8 - In einem richtigen Leben

Erzählung zum Thema Beziehung

von  Moja

Als Tariq sich wieder meldete, wollte er wissen, was er ihr getan hätte, dass sie ihn so allein ließ. Er wollte sie sehen, er liebte sie doch. Wie konnte sie ihm erklären, dass sie sich auf keine feste Beziehung einlassen wollte, gern Zeit allein verbrachte? Stattdessen sagte sie bloß: „Komm her, bleib hier.“
Er kam und zog sie in eine lange Umarmung. Drei Tage und Nächte verbrachten sie gemeinsam, gingen spazieren, sprachen über alles, was ihnen durch den Kopf gegangen war, über seine Einsamkeit und Schlaflosigkeit. Eine Woche lang hatte er nur geraucht und Reste gegessen. Sie kochten und aßen gemeinsam, er half ihr beim Umstellen der Möbel.
Dann fuhr er nach Hause und kam wieder, als sie ihn in ein Konzert und Restaurant einlud, und an diesem Abend ihrer Freundin Sabine vorstellte. Tariq geriet in Hochstimmung, scherzte, unterhielt beide Frauen. Elke ahnte, dass er ihrer Freundin auf die Nerven ging mit seinen Erzählungen von der Bäckerei, dem verzweifelten Versuch sich etwas Eigenes aufzubauen. Sabine schwieg und blickte trotzig in ihr Glas. Ohne auf Tariq einzugehen, unterbrach sie ihn und sprach von ihren Plänen. Bald verließen sie das Lokal und machten unterwegs Fotos. Stolz legte Tariq den Arm um Elke, hielt sie liebevoll. Es fühlte sich irgendwie falsch an, gleichzeitig spürte Elke Geborgenheit. Hochzeitsfotos, bemerkte Sabine abfällig und drückte auf den Auslöser. Tariq zuckte gekränkt zusammen und zündete sich eine Zigarette an. Elke fing einen missbilligenden Blick ihrer Freundin auf. Auf einmal fühlte sie sich fremd und ihm zugehörig auf eine Weise, wie sie sich selbst nur im Ausland empfand, als eine andere. Er war ihr Ausland und ihre Familie. Sie begriff nun die Bedeutung, wenn er sagte: „Du bist meine Familie, mein alles!“
Es war schön mit ihm. Wenn Afrikaner sie unterwegs freundlich grüßten, reagierte er misstrauisch. Er ist tatsächlich eifersüchtig, dachte sie belustigt. Müde von den Spaziergängen, saßen sie in Straßencafés. Dann blieben sie ziemlich lange stumm, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt, man hätte sie für eines der Paare halten können, die sich seit langer Zeit lieben und nicht mehr reden müssen. Sie musste nur achtgeben, dass er nicht zu viel redete. Er war ihr dankbar, dass sie zuhörte. Häufig schlug dann seine Stimmung um.
Am letzten Tag machte er Frühstück, deckte den Tisch, legte eine CD mit arabischer Musik auf und schwärmte euphorisch von seiner eigenen Konditorei in Berlin. Er hatte hunderte von Rezepten im Kopf, die Gehilfen in der arabischen Bäckerei schauten ihm seine Tricks ab. Seine Miene verdüsterte sich. Während sie ihm Kaffee nachschenkte, erzählte er ihr von dem Streit mit seinem Chef. Sie hörte zu, ohne ihn zu unterbrechen. Es ging um Geld, viel Geld. Um Tariq nicht weiter schwarz zu beschäftigen, versprach der Chef ihm eine Scheinehe, die Frau wollte er ihm besorgen. Nun erst erfuhr Elke, dass Tariq noch vor einem Jahr mit einer Deutschen verheiratet gewesen war. Sie hatten in einer Moschee geheiratet. Seine Frau war unzuverlässig, betrog ihn mit einem anderen. Er hatte aufgehört zu essen, steckte sich eine Zigarette an und sog gierig den Rauch ein. Schlagartig wechselte er das Thema, begann wieder von seinen Operationen zu reden. Mit einem heftigen Ruck zog er ein Hosenbein hoch, dann das andere. Erschrocken betrachtete sie die langen Narben. Dann legte sie eine Hand auf seinen Arm. Aus seinem Wortschwall hörte sie die Wörter „Verwundung“, „Soldaten“, heraus, seine Stimme überschlug sich, er sprach nun Arabisch, ohne es zu bemerken. Sie verstand ihn nicht, meinte zu bemerken, dass er kurz zögerte, und war sicher, dass er nicht die Wahrheit sagte. War er in Kriegshandlungen verwickelt gewesen? Wer war dieser Mann in Wirklichkeit? Abrupt hörte er zu reden auf. Er blieb stumm, und das war kein gutes Zeichen.
Zuerst waren es nur Ahnungen, obwohl sie oft nicht verstand, worüber er sprach. Als sie sich kennenlernten, hatte er ihr verschwiegen, dass er in der Heimat eine Frau hatte, angeblich waren sie geschieden. Lange hatte er seine Kinder verleugnet, behauptet, er hätte keine. Sie glaubte ihm nicht, bis er schließlich zugab, einen Sohn und eine Tochter zu haben. Er telefonierte in ihrer Gegenwart mit seinen Kindern, sie fragten: „Wann kommst du nach Hause, Baba?“ Jedes Mal war er danach aufgewühlt, lachte, Tränen standen ihm in den Augen. „Ich möchte mit dir leben, für immer. Du bist mein Leben. Wenn ich nur Sex wollte, Schatz“, er strich ihr über das Haar, „dann gehe ich in den Puff oder suche mir eine Schlampe.“ Tariqs Gesicht nahm einen harten verächtlichen Ausdruck an. „Hab Vertrauen zu mir, du brauchst Vertrauen. Ich bin so nicht. Was hast du?“, fragte er zärtlich. Wenn er so mit ihr redete, konnte sie ihn nicht ausstehen. Er handelt zielgerichtet, ausdauernd, beharrlich, ohne den leisesten Zweifel. Das muss ich mir merken, dachte Elke, nur so überzeugt man andere. Ein Schritt führt zum anderen. Eine Heirat stand für sie außer Frage. Aber er lachte nur, wenn sie so redete. Ihre Gefühle für ihn sprachen dagegen eine andere Sprache.

(Auszug) - Fortsetzung folgt -

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (04.10.20)
hallo Moja, dein sprachlich sehr differenzierter Text gefällt mir nach wie vor, doch der Typ wird mir allmählich unsympathisch. Aber vielleicht ticke ich zu europäisch.
LG
Ekki

 Moja meinte dazu am 05.10.20:
Lieber Ekki,
ich verstehe Dich, dieser Mann kämpft mit allen Mitteln um seine neue Existenz; leider kenne ich sehr viele solcher Geschichten, in seiner Haut möchte ich auch nicht stecken.

Lieben Gruß,
Moja

 Regina (04.10.20)
Da war mit Pomp eine Familie gegründet worden mit der Auflage, für die Großfamilie zu sorgen. Dagegen haben Elke und die Liebe auf Dauer vermutlich keine Chance.

 Moja antwortete darauf am 05.10.20:
So könnte es gewesen sein, liebe Regina, und wie es weitergeht, sehe ich auch kritisch.

Lieben Gruß,
Moja
Al-Badri_Sigrun (61)
(05.10.20)
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 Moja schrieb daraufhin am 05.10.20:
Liebe Sigrun,

Deine Befürchtungen machen Sinn, ich würde hier wie Du handeln,
mal sehen, wie Elke sich entscheidet.

Grüße Dich herzlich zurück,
Moja

 harzgebirgler (05.10.20)
der mann schleppt zu viel mit sich rum
und nimmt bestimmt auch vieles krumm
hat sich jedoch ganz gut im griff
wie wohl in petto noch manch kniff.

lg
harzgebirgler

 Moja äußerte darauf am 05.10.20:
Ihm steht das Wasser bis zum Hals,
deshalb redet er so viel Schmalz.
Bringt sich um Kopf & Kragen,
will alles auf einmal wagen.

Danke*schön!
Moja
Stelzie (55)
(06.10.20)
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 Moja ergänzte dazu am 07.10.20:
Das ist genau der Punkt, liebe Stelzie, steckt man drin in der Beziehungskiste, verliert man den Überblick, verheddert sich in Gefühlen und Hoffnungen.

Danke Dir, grüße zurück,
Moja

 TassoTuwas (11.10.20)
Ich spüre immer deutlicher, hier stoßen zwei sich fremde Kulturwelten aufeinander!
Ich habe keine gutes Gefühl dabei.
Liebe Grüße
TT

 Moja meinte dazu am 12.10.20:
In einer islamischen Gesellschaft ist Heirat Pflicht, die Frauen bilden getrennt von den Männern eine Gemeinschaft, dagegen steht unser Begriff von Partnerschaft, hier löst sich alles auf in Vereinzelung, dort sind die Rollen traditionell festgelegt, aber zunehmend ändert sich auch dort das Verhalten - und dann plötzlich einer hier als Asylant und alles wird in Frage gestellt...

Danke und lieben Gruß,
Moja
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