Paris

Kurzgeschichte

von  Hartmut

Der Zug, der uns  von  Köln aus ans Ziel bringen sollte, sah schäbig aus. Außen grün, die Sitze braun , Kunstleder. Es war ein Nachtzug, den wir auf keinen Fall verpassen durften und  so saßen wir schon viel zu früh auf unseren Plätzen. Einige meiner Kameraden stiegen kurz noch  mal aus, um Bier einzukaufen für die lange Reise.
7 Tage in einem unbekannten Land lagen vor uns.
Wir, 14 Berufsschüler, Industriemechaniker am Ende der Ausbildung. Schon an der Grenze konnte man das Land riechen. Braunkohle. Ach ja, die Grenze und die Grenzabfertigung. Warum wurde  mir eine Autozeitschrift  abgenommen, warum mussten wir zur Passkontrolle auf den Gang? Dann das Abschließen der Zugtüren, Stille. Starr und unfreundlich das Gesicht der Grenzbeamtin.
Ankunft am Morgen, ungewaschen, durchgeschüttelt  und unausgeschlafen stiegen wir aus und wurden  in einem für uns fremden Dialekt begrüßt. Wir hatten nach den Erfahrungen an der Grenze mit dem Schlimmsten gerechnet, nicht aber an eine Erscheinung in Blond.
„ Willkommen  in der Deutschen Demokratischen Republik“, sprach der Engel zu uns. „Ich begleite euch eine Woche lang und zeige euch unseren Staat.“
Unseren Staat?
Vom Bahnhof  gingen wir zur nah gelegenen Jugendherberge. Vorbei an einer  russischen Kaserne, Soldaten schauten uns nach. Ihre Gesichter noch jünger als unsere. Die Jugendherberge  sollte,  so konnte man am Eingang lesen,  ein Ort der Begegnung für die Jugend der Welt sein. Mit uns zusammen war aber nur noch  eine Klasse aus Frankfurt, müde Gymnasiasten, die ständig mit dem Walkman spielten und  schlecht gelaunt schon morgens in ihren  Bus einstiegen.
Wir aber waren frei und glücklich - mit ihr. Wir erkundeten gemeinsam auf Fahrrädern die Umgebung. Sie befreite uns nach kurzer Zeit mit einem Lächeln aus russischer Gefangenschaft. Wie kann man auch nur mitten  in der Zeit des Kalten Krieges den Wunsch haben, eine richtige „MIG“ aus der Nähe sehen zu wollen? Es gelang ihr sogar, ein Zusammentreffen mit Lehrlingen zu organisieren. Thema: Die Friedenspolitik und das  Mehrparteiensystem der DDR. Da saßen die Auszubildenden von Rheinbraun mit den Lehrlingen von „Elbbraun“, und geredet wurde nur über Bagger und Absetzer. Dafür klappte es nicht mit dem Telefonieren nach Westen  und auch die abendliche Rationierung des Bieres löste Kopfschütteln aus. „Wir haben eben noch nicht westlichen Standard, die Startbedingungen unseres  Staates waren viel ungünstiger als in Westdeutschland“, lautete die Erklärung.
Einmal funkelten ärgerlich ihre Augen, als ein Klassenkamerad  lauthals verkündigte, er könne die Trabbis nicht mehr sehen und freue  sich wieder auf sein Auto.
Natürlich kam die Frage nach der Disco. Es war unser letzter Abend. Wir gingen ins Haus der Jugend. Nein, es waren keine blauen Hemden der FDJ zu sehen. Vergessen wir die Musik, ein Mix aus DDR Rock, Schlagern und Verstaubtem!  So gegen 23 Uhr das letzte Stück. Ich traute meinen Ohren nicht.
Zuerst die  paar Takte Keyboard, dann ein kurzes  Schlagzeugsolo. Und danach der Schrei von Jim Morrison : „Yeahhhhhhhhhhhh,………..when the music is over.“ Ich war wie elektrisiert, schaute sie an. Und sie ging mit. Auf der Tanzfläche fragte ich : „Seit wann hört ihr die Doors und wo habt ihr die Platte gekauft?“  „Schon immer, wir sind kein Entwicklungsland,  Jim Morrison ist in Paris jämmerlich gestorben, seine Stimme hat was, sexy!“ 

Come back baby into my arm
We are gettin`tired of hangin around
Waitin around with your heads to the ground
I hear a very gentl sound
Very near yet very far
Very soft, yeah, very dear, come to day.

„Wars’ Du schon mal in Paris?“„Ja, zweimal“. „Und?“ „Man sollte, wenn man zum ersten Mal in Paris ist, mit der Metro Linie 8 bis zur Station Ecole Militaire fahren, dann die Treppen hochsteigen  zum Place Joffre  und von da aus siehst du am besten den…….“„Ich möchte einmal nach Paris“, brach es aus ihr heraus, „auch an sein Grab, du musst wissen, ich studiere Französisch, aber mein Land hat nicht die Devisen, mir die Reise zu bezahlen.“

Mein Land?

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Die Begegnung  mit ihr( einige Jahre danach) auf der Treppe im Hotel Chopin ist eine im Vorübergehen.
Das Hotel am Ende einer Passage, ganz in der Nähe des Boulevard Montmartre, ist ein Ort für die Liebe. Das Zimmer ist so klein, dass gerademal zwei Koffer neben dem Bett Platz haben. Kein Stuhl, kein Sessel. Ab und zu spürt man die Erschütterung der U-Bahn, wenn man Glück mit dem Zimmer hat, sogar einen Blick auf den Eiffelturm.
Er ist sich sicher: Es ist der Engel aus Altenburg, die blonden Haare jetzt ganz kurz (wie Jean Seberg im Film „Außer Atem“).
„Come back baby into my arm …”

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(07.02.15)
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