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Novelle zum Thema Weihnachten
von Skala
„Im falschen Zug?“, echote Kowalski. „Sie machen Witze, nicht wahr, Sie verarschen mich doch nach Strich und Faden! Falscher Zug, ich glaube es nicht, alles, was ich getan habe, war den Abfahrtsanzeigen Ihres nichtsnutzigen Bummelzugvereins zu folgen! Nicht Gleis 16, sondern Gleis 17, oder wollen Sie behaupten, ich wäre nicht imstande, eine Abfahrtsanzeige zu lesen? Also ...“
„Nein, nein“, unterbrach der alte Schaffner Kowalskis empörte Rede. „Sie haben schon richtig gelesen. Der Fehler lag bei uns – wir hätten Sie auf Gleis 19 schicken sollen, nicht auf Gleis 17, aber wissen Sie, diese ganzen Primzahlen machen einen manchmal ganz verrückt ...“
„Das bezweifle ich kaum“, murmelte Kowalski, und - ein wenig lauter – fügte er hinzu: „Dann steige ich jetzt einfach aus!“
Der Schaffner schaute ihn mitleidig an. „Herr Kowalski, selbst wenn das möglich wäre – Ihnen ist wohl nicht aufgefallen, dass wir uns bereits wieder in voller Fahrt befinden?“
Kowalski warf einen Blick aus dem Fenster. Tatsächlich. Vor lauter Aufregung war ihm selbst das Schwanken des Zuges entgangen.
„Setzen Sie sich, bitte“, legte ihm der Schaffner nahe. „Wir werden eine ganze Weile unterwegs sein, und Sie möchten bestimmt nicht die ganze Zeit im Gang stehen.“
Kowalski gehorchte und suchte sich einen Sitzplatz. Der Alte folgte ihm in höflichem Abstand und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.
„Tja“, sagte er. „Was machen wir jetzt mit Ihnen?“
„Wie“, fragte Kowalski, „was machen wir mit mir? Ich steige an der nächsten Haltestelle aus und nehme mir ein Taxi nach Hause.“
„Tja“, wiederholte der Schaffner, „auch davon muss ich Sie leider abhalten. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis Sie wieder nach Hause können.“
Kowalski seufzte. Im Grunde hatte er nichts Anderes erwartet. „Dann verraten Sie mir doch bitte endlich“, bat er, „was das Ganze hier soll. Wo bin ich? Welches Jahr haben wir überhaupt, und ... warum?“ Er schaute den Schaffner von unten herauf an, und dieser holte tief Luft und blickte hinauf zu den Gepäckablagen.
„Wo fange ich da bloß an?“
„Am Anfang“, schlug Kowalski vor. Der Schaffner grinste.
„Das ginge dann doch ein wenig zu weit. Also gut. Sie sitzen im falschen Zug.“
„Das hatten wir schon“, bemerkte Kowalski.
„Weiß ich. Aber es ist essentiell. Sie sind in diesen Zug gestiegen, und eigentlich bin ich gar nicht für Sie zuständig.“
„Für mich zuständig?“
„Ja.“
„Warum für mich?“
„Für Sie und Leute ihres Schlages.“
„Leute meines Schlages?“ Kowalski wurde ungeduldig. „Reden Sie doch endlich, Mann!“ Der Schaffner verdrehte die Augen.
„Gemach, gemach. Ihr jungen Leute habt es immer so eilig.“
„Oh“, erwiderte Kowalski erbost, „ich kann Ihnen versichern, ich habe es alles andere als eilig. Ich habe ungefähr neunzehn Jahre Zeit, bis meine Verlobte mich zum Abendessen erwartet – solange höre ich Ihnen gerne zu!“
Der Schaffner gab vor, ihn nicht zu hören. „Ich bin also nicht zuständig für Leute wie Sie. Für die Verzweifelten, die Hoffnungslosen, die, denen einfach nur ein kleiner Funke der Erkenntnis fehlt, um sie von dem einen, großen Fehler ihres, na ja, Lebens abzuhalten.“
Kowalski blinzelte. „Sie meinen ...“
„Ganz genau.“
Kowalski ließ den Kopf hängen. Schuldbewusstsein ließ das Blut in seine Wangen steigen. „Aber ...“, sagte er leise.
„Aber wer eigentlich an Ihrer statt hier sitzen sollte? Gute Frage, Herr Kowalski, gute Frage. In meinen Zuständigkeitsbereich fallen für gewöhnlich die Griesgrame, die Weihnachtsmuffel, die Egoisten, Geizkragen, kurz: die Ekelpakete dieser Welt, und glauben Sie mir, das sind eine Menge. Denen den Geist der Weihnacht näher zu bringen – was meinen Sie, woher mein weißes Haar rührt?“ Der Schaffner lachte trocken. „Spaß beiseite.“
Kowalski runzelte die Stirn. „Also ... eigentlich sollte hier jemand sitzen, damit Sie ihm den Geist der Weihnacht näher bringen. Und ich sollte ...“
„Sie sollten bei einem Kollegen sitzen, der Ihnen den Geist der Weihnacht wieder bewusst macht. Wie Sie sich denken können, sind unsere Methoden ... ich möchte mal sagen: äußerst verschieden.“
Kowalski machte große Augen. Der Schaffner grinste verlegen. „Ich glaube, Sie vermuten richtig. Irgendwo auf Gleis 19 ist jetzt ein Miesepeter unterwegs, der seine schönsten Weihnachtsfeste noch einmal erleben darf. Während Sie ...“
„... während ich die ganzen furchtbaren Feiertage der letzten Jahre noch einmal durchstehen muss“, ergänzte Kowalski tonlos. Der Schaffner strahlte ihn an.
„Aber doch nicht alle! Als wenn dafür die Zeit wäre ... nein, nein, wir haben drei Gelegenheiten im Angebot, die es zu nutzen gilt, ganz klassisch, ohne Extrawürste. Die Frage allerdings ...“
„Die Frage?“, fragte Kowalski. Der Schaffner stützte sich mit beiden Armen auf eine Sitzlehne und starrte Kowalski durchdringend an.
„Die Frage ist jetzt: Wie bringen wir die Sache zu Ende?“
„Nein, nein“, unterbrach der alte Schaffner Kowalskis empörte Rede. „Sie haben schon richtig gelesen. Der Fehler lag bei uns – wir hätten Sie auf Gleis 19 schicken sollen, nicht auf Gleis 17, aber wissen Sie, diese ganzen Primzahlen machen einen manchmal ganz verrückt ...“
„Das bezweifle ich kaum“, murmelte Kowalski, und - ein wenig lauter – fügte er hinzu: „Dann steige ich jetzt einfach aus!“
Der Schaffner schaute ihn mitleidig an. „Herr Kowalski, selbst wenn das möglich wäre – Ihnen ist wohl nicht aufgefallen, dass wir uns bereits wieder in voller Fahrt befinden?“
Kowalski warf einen Blick aus dem Fenster. Tatsächlich. Vor lauter Aufregung war ihm selbst das Schwanken des Zuges entgangen.
„Setzen Sie sich, bitte“, legte ihm der Schaffner nahe. „Wir werden eine ganze Weile unterwegs sein, und Sie möchten bestimmt nicht die ganze Zeit im Gang stehen.“
Kowalski gehorchte und suchte sich einen Sitzplatz. Der Alte folgte ihm in höflichem Abstand und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.
„Tja“, sagte er. „Was machen wir jetzt mit Ihnen?“
„Wie“, fragte Kowalski, „was machen wir mit mir? Ich steige an der nächsten Haltestelle aus und nehme mir ein Taxi nach Hause.“
„Tja“, wiederholte der Schaffner, „auch davon muss ich Sie leider abhalten. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis Sie wieder nach Hause können.“
Kowalski seufzte. Im Grunde hatte er nichts Anderes erwartet. „Dann verraten Sie mir doch bitte endlich“, bat er, „was das Ganze hier soll. Wo bin ich? Welches Jahr haben wir überhaupt, und ... warum?“ Er schaute den Schaffner von unten herauf an, und dieser holte tief Luft und blickte hinauf zu den Gepäckablagen.
„Wo fange ich da bloß an?“
„Am Anfang“, schlug Kowalski vor. Der Schaffner grinste.
„Das ginge dann doch ein wenig zu weit. Also gut. Sie sitzen im falschen Zug.“
„Das hatten wir schon“, bemerkte Kowalski.
„Weiß ich. Aber es ist essentiell. Sie sind in diesen Zug gestiegen, und eigentlich bin ich gar nicht für Sie zuständig.“
„Für mich zuständig?“
„Ja.“
„Warum für mich?“
„Für Sie und Leute ihres Schlages.“
„Leute meines Schlages?“ Kowalski wurde ungeduldig. „Reden Sie doch endlich, Mann!“ Der Schaffner verdrehte die Augen.
„Gemach, gemach. Ihr jungen Leute habt es immer so eilig.“
„Oh“, erwiderte Kowalski erbost, „ich kann Ihnen versichern, ich habe es alles andere als eilig. Ich habe ungefähr neunzehn Jahre Zeit, bis meine Verlobte mich zum Abendessen erwartet – solange höre ich Ihnen gerne zu!“
Der Schaffner gab vor, ihn nicht zu hören. „Ich bin also nicht zuständig für Leute wie Sie. Für die Verzweifelten, die Hoffnungslosen, die, denen einfach nur ein kleiner Funke der Erkenntnis fehlt, um sie von dem einen, großen Fehler ihres, na ja, Lebens abzuhalten.“
Kowalski blinzelte. „Sie meinen ...“
„Ganz genau.“
Kowalski ließ den Kopf hängen. Schuldbewusstsein ließ das Blut in seine Wangen steigen. „Aber ...“, sagte er leise.
„Aber wer eigentlich an Ihrer statt hier sitzen sollte? Gute Frage, Herr Kowalski, gute Frage. In meinen Zuständigkeitsbereich fallen für gewöhnlich die Griesgrame, die Weihnachtsmuffel, die Egoisten, Geizkragen, kurz: die Ekelpakete dieser Welt, und glauben Sie mir, das sind eine Menge. Denen den Geist der Weihnacht näher zu bringen – was meinen Sie, woher mein weißes Haar rührt?“ Der Schaffner lachte trocken. „Spaß beiseite.“
Kowalski runzelte die Stirn. „Also ... eigentlich sollte hier jemand sitzen, damit Sie ihm den Geist der Weihnacht näher bringen. Und ich sollte ...“
„Sie sollten bei einem Kollegen sitzen, der Ihnen den Geist der Weihnacht wieder bewusst macht. Wie Sie sich denken können, sind unsere Methoden ... ich möchte mal sagen: äußerst verschieden.“
Kowalski machte große Augen. Der Schaffner grinste verlegen. „Ich glaube, Sie vermuten richtig. Irgendwo auf Gleis 19 ist jetzt ein Miesepeter unterwegs, der seine schönsten Weihnachtsfeste noch einmal erleben darf. Während Sie ...“
„... während ich die ganzen furchtbaren Feiertage der letzten Jahre noch einmal durchstehen muss“, ergänzte Kowalski tonlos. Der Schaffner strahlte ihn an.
„Aber doch nicht alle! Als wenn dafür die Zeit wäre ... nein, nein, wir haben drei Gelegenheiten im Angebot, die es zu nutzen gilt, ganz klassisch, ohne Extrawürste. Die Frage allerdings ...“
„Die Frage?“, fragte Kowalski. Der Schaffner stützte sich mit beiden Armen auf eine Sitzlehne und starrte Kowalski durchdringend an.
„Die Frage ist jetzt: Wie bringen wir die Sache zu Ende?“