Schriftzüge & Brieftauben

Szene zum Thema Verwandlung

von  Moja

Ein Vorraum als Bühne, Klarinettenklang und Menschen auf Stühlen. Ein großer Mann in einem bodenlangen Mantel besteigt eine Leiter. Aus der Höhe deklamiert er über die Liebe zum Süden, einem Esel und dem Glück eines Mannes am Meer beim Sammeln, Zusammentragen und Bewahren zwischen den Seiten eines Buches.
Geschriebene Träume, in Couverts verschickt mit Briefmarke und Stempel, vom Briefträger überbracht, davon redet er und von der Schönheit der Schriftzüge. Brieftauben lässt er ins Publikum flattern, atemlos zählt er hundertundeine Art von Büchern auf.
Dann steigt der Künstler hinab, kauert sich vor ein Grasstück aus Pappe und erzählt wie ein Buch entsteht. Plötzlich springt er hoch und reißt eine schwebende Wolke aus Seidenpapier über unseren Köpfen auf. Es rauscht erregend. In meiner Vorstellung fällt Regen. Er zieht an einem Faden. Papphalme richten sich langsam auf, sprießen. Eine Wiese liegt vor uns. Auf den Gesichtern breitet sich Lächeln aus.
Zuletzt erklimmt der Mann noch einmal Stufe um Stufe die Leiter. Seine Worte, Schriftzüge, Papiertauben gleiten ins Gras. Aus dem Ärmel zieht er ein schmales Tuch, golden wie Sonnenlicht, es schwebt nieder, breitet sich über Tauben und Wiese – golden die Halme, golden die Tauben, grasspitzengold. Atemzüge, Schriftzüge, Regen, Künstler und Klarinettist tanzen übers Regengoldgras.
Dämmerung steht vor dem Fenster, schimmert in Rotweingläsern, auch schlafen einige recht gut auf schwarzen Stühlen. Ich schaue durchs Fenster, dahinter der Kiez und die ganze große Stadt.


Anmerkung von Moja:

geschrieben nach einer szenischen Lesung zum Tag des Buches

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Kommentare zu diesem Text


 niemand (03.02.21)
Im ersten Moment dachte ich nur: Wahnsinnig fantasievoll
und malerisch, aber jetzt glaube ich sogar zu verstehen.
Der Schreibende als Zauberer, Verwandler des Alltags in dessen Bann sich der Lesende begibt/begeben kann, so er will und so er sich darauf einlassen möchte. Dass einige eingeschlafen sind, wird wohl daran liegen, dass ihnen Fantasievolles nicht so viel sagt, weil sie vielleicht zu dröge sind, hier dachte ich sogar an einen bestimmten Spezi des KV dem alles zu kitschig scheint,
was nicht rein sachlich vorgetragen wird.
Mit lieben Grüßen, Irene

 FrankReich meinte dazu am 03.02.21:
Als ein klein wenig zu goldig erscheint mir dieser Text zwar auch, wenigstens aber ist er nicht einsilbig. 😉

Ciao, Frank

 Moja antwortete darauf am 04.02.21:
"Kitsch is a beautiful world" - Was wären wir ohne Fantasie? Der Text ist gewiss ziemlich goldig, aber ohne Goldstaub hätte ich die zauberhafte Atmosphäre nicht einfangen können. Dieser Künstler schafft wunderbare Bücher, Unikate, manche aus Goldtapete, andere übernäht mit Wolkenspitzen auf transparenten Papier, der Band "Heringe" von Michael Krüger hat einen Schuber in Form einer Konservendose...

Danke Irene und Ralf für Eure Kommentare und Empfehlungen,
freut mich, dass Ihr einen Moment dabei gewesen seid,
liebe Grüße,

Moja
Sätzer (77)
(03.02.21)
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 Moja schrieb daraufhin am 04.02.21:
Ein schöne Bezeichnung, das ist dieser Künstler tatsächlich!

Danke & Gruß,
Moja

 GastIltis (03.02.21)
Liebe Monika,
einmal habe ich für teures Geld in einer groß aufgemachten Show David Copperfield erlebt. Und weißt du was? Deine Zeilen haben mich viel viel mehr verzaubert.
Herzlich Gil.

 Moja äußerte darauf am 04.02.21:
Vermutlich hätten nur Siegfried & Roy & der weiße Tiger mithalten können, lieber Gil!

Herzlichen Dank!
Moja

 Dieter_Rotmund (04.02.21)
Ist mir zu wolkig.

Buchart -> Bucharten (?)

 Moja ergänzte dazu am 04.02.21:
Aber ohne Goldrand ist das Leben trostlos, jedenfalls für mich. Eine sachliche Beschreibung hätte den Zauber nicht einfangen können.

Danke für das aufmerksame Lesen und den Hinweis - an der Stelle blieb ich auch hängen, ich hab's geändert.

Buchart - Lesebücher, Telefonbücher, Künstlerbücher, Kinderbücher, Wörterbücher...

Moja grüßt!

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 04.02.21:
Ja, das mit dem (fehlenden) Plural hast Du sehr elegant gelöst, dafür ein Lob.
Dem Text fehlt nicht mehr Sachlichkeit, sondern eher Protagonisten, finde ich.

 Moja meinte dazu am 04.02.21:
Wie kann ich mir das vorstellen?

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 05.02.21:
Nun ja, in dem du ein, zwei Personen einbaust, das würde den Text weniger kalt-distanziert machen.

 Moja meinte dazu am 05.02.21:
Danke für die Anregung, die lasse ich mir mal durch den Kopf gehen.

 AZU20 (04.02.21)
Ich wäre gern dabei gewesen. LG

 Moja meinte dazu am 04.02.21:
Das hätte mich gefreut!
Danke und lieben Gruß,
Moja

 harzgebirgler (04.02.21)
da würd' vor neid selbst kalanag erblassen
und wohl die zauberei fortan voll lassen.

lg
harzgebirgler

 Moja meinte dazu am 04.02.21:
Der Zauberer aus finsteren Zeiten
ließe die Dame dann vom Brette gleiten

Herzlichen Dank & Gruß,
Moja

 indikatrix (13.02.21)
Verzaubert und vergoldet!
Liebe Grüße,
Indikatrix

 Moja meinte dazu am 28.02.21:
Verspäteten Dank & Grüße mit Goldrand!
Moja
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