Peter Backes geht übern Platz

Kurzgeschichte zum Thema Realität

von  RainerMScholz

Draußen pfeifen die Spatzen, die Sonne lugt über die Dachfirste und Peter Backes denkt: ich geh´ `mal über`n Platz. Er zieht sich die Kleider an, trinkt den Kaffee aus und schließt die Tür hinter sich ab. Der Himmel ist so blau. In der Apotheke kauft er eine Packung Aspirin bei der netten Apothekerin in dem weißen Kittel und dem hübschen Lächeln. Als er auf die weite, runde Kopfsteinpflasterfläche mit dem altehrwürdigen Sandsteinspringbrunnen in der Mitte, von dem Petrus mit einem vergoldeten Heiligenkranz um die Stirne, mühsam auf einen Bischofsstab gestützt, streng herabblickt, tritt, wird er von einem bieder anheischig lächelnden Herrn mit Pferdeschwanz am Hinterkopf angesprochen. Am Sonntag ist Wahltag und der Herr möchte ihm eine Broschüre überreichen: Alles in Blau gehalten mit einem roten Nike-Streifen unterlegt. Asylflut stoppen! steht da, und Der Ali muss heimgehen! auch noch. Peter Backes sieht sich den Herrn an. Analphabeten für Dödelheim heißt seine Partei anscheinend. Oder so ähnlich. Er kann es ohne Brille nicht richtig erkennen. Es ist Kommunalwahlkampf. Peter Backes nimmt den Flugzettel, dreht und wendet ihn wie eine leere Pommestüte, und schließlich nimmt er den Pferdeschwanzmann beiseite zu dem aufgebauten Stehtisch mit dem Schirm obendrüber und zeigt ihm, wie ein Flieger geht: Er faltet die rechte obere Ecke zu einem Viertel in die Mitte, dann die linke auf gleiche Höhe; die so entstandene Spitze wird bis zur Scheitellinie der zuvor gefalteten Seitendreiecke umgeknickt; das gesamte Blatt einmal in der Mitte falten und je beide Hälften um ungefähr drei Zentimeter zurückfalten; die Faltung zweimal um den gleichen Abstand versetzt wiederholen; am Schluss das Heck des Fliegers in der Falz um fünf Zentimeter einkerben; fertig. Jetzt steht da etwas mit AnalAsyHeim zu lesen. Peter Backes sieht den Pferdeschwanzmann mit dem gefrorenen Grinsen an und wirft den blauen Papierflieger. Er schwebt kurz in der Luft und stürzt dann im Stukaflug senkrecht zu Boden. Peter Backes zuckt mit den Achseln und will weitergehen. Doch der Wahlkampfherr ruft ihm mit lauter Stimme hinterher, ob er seinen Dreck nicht wegräumen wolle. Wenn er zurückkomme, antwortet Backes, im Übrigen sei das nicht sein Dreck. Das glaube er nicht, sagt der Herr. Peter Backes dreht sich um, schreitet über den Flieger auf dem Kopfstein auf den Wahlpropagandisten zu und fragt ihn, ebenfalls mit lauter Stimme, ob er gerade behauptet habe, dass er, Peter Backes, lüge. Dann beginnt eine Abfolge von unvorhersehbaren Ereignissen, im Laufe dessen der Wahlkampfschirm umfliegt, der Pferdeschwanzmann am Pferdeschwanz gezogen wird, eine Menschenmenge sich um Peter Backes schart, die wissen möchte, was geschehen sei, die Polizei schließlich auf dem Platze erscheint und eine Anzeige wegen eines zertretenen Papierfliegers aufnehmen muss. Peter Backes schenkt dem Propagandisten von Alarmismus für Dödels schließlich noch die Packung Aspirin, der das aber gar nicht mehr mitbekommt. Petrus starrt vom Springbrunnen unbeeindruckt auf einen unsichtbaren Fisch im Wasser und Peter Backes geht weiter seiner Wege. Nämlich zum Bäcker gegenüber. Er schaut hinauf in den Himmel: Auch blau.


© Rainer M. Scholz

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