Der Discomörder - Teil 6
Roman zum Thema Mord/Mörder
von NormanM.
Burscheids Handy ging, er meldete sich.
„Gut, danke“, beendete er das Gespräch.
„Der Tote war verheiratet. Riedmann und Jansen haben so eben seine Adresse aufgesucht und der Witwe die Nachricht überbracht. Sie fühlte sich noch nicht in der Lage, Fragen zu beantworten. Verständlicherweise. Sie wird aber morgen auf die Wache kommen“, informierte er dann Maurice. Maurice nickte.
„Wir sollten noch einmal mit dem Personal sprechen, vielleicht kann sich ja jemand an den Toten erinnern und kann vielleicht etwas zu seiner Begleitung erzählen“, schlug Burscheid dann vor.
Der Türsteher war ein hochgewachsener Mann im Alter von etwa Mitte 30. Seine braunen Haare waren ziemlich kurz geschoren, was bei seinem sich lichtendem Haar vermutlich die beste Alternative war. Er sah absolut nicht wie ein Türsteher aus - wenn man eine Vorstellung von einem Türsteher hatte. Auch seine Art sich zu artikulieren war sehr gepflegt, so dass man ihm durchaus einen Hochschulabschluss zutrauen könnte. Seinem Akzent nach schien er aus dem Ruhrgebiet zu kommen.
„Ja, er kam kurz vor 22:00 Uhr hier an, ich kann mich an ihn genau erinnern, da er mich so abwertend gemustert hat, so als wenn er mir zeigen wollte, dass ich nur ein dummer Türsteher bin und er etwas Besseres“, erzählte er den beiden Kommissaren.
„Und da waren Sie sauer und haben ihn vor Wut abgeknallt“, erwiderte Maurice, der sich seine Bemerkung nicht verkneifen konnte.
„Hey, jetzt machen Sie mal halblang. Wenn so etwas ein Grund ist, jemand umzubringen, gäbe es auf der Erde fast nur Mörder.“
„War jemand bei ihm?“, fragte Burscheid.
„Ja, ein Freund.“
„Können Sie diesen Mann beschreiben?“
„Er war etwa in demselben Alter, ungefähr gleich groß, sprich ca. 1,85, wirkte recht sportlich und hatte braune kurze Haare. Er trug eine blaue Jeans und eine schwarze Jacke.“
„Haben Sie gesehen, wann er die Diskothek verlassen hat?“
„Nein, leider nicht. Ich habe mich zwischendurch öfter mal unterhalten und war zwischendurch öfter auf dem WC, weil ich heute vorher einige Kaffee getrunken hatte. Daher nicht immer mitbekommen, wenn jemand raus ging.“
Auch die Kassiererin, die DJs sowie Kellner wurden noch mal befragt, aber leider keiner der Befragten konnte etwas Brauchbares beitragen. Sie hatten nur die Aussage von Daniela, die von dem Ermordeten wusste, dass sein Freund vorher die Disco verlassen hatte. Aber keiner konnte bestätigen, dass dieser Freund wirklich vorher gegangen war. Es bestand also die Möglichkeit, dass er dem Ermordeten gegenüber nur vorgegeben hatte, heim zu gehen, sich in Wahrheit aber noch immer in den Räumlichkeiten befunden hatte, um die Tat dann durchzuführen. Aus welchem Motiv auch immer. Aber um das herauszufinden mussten die Kommissare erst einmal erfahren, wer dieser Fremde war. Aber sicherlich wusste die Witwe, mit wem ihr Mann an dem Abend unterwegs gewesen war.
Und dann war ja noch dieser angeblich nur beste Freund der Tatzeugin, der noch vernommen werden musste. Ob er wirklich so harmlos war, wie es die Zeugin zu wissen glaubte, würde sich noch herausstellen.
Oder hatte man es vielleicht mit einem Heckenschützen zu tun? Burscheid ordnete vorsorglich an, dass künftig vorerst jeder einzelne Gast vor dem Einlass auf Waffen durchsucht zu werden hat.
*
Daniela war fix und fertig. Sie konnte einfach nicht glauben, was sie da eben erlebt hatte. Da wurde plötzlich jemand vor ihren Augen erschossen, an einem öffentlichen Ort voller Menschen. Etwas, das sie nur aus Filmen kannte, war nun zur Realität geworden. Wer tat so etwas? Und vor allem warum? War dieser Jens ein ausgewähltes Ziel oder nur ein zufälliges? Sie durfte gar nicht daran denken, dass auch sie hätte getroffen werden können. Und was ist, wenn dieser Verrückte noch mal zuschlagen würde? Oder ein anderer Verrückter? Vielleicht sogar hier in der Straßenbahn. Sie begann heftig zu zittern.
„Hallo? Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“, hörte sie plötzlich eine Stimme neben sich. Sie schreckte auf und sah nach oben. Neben ihrem Sitz stand eine junge Frau etwa in ihrem Alter, vielleicht etwas jünger, die sie besorgt ansah. Neben ihr stand ein Mann, etwa im selben Alter, vermutlich ihr Freund, der sie ebenso besorgt ansah.
„Oh sorry“, meinte die Frau, die von Danielas Aufschrecken selbst ein wenig erschrak. „Ich wollte Sie nicht erschrecken.“
„Nein, nein, macht nichts. Kein Problem“, gab Daniela zurück.
„Ist denn mit Ihnen alles in Ordnung? Können wir Ihnen vielleicht helfen?“
„Nein, nein. Es ist nichts.“ Doch kaum hatte es Daniela ausgesprochen, überkam es sie und sie brach in Tränen aus.
„Was ist denn los? Komm, setz dich mal zu uns auf den Vierer und dann erzähl, was los ist“, sprach die junge Frau ruhig auf sie ein und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Daniela nickte und stand schließlich auf und ließ sich von der Frau führen.
„Ich bin übrigens Sarah und das ist Tobias, mein Freund“, stellte die Frau sich vor, nachdem die drei wieder Platz genommen hatten.
„Ich bin Daniela.“
„So, und nun erzähl einfach mal!“
Die beiden schienen wirklich gutherzige Menschen zu sein. Schließlich erzählte Daniela. Die beiden waren sprachlos, als sie die Geschichte hörten. Ein wenig besser fühlte sie sich, nachdem sie alles erzählt hatte, auch wenn dies wildfremde Leute waren. Aber es war schön zu wissen, dass es so hilfsbereite Menschen gab. Sarah gab ihr sogar ihre Handynummer.
„Wenn du Lust hast, melde dich einfach mal. Wir können dann ja mal einen Kaffee trinken gehen“, bot Sarah an. Daniele freute sich darüber sehr, Sarah schien wirklich sehr nett und sympathisch zu sein. Mit ihr würde sie sich sicher gut verstehen.
Als sie zu Hause war, versuchte sie Jan zu erreichen. Auch wenn sie sich nun schon besser fühlte, hatte sie ein Bedürfnis danach, mit ihrem besten Freund zu reden. Außerdem musste sie ihm ja sagen, dass er morgen mit ihr aufs Revier kommen sollte. Es ertönte Freizeichen, aber er ging nicht ran. Okay, er war sicherlich schon zu Hause eingetroffen, vielleicht auch schon im Bett, aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass er schon schlief. Vielleicht hatte er das Handy auf lautlos gestellt, um nicht geweckt zu werden, aber wie konnte ihm jetzt nach schlafen zumute sein. Wollte er denn gar nicht wissen, ob es schon etwas Neues gab?
Sie dachte an die Bemerkung des Ermittlers, dass Jan möglicherweise eifersüchtig war. Ob da wohl wirklich etwas dran sein sollte? Nein, das konnte nicht sein. Aber wenn doch? Aber dann würde er doch nicht gleich jemand umbringen. Nein, so verrückt war er nie im Leben. Und woher sollte er mit einer Waffe umgehen können? Er war ja nicht einmal bei der Bundeswehr gewesen. Nur allein der Gedanke daran, ob er irgendetwas damit zu tun haben könnte, war mehr als lächerlich. Aber warum ging er nicht ran? Oder war ihm etwa etwas passiert? War der Mörder vielleicht doch mit derselben Bahn gefahren wie er und ein Geisteskranker? Vielleicht war er tot? Bei dem Gedanken blieb ihr fast das Herz stehen. Bitte lass ihm nichts passiert sein, sprach sie leise aus. Sie versuchte erneut, ihn zu erreichen. Nichts. Freizeichen. Sie ließ länger durchklingeln. Doch nichts passierte. Sie rief ihm zu Hause auf sein Festnetztelefon an. Auch dort passierte nichts. Bitte geh ran, bitte, dachte sie. Doch er ging nicht ran. Was sollte sie denn machen? Vielleicht schlief er wirklich oder hatte das Handy wirklich auf lautlos. Aber sie würde sich die ganze Nacht verrückt machen, wenn sie nicht wüsste, ob mit ihm alles in Ordnung war.
Da kam ihr die rettende Idee. Sollte der Mörder wirklich noch einmal zugeschlagen haben, würde mit Gewissheit bereits jemand die Polizei verständigt haben. Sie rief die Polizei an, erklärte ihr den Sachverhalt und fragte, ob es irgendwelche Meldungen gab. Doch die Polizei konnte sie beruhigen. Es war kein weiterer Mordfall bekannt. Das beruhigte sie. Doch schlafen konnte sie noch nicht, sie war noch zu aufgedreht und fassungslos über das, was sie mit eigenen Augen ansehen musste. Am liebsten hätte sie ihre Eltern angerufen, aber sie wollte sie nicht mitten in der Nacht wecken.
Im Küchenschrank fand sie noch etwas Baldrian. Davon hatte sie während des Studiums immer vor Prüfungen welche genommen, um sich zu beruhigen. Die Tropfen waren nun schon einige Jahre alt und wahrscheinlich nicht mehr gut, aber das war ihr in dem Moment egal. Sie nahm trotzdem ein paar Tropfen zu sich, das Schlimmste, was passieren konnte, war, dass sie sich nachts übergeben müsste.
Nach einer Weile wirkten die Tropfen tatsächlich, so dass sie schließlich doch irgendwann einschlief. Als sie morgens aufwachte, sah sie zuerst auf ihr Handy und sah, dass eine SMS eingegangen war. Sie war von Jan. Er habe gerade, als sie angerufen hatte geduscht und den Anruf nicht gehört und danach nicht aufs Handy gesehen. Ob es etwas Neues bezüglich des Mordes gebe. Ihr fiel ein Stein vom Herzen, als sie sah, dass alles in Ordnung war. Es war sechs Uhr morgens. Anrufen wollte sie ihm jetzt nicht, um ihm zu sagen, dass er zur Polizei müsse. So schrieb sie ihm erst einmal eine SMS und beschloss gegen halb neun anzurufen und hoffte, dass er davon wach würde. Sie wusste, dass er sein Telefon zu Hause sehr leise eingestellt hatte und ihn, wenn er schlief, kein Telefon weckte.
Doch leider gelang es ihr auch später nicht, ihn zu wecken. Sein Handy war ausgeschaltet und übers Festnetz konnte sie ihn auch nicht erreichen. Eigentlich hasste sie es, wenn Menschen aufdringlich waren, aber nun verhielt sie sich selbst so, indem sie in Fünf-Minuten-Abständen versuchte, ihn zu erreichen. Sie wollte einfach nicht, dass er Unannehmlichkeiten mit der Polizei bekam. Es war jedoch zwecklos. Sein Handy war, als sie kurz vor 10:00 Uhr im Präsidium erschien, noch immer ausgeschaltet und auch ihre Versuche, ihn übers Festnetz zu erreichen, scheiterten. Irgendwann musste er doch mal aufwachen.
Sie begrüßte Herrn Burscheid, der ihr gerade entgegen kam und teilte ihm mit, dass sie Jan nicht erreichen konnte.
„Kein Problem, dann fahren wir gleich einfach mal vorbei. Und wenn wir ihn nicht antreffen, müssen wir ihm eben schriftlich vorladen. Sie dürfen schon einmal mitkommen, das Protokoll erstellt ein Kollege“, antwortete der Kommissar und führte sie in ein Büro und stellte sie dort einem Beamten vor.
„Gut, danke“, beendete er das Gespräch.
„Der Tote war verheiratet. Riedmann und Jansen haben so eben seine Adresse aufgesucht und der Witwe die Nachricht überbracht. Sie fühlte sich noch nicht in der Lage, Fragen zu beantworten. Verständlicherweise. Sie wird aber morgen auf die Wache kommen“, informierte er dann Maurice. Maurice nickte.
„Wir sollten noch einmal mit dem Personal sprechen, vielleicht kann sich ja jemand an den Toten erinnern und kann vielleicht etwas zu seiner Begleitung erzählen“, schlug Burscheid dann vor.
Der Türsteher war ein hochgewachsener Mann im Alter von etwa Mitte 30. Seine braunen Haare waren ziemlich kurz geschoren, was bei seinem sich lichtendem Haar vermutlich die beste Alternative war. Er sah absolut nicht wie ein Türsteher aus - wenn man eine Vorstellung von einem Türsteher hatte. Auch seine Art sich zu artikulieren war sehr gepflegt, so dass man ihm durchaus einen Hochschulabschluss zutrauen könnte. Seinem Akzent nach schien er aus dem Ruhrgebiet zu kommen.
„Ja, er kam kurz vor 22:00 Uhr hier an, ich kann mich an ihn genau erinnern, da er mich so abwertend gemustert hat, so als wenn er mir zeigen wollte, dass ich nur ein dummer Türsteher bin und er etwas Besseres“, erzählte er den beiden Kommissaren.
„Und da waren Sie sauer und haben ihn vor Wut abgeknallt“, erwiderte Maurice, der sich seine Bemerkung nicht verkneifen konnte.
„Hey, jetzt machen Sie mal halblang. Wenn so etwas ein Grund ist, jemand umzubringen, gäbe es auf der Erde fast nur Mörder.“
„War jemand bei ihm?“, fragte Burscheid.
„Ja, ein Freund.“
„Können Sie diesen Mann beschreiben?“
„Er war etwa in demselben Alter, ungefähr gleich groß, sprich ca. 1,85, wirkte recht sportlich und hatte braune kurze Haare. Er trug eine blaue Jeans und eine schwarze Jacke.“
„Haben Sie gesehen, wann er die Diskothek verlassen hat?“
„Nein, leider nicht. Ich habe mich zwischendurch öfter mal unterhalten und war zwischendurch öfter auf dem WC, weil ich heute vorher einige Kaffee getrunken hatte. Daher nicht immer mitbekommen, wenn jemand raus ging.“
Auch die Kassiererin, die DJs sowie Kellner wurden noch mal befragt, aber leider keiner der Befragten konnte etwas Brauchbares beitragen. Sie hatten nur die Aussage von Daniela, die von dem Ermordeten wusste, dass sein Freund vorher die Disco verlassen hatte. Aber keiner konnte bestätigen, dass dieser Freund wirklich vorher gegangen war. Es bestand also die Möglichkeit, dass er dem Ermordeten gegenüber nur vorgegeben hatte, heim zu gehen, sich in Wahrheit aber noch immer in den Räumlichkeiten befunden hatte, um die Tat dann durchzuführen. Aus welchem Motiv auch immer. Aber um das herauszufinden mussten die Kommissare erst einmal erfahren, wer dieser Fremde war. Aber sicherlich wusste die Witwe, mit wem ihr Mann an dem Abend unterwegs gewesen war.
Und dann war ja noch dieser angeblich nur beste Freund der Tatzeugin, der noch vernommen werden musste. Ob er wirklich so harmlos war, wie es die Zeugin zu wissen glaubte, würde sich noch herausstellen.
Oder hatte man es vielleicht mit einem Heckenschützen zu tun? Burscheid ordnete vorsorglich an, dass künftig vorerst jeder einzelne Gast vor dem Einlass auf Waffen durchsucht zu werden hat.
*
Daniela war fix und fertig. Sie konnte einfach nicht glauben, was sie da eben erlebt hatte. Da wurde plötzlich jemand vor ihren Augen erschossen, an einem öffentlichen Ort voller Menschen. Etwas, das sie nur aus Filmen kannte, war nun zur Realität geworden. Wer tat so etwas? Und vor allem warum? War dieser Jens ein ausgewähltes Ziel oder nur ein zufälliges? Sie durfte gar nicht daran denken, dass auch sie hätte getroffen werden können. Und was ist, wenn dieser Verrückte noch mal zuschlagen würde? Oder ein anderer Verrückter? Vielleicht sogar hier in der Straßenbahn. Sie begann heftig zu zittern.
„Hallo? Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“, hörte sie plötzlich eine Stimme neben sich. Sie schreckte auf und sah nach oben. Neben ihrem Sitz stand eine junge Frau etwa in ihrem Alter, vielleicht etwas jünger, die sie besorgt ansah. Neben ihr stand ein Mann, etwa im selben Alter, vermutlich ihr Freund, der sie ebenso besorgt ansah.
„Oh sorry“, meinte die Frau, die von Danielas Aufschrecken selbst ein wenig erschrak. „Ich wollte Sie nicht erschrecken.“
„Nein, nein, macht nichts. Kein Problem“, gab Daniela zurück.
„Ist denn mit Ihnen alles in Ordnung? Können wir Ihnen vielleicht helfen?“
„Nein, nein. Es ist nichts.“ Doch kaum hatte es Daniela ausgesprochen, überkam es sie und sie brach in Tränen aus.
„Was ist denn los? Komm, setz dich mal zu uns auf den Vierer und dann erzähl, was los ist“, sprach die junge Frau ruhig auf sie ein und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Daniela nickte und stand schließlich auf und ließ sich von der Frau führen.
„Ich bin übrigens Sarah und das ist Tobias, mein Freund“, stellte die Frau sich vor, nachdem die drei wieder Platz genommen hatten.
„Ich bin Daniela.“
„So, und nun erzähl einfach mal!“
Die beiden schienen wirklich gutherzige Menschen zu sein. Schließlich erzählte Daniela. Die beiden waren sprachlos, als sie die Geschichte hörten. Ein wenig besser fühlte sie sich, nachdem sie alles erzählt hatte, auch wenn dies wildfremde Leute waren. Aber es war schön zu wissen, dass es so hilfsbereite Menschen gab. Sarah gab ihr sogar ihre Handynummer.
„Wenn du Lust hast, melde dich einfach mal. Wir können dann ja mal einen Kaffee trinken gehen“, bot Sarah an. Daniele freute sich darüber sehr, Sarah schien wirklich sehr nett und sympathisch zu sein. Mit ihr würde sie sich sicher gut verstehen.
Als sie zu Hause war, versuchte sie Jan zu erreichen. Auch wenn sie sich nun schon besser fühlte, hatte sie ein Bedürfnis danach, mit ihrem besten Freund zu reden. Außerdem musste sie ihm ja sagen, dass er morgen mit ihr aufs Revier kommen sollte. Es ertönte Freizeichen, aber er ging nicht ran. Okay, er war sicherlich schon zu Hause eingetroffen, vielleicht auch schon im Bett, aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass er schon schlief. Vielleicht hatte er das Handy auf lautlos gestellt, um nicht geweckt zu werden, aber wie konnte ihm jetzt nach schlafen zumute sein. Wollte er denn gar nicht wissen, ob es schon etwas Neues gab?
Sie dachte an die Bemerkung des Ermittlers, dass Jan möglicherweise eifersüchtig war. Ob da wohl wirklich etwas dran sein sollte? Nein, das konnte nicht sein. Aber wenn doch? Aber dann würde er doch nicht gleich jemand umbringen. Nein, so verrückt war er nie im Leben. Und woher sollte er mit einer Waffe umgehen können? Er war ja nicht einmal bei der Bundeswehr gewesen. Nur allein der Gedanke daran, ob er irgendetwas damit zu tun haben könnte, war mehr als lächerlich. Aber warum ging er nicht ran? Oder war ihm etwa etwas passiert? War der Mörder vielleicht doch mit derselben Bahn gefahren wie er und ein Geisteskranker? Vielleicht war er tot? Bei dem Gedanken blieb ihr fast das Herz stehen. Bitte lass ihm nichts passiert sein, sprach sie leise aus. Sie versuchte erneut, ihn zu erreichen. Nichts. Freizeichen. Sie ließ länger durchklingeln. Doch nichts passierte. Sie rief ihm zu Hause auf sein Festnetztelefon an. Auch dort passierte nichts. Bitte geh ran, bitte, dachte sie. Doch er ging nicht ran. Was sollte sie denn machen? Vielleicht schlief er wirklich oder hatte das Handy wirklich auf lautlos. Aber sie würde sich die ganze Nacht verrückt machen, wenn sie nicht wüsste, ob mit ihm alles in Ordnung war.
Da kam ihr die rettende Idee. Sollte der Mörder wirklich noch einmal zugeschlagen haben, würde mit Gewissheit bereits jemand die Polizei verständigt haben. Sie rief die Polizei an, erklärte ihr den Sachverhalt und fragte, ob es irgendwelche Meldungen gab. Doch die Polizei konnte sie beruhigen. Es war kein weiterer Mordfall bekannt. Das beruhigte sie. Doch schlafen konnte sie noch nicht, sie war noch zu aufgedreht und fassungslos über das, was sie mit eigenen Augen ansehen musste. Am liebsten hätte sie ihre Eltern angerufen, aber sie wollte sie nicht mitten in der Nacht wecken.
Im Küchenschrank fand sie noch etwas Baldrian. Davon hatte sie während des Studiums immer vor Prüfungen welche genommen, um sich zu beruhigen. Die Tropfen waren nun schon einige Jahre alt und wahrscheinlich nicht mehr gut, aber das war ihr in dem Moment egal. Sie nahm trotzdem ein paar Tropfen zu sich, das Schlimmste, was passieren konnte, war, dass sie sich nachts übergeben müsste.
Nach einer Weile wirkten die Tropfen tatsächlich, so dass sie schließlich doch irgendwann einschlief. Als sie morgens aufwachte, sah sie zuerst auf ihr Handy und sah, dass eine SMS eingegangen war. Sie war von Jan. Er habe gerade, als sie angerufen hatte geduscht und den Anruf nicht gehört und danach nicht aufs Handy gesehen. Ob es etwas Neues bezüglich des Mordes gebe. Ihr fiel ein Stein vom Herzen, als sie sah, dass alles in Ordnung war. Es war sechs Uhr morgens. Anrufen wollte sie ihm jetzt nicht, um ihm zu sagen, dass er zur Polizei müsse. So schrieb sie ihm erst einmal eine SMS und beschloss gegen halb neun anzurufen und hoffte, dass er davon wach würde. Sie wusste, dass er sein Telefon zu Hause sehr leise eingestellt hatte und ihn, wenn er schlief, kein Telefon weckte.
Doch leider gelang es ihr auch später nicht, ihn zu wecken. Sein Handy war ausgeschaltet und übers Festnetz konnte sie ihn auch nicht erreichen. Eigentlich hasste sie es, wenn Menschen aufdringlich waren, aber nun verhielt sie sich selbst so, indem sie in Fünf-Minuten-Abständen versuchte, ihn zu erreichen. Sie wollte einfach nicht, dass er Unannehmlichkeiten mit der Polizei bekam. Es war jedoch zwecklos. Sein Handy war, als sie kurz vor 10:00 Uhr im Präsidium erschien, noch immer ausgeschaltet und auch ihre Versuche, ihn übers Festnetz zu erreichen, scheiterten. Irgendwann musste er doch mal aufwachen.
Sie begrüßte Herrn Burscheid, der ihr gerade entgegen kam und teilte ihm mit, dass sie Jan nicht erreichen konnte.
„Kein Problem, dann fahren wir gleich einfach mal vorbei. Und wenn wir ihn nicht antreffen, müssen wir ihm eben schriftlich vorladen. Sie dürfen schon einmal mitkommen, das Protokoll erstellt ein Kollege“, antwortete der Kommissar und führte sie in ein Büro und stellte sie dort einem Beamten vor.