Schiffe versenken
Kurzprosa zum Thema Charakterisierung/ Charakteristik
von tulpenrot
I
Er saß ganz aufrecht vor mir, als ob man ihn genau um Punkt 12 Uhr auf seinen Stuhl gewinkelt habe. Ein wenig unsicher starrte ich auf seinen weißen haarigen Schnauzbart, der sich wie ein scharf geschnittener Saum um seine Lippen legte. Ich fand, er passte zu seiner auch sonst so kantigen und dürren Statur.
„Wollen wir Schiffe-versenken spielen?“, fragte er und brach unser beidseitiges Schweigen.
Da mir nichts Besseres einfiel, willigte ich ein, denn ich wollte nicht schon gleich am Anfang unserer Begegnung Spielverderberin sein. Eifrig zeichnete ich meine Figuren fein säuberlich auf mein kariertes Rechenpapier. Ich ließ mir ganz wunderliche Motive einfallen, die man nicht so leicht wird versenken können, so dachte ich und lachte schon im Vorfeld spitzbübisch vor mich hin.
„Wie lange brauchst du denn noch?“, fragte er ungeduldig. Er schien sich zu langweilen.
„Gleich bin ich fertig“, antwortete ich gehorsam.
„Nun mach schon“, drängelte er. Er wippte seinen Bleistift zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her.
„Du machst mich ja ganz nervös“, ärgerte ich mich.
„Also ich fang jetzt an. A 7“, sagte er.
„Getroffen“, musste ich zugeben.
„B 10!“, rief er.
„Wieder getroffen.“
„Versunken?“
„Nein, noch nicht.“
„Also dann B 9.“
„Nicht getroffen. Jetzt bin ich dran. G 4“, sagte ich.
„Nicht getroffen!“, triumphierte er.
So spielten wir. Doch seltsamerweise traf ich seine Schiffe nie, während er nach und nach meine Flotte versenkte. Er amüsierte sich darüber wie ein Holzfräser beim Üben.
Es war kurz nach 12.17 Uhr.
„Du hast verloren!“, verkündete er und verfiel in ein spitzes Lachen. Es klang nicht, als ob er sich erleichtert freute, sondern eher spröde wie bei einem von Zynismus und Langeweile gequälten Menschen. Er zeigte mir sein Blatt Papier.
„Du bist nicht ganz gescheit. Du hast ja gar nichts auf deinem Papier!“
Ich war wütend. „So kann man doch nicht mit mir umgehen! Mich so hinters Licht zu führen! Mir so übel mitspielen!“
„Nun sei doch nicht gleich so beleidigt. Es war doch nur ein Spiel.“
„Aber eines auf meine Kosten und zu deiner Belustigung. Ich fand es nicht witzig“, schmollte ich.
„Du verstehst aber auch gar keinen Spaß.“
Ich stand auf, zerknüllte ärgerlich meine versunkenen Schiffe, warf sie in den Papierkorb und wollte den Raum verlassen. Seine scheinbare Korrektheit reizte mich. Ich blieb kurz hinter ihm stehen und piekste ihn mit meinem spitzen Bleistift in den Nacken. Ganz absichtlich und überraschend. Er schrie auf.
„Soll ich jetzt zusammensacken wie ein aufgeblasener Luftballon?“, rief er mir zynisch zu.
Ich stand in der Tür.
„Wenn dir danach ist“, gab ich schnippisch zurück, „das entscheidest du.“
„Das würde dir so passen.“
„Es ist ja nur ein Spiel“, echote ich.
„Was du machst, ist Körperverletzung. Hinterhältige Körperverletzung“, begehrte er auf und rieb sich seinen Nacken. „Das lässt tief blicken.“
Wortlos ließ ich ihn sitzen und kam nie wieder.
II
Er hatte mit allen anderen auch Schiffe-versenken gespielt und sich über jeden Treffer gefreut, der ihm Oberwasser versprach. Als Sieger wollte er hervorgehen um jeden Preis; koste es, was es wolle. In den wenigsten Fällen spielte er nach klaren Regeln. Je verwinkelter seine Spielzüge waren, desto reizvoller erschien es ihm. Nichts sollte ihm entgleiten, alles musste sich seiner Kontrolle unterstellen. Niemand sollte ihm in die Karten schauen.
Ich jedoch ging lieber angeln oder läutete auf einer einsamen Insel die Glocken, schaukelte sie an langen Schnüren und verkündete der Welt: Es ist besser zu schweigen. Das Reden überlasse ich den Fischen im stillen Meereswasser und den weißgetünchten Türmen oberhalb des Strandes. Ich habe mich in der Versenkung zurechtgefunden, bin nicht mehr dabei, schweige.
Jetzt fehlt ihm die Spielkameradin. Er jammert darüber, beklagt sich über seine Einsamkeit, aber nicht weil er jemanden verloren hat, der nun verschollen und verstummt ist, sondern um seinetwillen. Niemand spielt sein Spiel mit. Er kann keine Kreuzchen mehr setzen. Die fallen doch nur ins Wasser. Schließlich ging es um mehr, als nur um ein harmloses Spiel aus Vergnügen. Er brauchte den Untergang eines anderen, um sich mächtig und stolz zu fühlen. Er meinte seinen Kragen retten zu können, indem er andere versaufen ließ. Es kümmerte ihn wenig.
III
Alle Schiffe wurden versenkt, das Spiel hat er gewonnen. Man kann ihn nur beglückwünschen zu seinem fragwürdigen Erfolg: dem Absinken von Beziehungen in Meeres-Tiefen, festgefahren auf einer Sandbank unter dem Meeresspiegel.
Er saß ganz aufrecht vor mir, als ob man ihn genau um Punkt 12 Uhr auf seinen Stuhl gewinkelt habe. Ein wenig unsicher starrte ich auf seinen weißen haarigen Schnauzbart, der sich wie ein scharf geschnittener Saum um seine Lippen legte. Ich fand, er passte zu seiner auch sonst so kantigen und dürren Statur.
„Wollen wir Schiffe-versenken spielen?“, fragte er und brach unser beidseitiges Schweigen.
Da mir nichts Besseres einfiel, willigte ich ein, denn ich wollte nicht schon gleich am Anfang unserer Begegnung Spielverderberin sein. Eifrig zeichnete ich meine Figuren fein säuberlich auf mein kariertes Rechenpapier. Ich ließ mir ganz wunderliche Motive einfallen, die man nicht so leicht wird versenken können, so dachte ich und lachte schon im Vorfeld spitzbübisch vor mich hin.
„Wie lange brauchst du denn noch?“, fragte er ungeduldig. Er schien sich zu langweilen.
„Gleich bin ich fertig“, antwortete ich gehorsam.
„Nun mach schon“, drängelte er. Er wippte seinen Bleistift zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her.
„Du machst mich ja ganz nervös“, ärgerte ich mich.
„Also ich fang jetzt an. A 7“, sagte er.
„Getroffen“, musste ich zugeben.
„B 10!“, rief er.
„Wieder getroffen.“
„Versunken?“
„Nein, noch nicht.“
„Also dann B 9.“
„Nicht getroffen. Jetzt bin ich dran. G 4“, sagte ich.
„Nicht getroffen!“, triumphierte er.
So spielten wir. Doch seltsamerweise traf ich seine Schiffe nie, während er nach und nach meine Flotte versenkte. Er amüsierte sich darüber wie ein Holzfräser beim Üben.
Es war kurz nach 12.17 Uhr.
„Du hast verloren!“, verkündete er und verfiel in ein spitzes Lachen. Es klang nicht, als ob er sich erleichtert freute, sondern eher spröde wie bei einem von Zynismus und Langeweile gequälten Menschen. Er zeigte mir sein Blatt Papier.
„Du bist nicht ganz gescheit. Du hast ja gar nichts auf deinem Papier!“
Ich war wütend. „So kann man doch nicht mit mir umgehen! Mich so hinters Licht zu führen! Mir so übel mitspielen!“
„Nun sei doch nicht gleich so beleidigt. Es war doch nur ein Spiel.“
„Aber eines auf meine Kosten und zu deiner Belustigung. Ich fand es nicht witzig“, schmollte ich.
„Du verstehst aber auch gar keinen Spaß.“
Ich stand auf, zerknüllte ärgerlich meine versunkenen Schiffe, warf sie in den Papierkorb und wollte den Raum verlassen. Seine scheinbare Korrektheit reizte mich. Ich blieb kurz hinter ihm stehen und piekste ihn mit meinem spitzen Bleistift in den Nacken. Ganz absichtlich und überraschend. Er schrie auf.
„Soll ich jetzt zusammensacken wie ein aufgeblasener Luftballon?“, rief er mir zynisch zu.
Ich stand in der Tür.
„Wenn dir danach ist“, gab ich schnippisch zurück, „das entscheidest du.“
„Das würde dir so passen.“
„Es ist ja nur ein Spiel“, echote ich.
„Was du machst, ist Körperverletzung. Hinterhältige Körperverletzung“, begehrte er auf und rieb sich seinen Nacken. „Das lässt tief blicken.“
Wortlos ließ ich ihn sitzen und kam nie wieder.
II
Er hatte mit allen anderen auch Schiffe-versenken gespielt und sich über jeden Treffer gefreut, der ihm Oberwasser versprach. Als Sieger wollte er hervorgehen um jeden Preis; koste es, was es wolle. In den wenigsten Fällen spielte er nach klaren Regeln. Je verwinkelter seine Spielzüge waren, desto reizvoller erschien es ihm. Nichts sollte ihm entgleiten, alles musste sich seiner Kontrolle unterstellen. Niemand sollte ihm in die Karten schauen.
Ich jedoch ging lieber angeln oder läutete auf einer einsamen Insel die Glocken, schaukelte sie an langen Schnüren und verkündete der Welt: Es ist besser zu schweigen. Das Reden überlasse ich den Fischen im stillen Meereswasser und den weißgetünchten Türmen oberhalb des Strandes. Ich habe mich in der Versenkung zurechtgefunden, bin nicht mehr dabei, schweige.
Jetzt fehlt ihm die Spielkameradin. Er jammert darüber, beklagt sich über seine Einsamkeit, aber nicht weil er jemanden verloren hat, der nun verschollen und verstummt ist, sondern um seinetwillen. Niemand spielt sein Spiel mit. Er kann keine Kreuzchen mehr setzen. Die fallen doch nur ins Wasser. Schließlich ging es um mehr, als nur um ein harmloses Spiel aus Vergnügen. Er brauchte den Untergang eines anderen, um sich mächtig und stolz zu fühlen. Er meinte seinen Kragen retten zu können, indem er andere versaufen ließ. Es kümmerte ihn wenig.
III
Alle Schiffe wurden versenkt, das Spiel hat er gewonnen. Man kann ihn nur beglückwünschen zu seinem fragwürdigen Erfolg: dem Absinken von Beziehungen in Meeres-Tiefen, festgefahren auf einer Sandbank unter dem Meeresspiegel.