Mein kleiner Buddha

Kurzgeschichte zum Thema Erinnerung

von  Hartmut

Die Hähne im Dorf Muang Ngoi Kao am Oberlauf des Nam Ou in Nordlaos lassen einen nicht lange schlafen.
Genervt, schlecht gelaunt stehe ich auf, ziehe mich schnell an, um den Almosengang der Mönche und Novizen noch zu sehen. Sie verlassen gerade das Kloster, kommen mir entgegen. Ein paar Dorfbewohner knien am Rande der Straße, spenden. Ich betrete das Kloster, bin allein, betrachte den Buddha. Still sitzt er da, schaut mich nicht an und doch glaube ich, dass er mich „wahrnimmt“. Froh macht er mich.

Als Kind habe ich mich immer in meiner Pfarrkirche Herz Jesu vor dem Christus am Kreuz gefürchtet. Die Dornenkrone, das Blut an Händen und Füßen, kein Bild für ein Kind.
Später habe ich nach dem Warum gefragt und keine  Antwort gefunden. Aber da war die allgegenwärtige Liebe meiner Mutter. Heute, im letzten Viertel meines Lebens, empfinde ich das Kreuz als eine Zumutung.

Die  Bootsfahrt zurück nach Luang Prabang dauert viele Stunden. Die langen, schmalen Boote sind wie immer überladen, und so ist für mich und anderen Fahrgäste kaum Platz. Mir gegenüber sitzt ein etwa 10-jähriger Junge mit seiner etwas älteren Schwester. Ich bin fasziniert vom Anblick des Jungen in seiner abgetragenen Hose, einem viel zu großen Hemd und den Flip Flops an den Füßen. Auf unserer langen Reise werde ich ihn immer wieder anschauen. Vor langer Zeit habe ich meine schlafende Tochter in ihrem Bettchen auch so betrachtet.

Die tiefschwarzen Augen mit den langen Wimpern schauen durch mich hindurch in die Weite der Landschaft. Still sitzt er auf der Bank, dann fällt sein Kopf auf die Schulter seiner Schwester, schläft ein, und als das Boot bei einer Stromschnelle schaukelt, hält sie ihn fest. Ich reiche ihr zwei Mandarinen, und als sie ihm eine in die Hand gibt, wird er wach. Bald ist er wieder eingeschlafen, sein Kopf ruht jetzt auf dem Rucksack seiner Schwester, die schnell ein Tuch bereithält, damit er weich liegt.
Plötzlich ein kurzer Tropenregen. Die Touristen packen ihre teuren Outdoorjacken aus, die beiden schlüpfen unter einer Plane, sprechen leise, rücken noch enger zusammen. Achtsam gehen sie miteinander um.
In  Ban Pak Ou werden weitere Fahrgäste aufgenommen. Wir müssen noch enger zusammenrücken. Die anderen Touristen murren. Mein kleiner Buddha macht Platz und setzt sich auf den Bootsboden zwischen mir und seiner Schwester.
Am Ziel unserer Reise werden die Geschwister schon erwartet. Ein Mann, man erkennt den Vater, winkt ihnen zu. Er geht seitlich zum Boot, breitet seine Arme aus und der kleine Buddha lässt sich fallen. Später sehe ich ihn noch einmal. Auf der Kreuzung in der Nähe des Vat Hoxieng überquere ich die Straße. Ein Motorroller hält. Er steht vor seinem Vater auf dem Roller und ich meine, dass er mich anschaut. Sicher? Nein!

Der alte Buddha hätte dem Jesus geraten, den "Mittleren Weg" zu gehen, den Weg der Gelassenheit. Vieles wäre ihm und uns erspart geblieben.

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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (29.09.19)
Ein sehr schöner und weiser Text.
Das Göttliche verbirgt sich in "zufälligen" Begegnungen und bleibt deshalb meist unbemerkt. In dieser Hinsicht haben uns aisiatische Suchende einiges voraus.
Viele Grüße
der8.

 DanceWith1Life (28.02.20)
ich bin mir sicher, der alte Jesus wäre da ganz deiner Meinung, aber ich kann dir das überhaupt nicht begründen und ausserdem gäbe er sich auch sicher gern als Bild, das zu sagen. Lach, mach ich noch Sinn?
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