Ein Garten

Text zum Thema Abstraktes

von  Mercia

Alt ist er
und wild,
hat Dornen gar
und Schlingen.

Er spricht des Nachts
mit Eintausend Stimmen
und schweigt mittags in der Sommerglut.

Seine Gewächse nehmen überhand,
stürmen quälend langsam
auf das Haus zu.
Jahre wird es brauchen,
bis seine Gier den letzten freien Boden bedeckt hält.

Viel Getier wohnt und tobt in seinen Eingeweiden.
Die zerborstenen Scheiben eines Gewächshauses glitzern schön in der Sonne.

Er riecht zuweilen etwas streng, der Garten,
doch das stört ihn nicht.

Verfall ist dort allerorten zu sehen,
aus Moder und Fäulnis erwächst neues Leben,
was ihm Nahrung ist und Armee,
um seinen Plan zu vollenden,
alles mit seiner Existenz zu überdecken.

Und doch ist er schön,
dieser Garten.
Trotz seines Hungers und seinen greifenden Ästen.
Er holt sich Stück für Stück zurück,
Was Menschen ihm an Raum geraubt haben.

Es ist mein Garten.

Und ich lasse ihn tun, was er will.
Denn ich weiß,
er ist älter als ich, stärker gar
und wird mich überdauern.

In seiner maroden Schönheit liegt er da,
bei Mondlicht
und bei Sonnenschein.
Rehe besuchen ihn,
Marder gar streicheln seinen Stolz.

Die Nachbarsgärten haben ein schwereres Los,
sind weniger stark,
werden beschnitten in all ihrem Sein
und lugen gewiss über den Zaun,
in der Hoffnung,
dereinst genau so schön und gefährlich zu sein.

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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (16.08.20)
"Schön und gefährlich:" Sie sind es bereits.
Ist dir schon mal aufgefallen, dass Pflanzen auf Friedhöfen am üppigsten blühen und wuchern?
Das ist vermutlich die Rache der Erniedrigten und Beleidigten!

Dein Gedicht spricht mich an. Nicht zuletzt wegen seiner unorthodoxen Verslängen, die trotzdem einen guten Klang garantieren.

Bin gern lustwandelt. Doch aufgrund meiner "Größe" leider kaum zu sehen ...

Der8.

 Mercia meinte dazu am 16.08.20:
Guten Abend,

danke für Ihr Interesse und das Lob für dieses Gedicht und auch für die Empfehlung.

Ja.
In der Tat.

Gerade auf Friedhöfen und in der Nähe davon blüht und sprießt es ganz gewaltig, mit einer marode anmutenden Kraft, die auch ich nur als “Rache“ bezeichnen kann.
:-)

Genau an dieser Idee knüpfe ich meinen Grundgedanken an, warum “mein“ Garten (er gehört sich nur selbst, das habe ich längst geklärt mit ihm )
so überaus kräftig und “bahnbrechend“ wächst und gedeiht:

Er befindet sich direkt unterhalb einer großen, alten Burg, die sehr oft in alten Zeiten belagert wurde.

Auch deshalb (nicht nur) wurde über Dekaden und Dekaden damals in der “guten alten Ritterszeit“ Unrat, Essensreste, Fäkalien und sicher auch tote Feinde nach siegreicher Schlacht, oder die Reste Derer, die hohe Böschung herunter geworfen, wo sich nun “Der Garten“ befindet, sowie oberhalb “Des Gartens“ auch sehr fruchtbare Steilböschungs-Weinberge.

Die Erde dort ist fett und gesättigt von all dem kostbaren Dünger über die Jahrhunderte.

Ihnen einen schönen Abend

 eiskimo (16.08.20)
Sehr schön den Wildwuchs eines "freien" Gartens wiedergegeben. Man hat vor Augen, wie"blind" Menschen da in der Natur herum fuhrwerken.
An dem "gefährlich" am Ende bin ich auch hängengeblieben. Müsste Mensch sich da nicht gegen wehren?
Wie auch immer: Gern gelesen!
Eiskimo

 Mercia antwortete darauf am 16.08.20:
Guten Abend,

danke für Ihr Interesse, das Lob und auch die Empfehlung für diesen Text.

Ja.
Menschen dichten der Natur Grausamkeiten an, derweil sie wiederum Alles und Jedes “in Form und Norm“ bringen (wollen).

Oh nein,
erwehren werde ich mich nicht gegen den alten Garten.
Er tut mir nichts, er erfreut nur.
Hin und wieder leckt er mit seiner grünen Zunge an meinem Balkon, da muss ich gestehen, da verstehe ich keinen Spaß.
:-)
Und so zwicke und zwacke ich ihm ab und an ein Stück seiner hungrigen Zähne ab,
Was ihm nützt,
denn,
so habe ich eine relativ freie Sicht auf seine bunte und dunkelgrüne Schönheit.

Gerade sitze ich hier oben,auf der 2. Ebene von Vieren und höre dem Zirpen zu und schaue den Fledermäusen nach.

Er duldet mich.
:-)

Antwort geändert am 16.08.2020 um 21:29 Uhr

 AvaLiam (18.08.20)
Ein wundervoller Garten... und ein wunderbarer Mensch, der der Natur das Selbst lässt.
Habe gern zusammen mit deinen Worten Zentimeter für Zentimeter erobert.

Die Natur bringt solch unglaubliche Schönheit und Vielfalt - da braucht es keine Zucht.

Und gerade im Sommer ist es in so einem urigen Garten doch am gemütlichsten.

LG - Ava

 Mercia schrieb daraufhin am 18.08.20:
Guten Abend,

ich danke Ihnen für das Lob, die Empfehlung meines Textes und vor allem, dass Sie mit mir im Gedanken durch “Den Garten“ spaziert sind.

Und nein,
es braucht keinen Zwang und keine Zucht.
Da stimme ich Ihnen absolut zu.

Am Samstagmorgen, ganz früh, habe ich 2 Rehe beobachtet, wie sie sich vorsichtig dem Komposthaufen näherten, um sich dort ihre “Snacks“ zu holen.
Allerliebst.

Es ist mir tatsächlich so, wenn ich, wie gestern Abend, dort sitze...
Als ob er ein Eigenleben führt.
Auch wenn ich dort alleine sitze, so fühle ich mich von Wohlwollen umgeben und gar nicht allein.

Ihnen einen schönen Abend.
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