9 - In einem richtigen Leben

Erzählung zum Thema Beziehung

von  Moja

In der Nacht vor Tariqs Geburtstag ging es Elke schlecht, das Herz raste, sie bekam Fieber, in ihrem Kopf summte es unaufhörlich. Sie fand keinen Schlaf. Morgens war sie schwach. Die Vorstellung, in seine Stadt zurückzukehren, bedrückte sie. Sie erinnerte sich an die verächtlichen und feindlichen Blicke der Passanten, einer beschimpfte Tariq als Schwulen, spuckte sogar vor ihm aus. Tariq trug eine weinrote Kordhose und ein sonnengelbes Hemd, es stand ihm gut. Ausländer raus, hatte sie an einer Hauswand gelesen. Tariq war hier unerwünscht. Sie fühlte die gleiche Beklommenheit, die sie schon als Kind in dieser Gegend wahrgenommen hatte. Als sie ihn telefonisch nicht erreichte - ihre Hände - zitterten, tippte sie eine Kurznachricht. Sofort überkam sie Erleichterung.

Als er sich einige Tage nicht meldete, hinterließ Elke eine Nachricht auf seinem Anrufbeantworter. Sie entschuldigte sich für den verpatzten Geburtstag und teilte ihm mit, dass sie verreisen würde. Dankbar für eine Abwechslung hatte sie die Einladung von Freunden zu einer Reise angenommen. Tariq nahm diese Neuigkeit sonderbar auf, dass sie ihn allein ließ, verstimmte ihn.
Sein Chef hatte ihn entlassen. Tag für Tag saß er in seiner Wohnung, manchmal musste er zum Amt, mehr geschah nicht. Bedrückt erzählte er ihr einen Alptraum. Er war in seinem Haus in der Heimat, sah, wie Männer die Garage aufbrachen und das Auto seines Bruders stahlen. Er wollte vom ersten Stockwerk hinunterrennen, doch plötzlich war er wie gelähmt, kam nicht vorwärts, er schrie, aber aus seinem Mund kam kein Ton. „Was bedeutet das?“, fragte er Elke und wartete ihre Antwort nicht ab. „Langsam wird es besser“, sprach er sich selbst Mut zu, „ich finde einen neuen Job. Es ist nur so kalt hier. Ich vertrage keine Kälte. Wenn ich einkaufen muss, dann sage ich mir immer, morgen gehe ich einkaufen. Aber morgen ist es genauso, dieser bleierne Himmel und keine richtige Sonne. Weißt du, wie wir zu dieser Sonne sagen? Made in Taiwan!“

Kurz vor ihrem Abflug schickte er ihr eine SMS: „Mir geht es nicht gut. Es ist deine Wahl, Elke!“ Fast verdarb er ihr die Vorfreude.

Kaum hatte sie den Flughafen hinter sich gelassen, noch im Taxi, schaltete Elke ihr Handy ein. Fünf Nachrichten zeigte das Display an. Ihre Laune verdüsterte sich, als sie Tariqs Mitteilungen überflog. Ihre Antwort fiel kurz aus, dann schaltete sie ihr Handy aus. Warum gönnte er ihr die Freude nicht? Was bildete er sich ein?

Als sie abends in ausgelassener Stimmung von einem Ausflug in das Hotel zurückkehrte und ihr Handy einschaltete, stellte sie fest, dass Tariq stündlich Kurznachrichten geschickt hatte. „Ich schalte jede Stunde CNN ein, da zeigen sie, was du gerade tust.“, schrieb er. Elke fühlte sich unbehaglich. „Ohne dich bin ich ganz allein auf der Welt.“ – „Wenn du nicht schreibst, schreibe ich…“
Verärgert rief sie ihn kurz vor Mitternacht an. Er klang verunsichert, stellte kontrollierende Fragen, beschwerte sich, dass sie nicht geantwortet hatte. „Ich liebe dich!“, rief er verzweifelt, als sie auflegte. Sie sehnte sich nicht nach ihm, vermisste ihn nicht. Sollte sie ihn belügen?

Sie vertraute sich ihren Freunden an, auch sie meinten, dass seine Geschichte nicht stimmen könnte. Ein Asylbewerber, warfen sie ihr kopfschüttelnd vor, hatte sie nicht genug Probleme – und wechselten das Thema. Von ihnen konnte sie keine Hilfe erwarten. Ich beende diese Geschichte, sagte sie sich, er erstickt mich mit seiner Liebe. Doch es tat ihr weh, auch ihn zu verletzen.

(Auszug) - Fortsetzung folgt -

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Kommentare zu diesem Text


 franky (08.10.20)
Hi liebe Moja

Eine spannende Geschichte. Die du da erzählst, sie könnte überall, nur mit anderen Vorzeichen geschehen sein. Liebe die einen Partner verschlingt, ist unerträglich.

Warte auf die Fortsetzung.

mit lieben Grüßen von Franky

 Moja meinte dazu am 08.10.20:
Das stimmt, Franky!
Ich lasse Dich nicht lange zappeln, die Fortsetzung ist schon drin, weiter geht's.

Liebe Grüße,
Moja
Al-Badri_Sigrun (61)
(08.10.20)
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 Moja antwortete darauf am 09.10.20:
Liebe Sigrun,

verletzter Männerstolz, jahrhundertalte Konditionierung inklusive traditioneller Werte und Verhaltensweisen, Prägung durch Religion, Herkunft - ein schwieriges Fundament für eine Ehe in heutiger Zeit hier.

Welche Chancen hat dieser Mann? Heiratet er nicht, wird er ausgewiesen. Und wie will sie leben? Diese Fragen beschäftigen mich.

Herzliches Dankeschön für Dein Eingehen auf meinen Text -
und viele liebe Grüße,

Moja

 TassoTuwas (11.10.20)
Hallo Moja,
ich frage mich, ob "Liebe" in allen Kulturkreisen gleich bedeutend ist. Oft geht es gut, aber du wo es schief geht, ist es auch mehr als dramatisch!
Liebe Grüße
TT

 Moja schrieb daraufhin am 12.10.20:
Liebe ist eine Erfindung der Weißen, sie leben ihre romantische Idee von Liebe, sagte mir ein afrikanischer Freund. Afrikaner lieben nicht, sie rechnen, besonders die Frauen, meinte er.
Kann man lieben, wenn man nicht weiß, wie man über den Tag kommt? Nach dreißig Jahren "Afrika" weiß ich noch immer keine Antwort, Tasso, aber gespürt habe ich sie schon.

Lieben Gruß,
Moja
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