überhaupt müsste man überdenken, da dieses gebraucht werden kann, um Dinge im Übermaß herzustellen. Werkzeuge bilden einen Fundus von Gegenständen, die gepflegt und bewahrt werden müssen und zum Diebstahl reizen. Sie sind nicht ständig in gebrauch, sondern nur manchmal. Darüber nachzusinnen hebe ich mir für später auf.
Eine Flöte, eine Maultrommel oder ein anderes kleines Musikinstrument wünschte ich mir zu meinem Vergnügen.

Einige Wiesenstücke von mir entfernt lebte eine Frau mit ihrem Kind, ebenso alt wie mein Söhnchen, in einem kleinen Zweipersonenzelt, Winters wie Sommers. Sie saßen neben ihrer Feuerstelle auf der Erde, aßen, wenn sie Hunger hatten das, was gerade da war. An Kleidung trugen sie, was sie geschenkt bekamen oder auf dem Müllplatz gefunden hatten. Lore fehlte jeglicher Ehrgeiz, etwas zu tun. Aber sie las Bücher und schenkte mir die Duineser Elegien Rilkes in einer deutsch-französischen Ausgabe. So stand ich dann unter freiem Himmel auf der Wiese und zitierte laut die Verse bis mir die Tränen kamen.

Irgendwie bewunderte ich diese Frau und war mir bewusst, dass ich weit davon entfernt war, so leben zu können. Sie und ihr Kind schienen völlig zufrieden mit der Situation. Doch in Untätigkeit mich Betrachtungen über die Welt hinzugeben, war nicht mein Ding. Ein Drang zu Beschäftigung ruhte in mir und wollte sich verwirklichen. Auch wollte ich nicht auf die Annehmlichkeiten einer einigermaßen festen Behausung verzichten und es ging ja nicht nur um mich, sondern auch um die Kinder.

Ich musste Material für die Hütte kaufen, Nägel und eine Zange zum Ziehen von alten Nägeln aus den Palettenbrettern und was eben nötig war. Doch die Frage, auf was ich mich beschränken kann, beschäftigt mich weiterhin. Würde ich mich mit so wenigen Dingen, die das Nötigste abdecken, wohl fühlen können? Die Frage konnte ich mit Ja beantworten, vorausgesetzt, ich käme nicht mit der restlichen Gesellschaft in Berührung.
Wahrscheinlich würden andere Menschen solch ein Leben, das in ihren Augen ein Leben in Armut wäre, mit Misstrauen betrachten und wahrscheinlich könnten sie es nicht nachvollziehen. Wahrscheinlich auch würden sie versuchen, mich zu bekehren, mich wieder in ihre Lebensform eingliedern wollen, mich in Heime oder psychiatrische Anstalten stecken.
Noch bin ich weit davon entfernt, so zu leben, doch ich habe die Schwelle, die aus der Gesellschaft hinausführt, eindeutig überschritten. Die Vorstellung, mit minimalem Besitz zu leben, hat ihren Platz in meinem Inneren gefunden. Und Rückkehr gibt es nicht, es gibt nur den Weg in eine Gleichgültigkeit dem Materiellen gegenüber, die der Seligkeit gleichkommt.

Die Freiheit vom materiellen Streben schenkt Zeit, wertvolle Zeit, um das Dasein zu genießen und Freude zu empfinden. Wer nichts hat, muss sich nicht um einen Besitz kümmern, muss weder Diebstahl fürchten, noch Schäden durch Hochwasser oder Feuer. Wer nichts sein eigen nennt, ist nicht gebunden daran. Energie, die für den Erwerb und Erhalt von materiellen Werten verausgabt wird, steht für anderes zur Verfügung. Was aber ist das Andere?
Dasein durch einen minimalen Aufwand an Arbeit muss die Aufmerksamkeit auf Bereiche lenken, die mir jetzt noch verschlossen sind. Was tue ich, wenn ich nichts mehr tue?

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Kommentare zu diesem Text

Gringo (60)
(17.05.14)
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 Ganna meinte dazu am 17.05.14:
...diese Frage lässt sich nur auf der freiwilligen Basis erörtern, alles andere wäre Zwang...ich meine, je weniger man selber abhängig ist von materiellen Dingen, um so größer kann die Freiheit aussehen...wenigstens kann man den Rahmen der materiellen Erpressbarkeit etwas weiten...

...eien andere Frage ist natürlich die der übrigen Gesellschaft, arm ist ja nicht nur der, der sich so fühlt, sondern auch der, der von den anderen so behandelt wird...

liebe Grüße
Ganna
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