Toni und Weihnachten

Text zum Thema Kinder/ Kindheit

von  tastifix

Es würde das erste Weihnachtsfest sein, das Toni(23 Monate alt) bewusst miterleben würde und wir waren alle sehr gespannt.
„Was das wohl geben wird …?“

Zunächst gab es noch gar nichts bis auf den Anruf meiner Tochter, Toni sei schwer erkältet.
„Die Arme! Hoffentlich ist dann nicht alles zuviel für sie!“
„Ach, das klappt schon!“
„Hm! Solange die Kerzen brennen, sitzt sie aber entweder im Hochstuhl oder wir halten sie fest. Ist mir sonst viel zu gefährlich!“
„Kein Problem!“, war die Antwort.

Mit Argusaugen und -ohren hielten wir denn Haustür sowie Schelle unter Aufsicht. Gegen 15 Uhr wollten sie eigentlich da sein … 
„Vielleicht ist irgendwo nen Stau!“
Endlich, fast zwanzig Minuten später als verabredet, standen sie vor der Tür. In ein schickes Trägerkleid gewandet, darüber eine dicke Winterjacke trippelte uns ein blasses Tonilein entgegen, das erst nach mehrmaliger Aufforderung ihrer Mama, doch „Hallo“ zu sagen, dem nachkam. Man sah ihr an, dass sie sich nicht wohl fühlte und sie tat mir in der Seele leid.
„Nachher ist sie abgelenkt!“, beruhigte ich mich.

Auf „Nachher“ brauchte ich gar nicht zu warten. Toni erblickte die gedeckte Kaffeetafel mit Kuchen und Plätzchen und nahm dann auch gnädiger Miene zwischen Tante Drei und deren Verlobtem Patrick auf der Eckbank Platz. Von dann an konnte sie den Nachmittag rundherum genießen. Kammerzofe Tina und Kammerdiener Patrick putzten auf Befehl ´Nase putzen` Näschen und ´da Krümel` den selbigen von der Kleinkindwange. Toni hatte sich die Beiden ja bereits bestens erzogen. 

So umsorgt zu werden, gibt frischen Lebensmut zurück, sie taute auf. Dort stand doch so fein nah das Schüsselchen mit den von mir selber gebackenen Plätzchen - selbstverständlich vor allem für Toni. Sie wollte es unbedingt dann würdigen und streckte die Hand danach aus.
„Toni: Nein! Wie heißt das?“
Das aber hatte Toni wohl vergessen und ließ ihr armes, vielleicht ebenfalls in Mitleidenschaft gezogene Gedächtnis in Ruhe. Nein, das durfte sie jetzt nicht in Anspruch nehmen. Es war doch vielleicht auch krank. Stattdessen machte sie Babyschüppchen und schmollte uns was vor.
„Du brauchst nur „bitte“ zu sagen, Toni. Dann bekommst du eines!“

Unsere Kleine bestand weiterhin darauf, dass dies an jenem Tag und obendrein wegen ihres maladen Zustandes wohl eine Anmaßung sondergleichen wäre und schmollte weiter. Als aber selbst dann die Plätzchen nicht näher rückten, packte sie die Wut und sie langte rigoros hin - mit dem Arm quer über den Tisch. Prompt wanderte das Schüsselchen aufs entgegen gesetzte Ende des Tisches zu.
„Wenn Toni nicht bald … , dann klirrt es!“
Selbst ihr schien es mulmig zu werden: Was wäre, wenn die Plätzchen gleich gar verschwinden würden?
Nee, das war ihr zu riskant und urplötzlich brachte sie etwas über die Lippen, was wir mit viel gutem Willen und einiger Fantasie als „bitte“ deuteten.  Sofort machte das Schüsselchen kehrt und stellte sich in Greifnähe vor Toni hin, die dann zufrieden vor sich hin mümmelte.

So allmählich wurds dämmrig und wir hoben die Kaffeetafel auf. Die Bescherung stand an. Dies stellte uns vor eine neue Herausforderung: Die Kleine musste abgelenkt werden. Ich schnappte mir also mein Enkelinchen und stieg mit ihr an der Hand, von Tante Tina gefolgt, in die Jugendetage und holte fix eine Puppe herbei. Toni hatte sie gerade freudig in Empfang genommen, da bimmelte bereits von unten das Glöckchen. Also Püppchen wieder ins Puppenbett und wir zurück nach unten. Toni und ich erneut Hand in Hand und Tante Tina als zusätzliche Treppen-runterfall-Absicherung hinter, vor und neben der Kleinen her. Inzwischen war der klar, dass sie irgendwas Tolles erwartete und wenn Toni aufgeregt ist, bringt nichts sie mehr zum Schweigen, zumal Tina ihr auch etwas zuflüsterte.  Prompt schmetterte sie in Lautstärke 300:
"Wir k..kommen gleich. Wir sind gleich dahaah!" 
Deshalb also hatte meine Tochter dermaßen gegrinst …

Im Wohnzimmer hinter der breiten Flügeltür wurds echt spannend. Der Opi hatte sämtliche Geschenke, die Toni nicht sofort entdecken sollte, mit weißen Tüchern abgedeckt und diese Tücher schienen ihr viel interessanter zu sein als der Tannenbaum mit all den Kerzen und Kugeln. Trotzdem noch nahm ich sie sicherheitshalber zur Seite:
„Du Toni: du weißt ja, Frühstückseier sind heiß. Du, die Kerzen hier, die sind ganz, ganz heiß. Nicht dran gehen!“
Diesen Hinweis hätte ich mir sparen können.  Sie widmete sich nämlich ausschließlich dem Vergnügen,  immer haarscharf am Tuchrand entlang hin- und her zu trippeln.
„Ein falscher Schritt und eine der Gaben ist platt!“
Aber Toni hat ja einen Schutzengel, einen recht tüchtigen obendrein, der vor allem am Heiligabend bemüht ist, ja sämtliche möglichen Katastrophen zu verhindern. Ich muss ihm ein ausgesprochen großes Lob erteilen. Wie schaffte er es bloß, wie nur? Weder trampelte Toni auf den Tüchern herum noch irgendein Geschenk darunter platt. Alles blieb ganz.

Zu Weihnachten und besonders unterm Tannenbaum geziemt es sich, zu singen. Tonis Papa stimmte also ´O Tannenbaum` an und hoffte auf inbrünstige Unterstützung seines Töchterchens, dass zwecks Sicherheitsverwahrung auf Opis Schoss gelandet war. 
„O Tan ... !“, hub er an.
Es vermochte Toni nicht vom Hocker zu reißen. Sie schwieg sich aus und starrte auf die Tücher.
„Wenn schon nicht  ´O Tannenbaum`, dann eben soo … !`, sagte ich mir und nach kurzer Absprache wichen wir auf ´Häschen in der Grube` aus.
War ja auch ein Lied. Das gefiel Toni:
„Häääschen …Gruuabe ... sliieef …!“
Zusehends munterer sang sie mit. Deshalb wagten wir dann einen zweiten Versuch:
„O Tannenbaum, wie grün sind deine Blätter!“
Blätter kannte Toni ja und weil sie inzwischen richtig guter Laune war, schmetterte sie mit:
„Blättaaaaar!! … Sommaaah!“

Nun durften wir uns guten Gewissens der Bescherung widmen. Der Opi lüftete also die Arktislandschaft und es zeigten sich viele kleine und größere bunte Berge und dazwischen Minitäler. Die Berge waren die Geschenke und die Täler die recht schmalen Lücken dazwischen. Toni verteilte begeistert die Geschenke und riss mit noch größerer Begeisterung an dem Papier herum. Bis alles verteilt und gegenseitig bestaunt worden war, dauerte es ne ganze Weile und bei unserer Kleinen zeigten sich die ersten Müdigkeitsanzeichen.
´Kein Wunder nach der ganzen Aufregung!`

Aber es war Weihnachten und dann wäre es eine beinahe unentschuldbare Grausamkeit gewesen, sie ins Bett zu verbannen und so etwas machen liebe Omi-, Tanten-Zofen und Opi- und Onkel-Kammerdiener nicht. Stattdessen nahm Toni im Hochstuhl Platz diagonal ihrem Papa gegenüber. Es gab Sauerbraten mit Spätzle und viel Soße. Allen schmeckte es. Unsere Kleine, total überreizt, wurde ständig granntiger und kommandierte ihre Dienerschaft nach Kräften herum:
„Pädpack (Patrick). Baby holen!“
Klar, dass Puppe Baby innerhalb einer Sekunde da war.
„Bööötchen!“
Sofort drückte ihr jemand ein Brötchen in die Hand, mit dem sie aber nur rum spielte. Danach:
„Keks!“
„Nudel!“
Doch dann wollte sie die denn doch wieder nicht. Wir versuchten zuzureden, zu trösten usw. … Nichts half mehr. Und weil nichts mehr half, steigerte sich Toni immer mehr hinein. Sie, die ansonsten so liebevolle Puppenmami, ließ den ganzen Frust an ihrem unschuldigen Baby aus. Erst hielt sie es nur hoch in die Luft, dann holte sie aus und knallte Babys Kopf auf die Tischplatte, wieder und wieder und mit ständig größerem Schwung.

„Aber Toni!!“
„Antonia!“, rügte der strenge Herr Papa vergeblich.
Toni reichte es nun endgültig und mit voller Wucht knallte sie Baby ihrem Papa auf dessen Teller in die Sauerbratensoße.
´Armes Baby. Hoffentlich gibt des keinen Schädelbasisbruch!`
Keine Sorge: Puppenkinder sind hart im Nehmen. So auch Baby. Im Gegenteil: Irgendwie hatte ich das Gefühl, dem schien es tatsächlich zu gefallen. Jedenfalls unternahm es mindestens drei Tauchversuche ins bräunliche Vergnügen und seiner Mimik nach zu urteilen, wenn es wieder auftauchte, bedeutete dies so überhaupt keine  Qual. Anders für Tonis Papa: Der stierte entgeistert auf Baby, fischte das tropfende Etwas mit zwei Fingern aus der Tunke, schaute es zweifelnd an und starrte dann, mindestens ebenso fassungslos, sein nun vor Vergnügen glucksendes und ihn anstrahlendes Töchterchen an.

Dabei war Baby noch sehr rücksichtsvoll vorgegangen und die Soße hatte Papas Oberhemd tatsächlich verschont …

Ich lache noch heute Tränen, wenn ich daran zurückdenke.

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