Flüchtige Begegnung

Erzählung zum Thema Begegnung

von  Moja

Leer liegt die Straße im Dämmerlicht vor Karin, eine Brise salziger Atlantikluft streift sie. In der Pasteleria werden gerade die Stühle auf die Tische gestellt. Sie erkennt den Besitzer, er nickt ihr zu. Oft hat sie abends hier gesessen bei einer Kanne Pfefferminztee und im Fernsehen ein Fußballspiel zwischen den Lissabonner Mannschaften verfolgt, die wie es schien nicht spielten, sondern sich erbittert auf dem Spielfeld stritten. Afrikaner treffen sich hier, verfolgen gespannt das Spiel und geben ihre Kommentare ab.

Da zieht ihr jemand abrupt den Kopfhörer aus dem Ohr. Ein fröhliches Lachen und warmer Atem streifen ihr Gesicht. Der Afrikaner, kaum größer als Karin, tänzelt zu den Reggae-Klängen. Sie erfasst in einem Moment seine Harmlosigkeit, nimmt ihm die Kopfhörer aus der Hand und steckt den Walkman in die Tasche. Er redet auf sie ein, in einer Sprache, die sie nicht versteht. Seine Augen strahlen, alles an ihm scheint zu lachen, mitreißend und unbekümmert.

Als das Wort „Hotel” zu ihr durchdringt und sie die drängende Bewegung seines Armes an ihrem Körper spürt, schiebt sie ihn leicht von sich weg. Er lacht und tritt wieder auf sie zu. Schnell küsst er sie auf die Stirn. Seine Schuhspitzen berühren ihre Schuhe. Energisch schiebt sie ihn von sich, und versucht ihn in verschiedenen Sprachen anzureden. Er lauscht aufmerksam, doch er versteht sie nicht. Dann lacht er hell auf und umarmt sie stürmisch. Sie löst sich aus der Umarmung. Sofort rückt er nach, wickelt sich eine Strähne ihres blonden Haares um die Hand und setzt kleine Küsse darauf. Wie Rumpelstilzchen umtanzt er sie, ein kleiner Wicht, der sich nicht fortschicken lässt, denkt Karin belustigt.

Plötzlich zieht er aus der Hosentasche seinen Ausweis und hält ihn ihr auffordernd hin. Amadu Baldé, Cap Verden, liest sie laut. Er nickt. Aufmerksam betrachtet sie sein Passfoto. Cap Verden, denkt sie versonnen. Baldé, ein Name wie ein afrikanisches Land mit Baobab-Bäumen und einer Sonne, die so hell ist, dass sie alle Schwere vom Körper nimmt. Es wäre möglich nach Baldé zu reisen, an die Küste von Baldé. Aber sie reist ja nicht. Wie betäubt atmet sie seinen Geruch ein. Der Mann hat den trügerischen Zauber einer flüchtigen Erscheinung, eines Schattens, von der Abenddämmerung hervorgebracht, den eine einzige unbedachte Bewegung zerstört hätte. Alles um sie herum ist plötzlich verschwunden.

Da ist nur dieser schwere betörende Geruch, der Karin an die Trockenzeit in Afrika erinnert, nach der Hitze des Tages, wenn die Glut der Sonne die rote Erde zu Staub verbrannt hat. Betäubt vom Geruch seines Körpers, findet sie sich an jenem Ort wieder in ihren Erinnerungen. Diese Zeit liegt hinter ihr. Eine ferne Woge gibt ihr etwas Kostbares zurück.

Abwartend steht er da. Der Mann sagt kein Wort. Um sie herum verschwimmt alles in einer Unschärfe. Das Wellenmuster aus Pflastersteinen ist verschwunden. Vor ihr liegt ein roter Sandweg, weit ausgreifende Mangobäume im goldenen Abendlicht, ein Baobab streckt die Arme nach ihr aus. „Nein“, sagt Karin laut wie aus einem Traum erwachend und schiebt ihn von sich fort. Sie geht weiter und biegt in die Allee ein.

Von weitem sieht sie schon Ibrahim auf sich zukommen. Der Mann folgt ihr und gesellt sich dann stumm neben sie. Sie verschmelzen in der Dämmerung zu einer dunklen Gestalt. Ibrahims Miene scheint undurchdringlich, sein Gang ist verhalten und verlangsamt sich. Nie hat sie ihn so verschlossen gesehen. Er mustert sie beide ernst und bleibt einige Meter vor ihnen stehen. Etwas läuft schief, fühlt sie, ist unwiderruflich verpatzt. Karin hat sich auf das Wiedersehen mit Ibrahim gefreut, sich wieder und wieder vorgestellt, wie sie mit einem offenen Lachen aufeinander zugehen, sich in die Arme fallen.

Was geht sie dieser Cap Verdianer an? Sie atmet tief durch und löst sich beinahe ruckartig aus dem schattigen Halbdunkel und geht direkt auf Ibrahim zu. Hölzern stehen sich die Männer gegenüber und taxieren sich. „Hilf mir diesen Typ loszuwerden“, sagte Karin zu Ibrahim. Hört er sie überhaupt? Sie vernimmt nur ihren eigenen Atem. Die Männer scheinen wie erstarrt. Eine leichte Hilflosigkeit steigt in ihr auf. Nach einer Weile, die ihr wie eine Ewigkeit vorkommt, sagt Ibrahim tonlos: „Geh, sie ist meine Frau.“ Der Cap Verdianer zuckt zusammen, rührt sich aber nicht vom Fleck. Warum passiert ihr das? In Portugal wähnte sie sich sicher, in Afrika hatte sie sicher und entschieden gehandelt. Hat sie ihr Instinkt verlassen und die Konfrontation herausgefordert, überlegt sie erstaunt.

Ibrahim tritt steif einen Schritt auf den Cap Verdianer zu. Beunruhigt schaut sie von einem zum anderen. Nur wenige Autos fahren vorbei, die Straße ist unbelebt. Vom Hafen flammen Lichter auf. Entschlossen tritt Karin auf Ibrahim zu und zieht ihn am Arm mit sich fort. Als sie unbemerkt über die Schulter zurückblickt, steht der Cap Verdianer immer noch unbewegt an der Straßenecke da.

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Kommentare zu diesem Text


 franky (06.08.20)
Hi liebe Moja!

Ein Text wie zwischen Tag und Traum, auch ein wenig spannend.
Habe ihn sehr gerne mit dir gelesen.

Liebe Grüße

Von Franky

 Moja meinte dazu am 06.08.20:
Danke, Franky!
Mit Dir an der Seite hätte sich Karin gleich viel sicherer gefühlt

Lieben Gruß,
Moja
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