Haumichblau

Kurzprosa zum Thema Kinder/ Kindheit

von  Moja

Verschwörerisch grinsen sich Großmutter und Mutter an. Die Mutter drückt dem Kind einen Sechser in die Hand und schickt es zum Bäcker. Den Weg kennt es. Schon früh wird es Einkaufen geschickt, holt Brot und Milch. Den warmen Brotkanten darf es meist gleich essen. Auf dem Weg hat es Angst. Wie aus dem Nichts taucht ein Hund auf, ein großes schwarzes Tier, sein Herz hüpft, dann eine dicke Frau, hin und wieder ein Einbeiniger an Krücken oder ein Betrunkener. Es muss stehenbleiben, bis sie vorbeigehen, hofft dass keiner merkt, was mit ihm los ist. Unentwegt flüstert es das fremde Wort vor sich hin. Endlich ist es beim Bäcker angelangt. Das Kind reiht sich ein in die Schlange. Der Sechser klebt in seiner verschwitzten Hand, verlegen dreht es ihn herum und wiederholt leise den Satz. Die Verkäuferin sieht es auffordernd an. Das Kind ist dran und bekommt kein Wort heraus. Gleich wird es zu stottern anfangen. Und dann sagt es laut und deutlich: „Ich möchte für ‘n Sechser Haumichblau!“ Stille im Laden. Alle sehen es an. Dann lachen die Leute schallend los. Es spürt, wie es rot wird und senkt den Kopf. Die Verkäuferin reicht ihm spöttisch lächelnd ein kleines graues Päckchen, Hefe, wie es später erfährt.

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Kommentare zu diesem Text

Ebenholz (68)
(13.06.19)
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 Moja meinte dazu am 13.06.19:
Liebe Ebenholz, ich bin Dir dankbar für den Hinweis auf das Kästner-Gedicht - ich fand es - Verzweiflung, heißt es. Ich lese daraus die Armut der 20er, 30er Jahre und die pure Verzweiflung des Jungen über das verlorene Geldstück, seine Angstfantasien.

Schöne Grüße in den Abend, Moja

 FrankReich (13.06.19)
Sag bloß, dass Du mit diesem für heutige Verhältnisse kaum noch als funktionabel vorstellbaren "Dumme-Eltern-Streich" konfrontiert worden bist? Natürlich gilt es auch heutzutage noch als allerhöchste Nummer für ein Kind, in aller Öffentlichkeit ausgelacht zu werden, und die Psychiatrien können über Zulauf wirklich nicht klagen.

Ciao, Ralf
zoe (62) antwortete darauf am 13.06.19:
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 Moja schrieb daraufhin am 13.06.19:
Hallo Ralf und Zoe,
danke für Eure Kommentare. Wie Zoe schreibt, Anfang der 60er Jahre war das ein gängiger Scherz, der nicht Böses wollte, aber auch nicht reflektiert wurde.
Wenn man bedenkt, dass die Eltern- und Großelterngeneration nach ganz anderen Maßstäben erzogen wurde und die Schwarze Pädagogik bis in die 80er verbreitet war, verwundert diese Art von "Humor" auf Kosten eines sensiblen Kindes nicht.

Liebe Grüße, Moja
Jo-W. (83)
(13.06.19)
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 AchterZwerg (13.06.19)
Liebe Moja,
ich habe den Text auf meine eigene Weise interpretiert.
Ich lese von einem Kind, das etwas einkaufen soll, was es nicht kennt. Schon im Vorfeld ist ihm Prügel angedroht worden, für den Fall dass es seinen Auftrag vergäße oder das Geld verlöre.

Ich selber kann mich an verhasste Zigarettenbesorgungen (Einzelexemplare) erinnern, die für mich schwer zu memorierende Namen hatten. Ängstlich sagte ich mir während des ganzen Weges die Sorte vor ...

Seufzende Grüße
der8.

 Moja äußerte darauf am 14.06.19:
Oh, weh, liebe 8.! -
zum Zigarettenzwerg degradiert sozusagen.

Interessant Deine Sichtweise, vermutlich stammt der Scherz aus prügelnden Vorzeiten, jedenfalls amüsierten sich Erwachsene köstlich über das ahnungslose bloßgestellte Kind.

Lieben Gruß in den Tag, Moja

 TrekanBelluvitsh (13.06.19)
Ja, Kinder zu verarschen ist bei Erwachsenen immer ein Zeichen von Reife. Wir brauchen mehr von solchen Alten...

 Moja ergänzte dazu am 14.06.19:
Zum Glück gibt es diesen üblen Scherz nicht mehr.
Gruß, Moja
Sätzer (77)
(13.06.19)
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 Moja meinte dazu am 14.06.19:
So, so!
Gruß, Moja
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