Von der Quelle bis zum Mund

Essay zum Thema Verwandlung

von  LotharAtzert

Teil 1
Daß ich ein so genannter Melancholiker war, erfuhr ich erst, als ich bereits lesen konnte. Die Eltern, mehr praktischer Natur, verordneten damals ihrem Sohn einfach frische Luft gegen die Trübsal, sowie handwerkliche Betätigung im Freien. Das solle gesund sein - mir half das aber nur insofern, daß es den Hang nach Rückzug und Stille eher verstärkte.
Ich empfand Melancholie nie als Krankheit, sondern als vom Schicksal gegeben, um in der Einsamkeit besser auf Töne im Hintergrund horchen zu können, die sonst nicht den Weg ins Bewußtsein fänden. Freilich war das Alleinsein mitunter schmerzhaft und ist es bis heute geblieben. Dafür schenkt einem die Einsamkeit Schätze, deren Kostbarkeit erst nach und nach wie Sterne am Nachthimmel aufleuchten.
Lesen wurde mir zum Beispiel zu einer ungeheueren Passion. Nicht Tageszeitung oder Romane lesen, sondern zunächst allgemein das Lesen als ein Vermögen, den Sinn von Worten erfassen und ordnen zu können. Das war mir wichtig - nicht die Ordnung im Zimmer, wo eigentlich nichts am rechten Platz lag und ich manchmal unter Strafandrohung durch den Vater zwangsaufräumen musste, sondern das Verstehen von Zusammenhängen.
Allein daß es Zusammenhänge gab und durch diese die wunderbarsten Fügungen von Gestalt, wollte unbedingt weiter durchdacht sein.

Drei Sätze von Gelesenem habe ich im Geist behalten. Sie sollten mich über Jahrzehnte begleiten und ohne daß ich mir dessen anfänglich bewußt wurde, den Geist auf ihre entsprechende Weise lenken, bis ich selbst die ersten ungelenken Sätze zu schreiben vermochte.

Der erste der Drei stammte von Konfuzius und lautet:
"Wenn man Wasser trinkt, soll man an die Quelle denken."

Der zweite ist dem Laotse zugeschrieben:
"Wasser ist nahe des Weges (-des Tao)."

Der dritte Satz kommt von Heraklit:
"Alles fließt."

Wasser - kein Element ist geeigneter, um universale, ja multidimensionale Kreisläufigkeit zu verstehen. Das Flüssige wird nicht mehr, nicht weniger und selbst in Drusen eingesperrt, läßt es Jahrmillionen über sich ergehen, bis es weiter zieht, vom Meer über die Wolken, fällt es als Regen, sammelt sich, fließt von der Quelle, über zahllose Münder Dürste stillend, Leben spendend, stets wieder ins Meer zurück. Und wieder und wieder ... dabei alle Verunreinigungen loslassend.
Die alten Griechen hatten eine Titanin Mnemosyne - die Erinnerung, (siehe frühere Werke von mir) ein Mythos, der nahelegt, daß bei jedem Durchfließen im Wasserstoffatom eine entsprechende Erinnerung für immer abgespeichert bleibt - in den Elektronen, die den Atomkern umkreisen, was inzwischen sogar von wissenschaftlicher Seite bestätigt wird - was zeigt, daß die Kreisläufe sich nicht blind wiederholen, sondern jedes einzelne Atom uranfängliche Erinnerungen als zeitlose Information sowohl transportiert, als auch die neue Erfahrung in die alten integriert.

"Wenn man Wasser trinkt, soll man an die Quelle denken": Was immer man tätigt, man soll es mit Bewußtsein machen. Sonst verliert man sich in Mnemosynes Schwester Lethe - dem Vergessen.
Die Chinesen der Antike praktizierten einen "Tee-Weg". Von ihm heißt es, daß ein Tee-Meister am bloßen Geschmack des Getränkes erkenne, aus welchem Quell sein Wasser stammt.

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(10.11.14)
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 LotharAtzert meinte dazu am 10.11.14:
Die Skepsis sei Dir unbenommen. Auch ich habe nicht gerade Erfolge erzielt bisher mit der Homöopathie, doch sie regt das Denken an. Zb. wird ja ein Wort in einem Satz sozusagen auch "verschüttelt", wobei das Bewußtsein den Alkohol ersetzt. (Umgekehrt ist's stimmiger - der Hahnemann ist nur nicht drauf gekommen!)

Dein Heraklitspruch ist natürlich tiefsinniger. Aber ich - autodidaktisch, wie man das nennt - bin in meinem Leben zuerst auf "Alles fließt" gestoßen und das war eine echte Offenbarung, mehr bedurfte für den Vorbereiteten damals nicht.

Mein Lieblingsspruch vom "Dunklen" ist nach wie vor "Einer gilt mir Zehntausend".
Danke für den Besuch in meiner bescheidenen Hütte ...
(Antwort korrigiert am 10.11.2014)
BabetteDalüge (67)
(14.11.14)
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 LotharAtzert antwortete darauf am 09.12.14:
Schwimm aber nicht ins Delta hinein, da sind Turbulenzen und die Nereiden ...
Danke!
Teichhüpfer (56)
(14.11.14)
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 LotharAtzert schrieb daraufhin am 09.12.14:
Danke für den Kommentar. Mein Modem war ausgefallen, deshalb antworte ich erst heute.
Den Kommentar auf der Startseite konnte ich dadurch auch nicht lesen.

 Dieter_Rotmund (04.12.18)
Es gibt auch seriöse Untersuchungen, die aufzeigen, wieviel des Wassers, das wir so tagaus tagein trinken, einst Teil von Urin war.
Was ich damit sagen will. ist: Lothar, das ist ein recht rührseliger Text.

 LotharAtzert äußerte darauf am 04.12.18:
Aufgrund deiner Aussage hab ich den alten Text gerade selbst noch mal gelesen und entdecke darin nichts besonders rührseliges, Dieter.
Wenn du es jedoch so empfindest - ja gut, was soll ich machen. Sorry und danke fürs Lesen.

 Dieter_Rotmund ergänzte dazu am 04.12.18:
Dafür schenkt einem die Einsamkeit Schätze, deren Kostbarkeit erst nach und nach wie Sterne am Nachthimmel aufleuchten

Lothar, nicht rührselig??? Also, bitte!
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