Was Bielefelder tun, wenn sie nicht Däumchen drehen? Bielefeld-Satire

Satire zum Thema Stadt

von  Thomas-Wiefelhaus

Was macht ein Bielefelder, wenn er gerade mal nicht Däumchen dreht? Richtig, er baut Fahrräder! Oder zumindestens Nähmaschinen! Jedenfalls wird es früher wohl so gewesen sein. In Bielefeld soll es immerhin an die 100 Fahrradfirmen, große und kleine, gegeben haben.

Ich bin keine Ausnahme, wenn es um den Fahrradbau statt des Däumchendrehens geht, habe ich doch, wenn auch kurz, bei einem Fahrradhersteller und einem Fahrradteile-Hersteller gejobt.

Tatsächlich war diese meine Arbeit nicht allzu weit entfernt vom Däumchen drehen. Nachdem die ersten 5000 Fahrradrahmen durch die Hände gegangen waren, machten diese ihren Job von ganz alleine; man konnte seinen Händen einfach beim Arbeiten zu gucken und hatte selber den ganzen Tag nichts zu tun.

In dieser freien Zeit erzählte ein älterer Kollege neben mir, ein ehemaliger Radrennfahrer, die ein oder andere Anekdote. Die meisten handelten von Radrennen, die über 30 Jahre zurücklagen und vom Russland-Feldzug. Und davon, wie man im Nachhinein die besagten Rennen und einzelne Kämpfe beim Russlandfeldzug (… wenn zum Glück auch nicht den ganzen Krieg) noch hätte gewinnen können!

Ein anderer Kollege tanzte den ganzen Tag beim Hartlöten, als ob bei einem Boxkampf austragen wolle, wie seinerzeit Mohammed Ali. Ein ausländischer Kollege tippte mich an: „... was ist mit diesem Mann? Wird er nicht müde?“ – Nein, echte Bielefelder sind sowieso Dauermüde, und sie werden beim Däumchen drehen nicht noch müder, als sie sowieso schon sind, und ebenso wenig beim Bau von Fahrrädern, denn Däumchen drehen und Fahrräder bauen ist für alle Bielefelder ungefähr dasselbe: nämlich nichts tun!

Das habe ich auch schon nach meinem 1. Arbeitstag gemerkt, wo mir noch die Hände so weh taten, das ich kaum im Bus die Haltestange anfassen wollte, aber nach kurzer Zeit ging die Arbeit wie von allein.

Überhaupt fühlte ich mich in dieser Klitsche im Grunde ganz wohl, der Besitzer fuhr mich auch schon mal persönlich zu einem Termin und in den fröhlichen Pausen wurde von einigen Kollegen regelmäßig getestet, wie trinkfest man ist. Nebenbei gab es einen neun Stunden Tag und es wurden viele Überstunden gemacht.
Mit Arbeit hatte es nichts zu tun. Wir sind ja schließlich in Bielefeld!

Der größte Experte, was den historischen Fahrradbau in Bielefeld anbetrifft, ist, wer hätte es gedacht, ein türkischer Zuwanderer.
Mir war er schon vor 20 oder 30 Jahren aufgefallen, weil er sehr häufig im Schwimmbad war, wenn ich es besuchte. Lange gewellte dunkle Haare, fast an den Hintern, die kaum unter eine Badekappe gepasst hätten.
Die müssen beim Schwimmen einen großen Widerstand erzeugt haben! Heute sind seine Haare grau und nicht mal mehr halb so lang.
Was bewegt einen türkischen Einwanderer sich mit der Historie des Bielefelder Fahrradbaus intensiv zu beschäftigen? Diese Frage stellte ich mir, als ich einen Vortrag von ihm hörte. Dieses Interesse hätte ich vielmehr dem Sohn des Radrennen fahrenden ehemaligen Arbeits-Kollegen zugeordnet. Aber auch hier geht es um ein Vater-Sohn-Verhältnis: der Vater von Resul Benli besaß bereits in ihrem Dorf in der Türkei ein Rad aus dem fernen Bielefeld. Offenbar sein ganzer Stolz und ein nützliches Arbeitsgerät zugleich.

Resul Benli sammelt alte Fahrräder von Bielefelder Firmen, die heute kaum noch jemand kennt. Er bewahrt sie wohl in einer Scheune unter dem Dach auf. Als ich einmal bei einer Wanderung zufällig vom Weg ab kam und und ihn nach Orientierung fragte, wusste ich das noch nicht, sonst hätte ich wahrscheinlich auch gefragt, ob ich mir diese Räder mal ansehen dürfe?
Resul Benli träumt von einem Fahrrad-Museum. Das habe Bielefeld verdient, meint er.


Anmerkung von Thomas-Wiefelhaus:

Auch im April mal eine pünktliche Montags-Episode.

Mittlerweile neige ich eher zur sanften Satire. (Vielleicht ein Widerspruch in sich?)
Allerdings habe ich festgestellt, das auch bei KV bestimmte Autoren keine Satire verstehen.

Übrigens hat der Bielefelder Verein "Fahrräder bewegen Bielefeld" in dieser Woche beim deutschen Fahrradpreis 2021 einen 3. Preis in der Kategorie Service erhalten. - Keine Satire!
https://www.der-deutsche-fahrradpreis.de/der-fachpreis/

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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (20.04.21)
Mit dem türkischen Fahrradsammler ist Dir eine interessante Figur gelungen.

 Thomas-Wiefelhaus meinte dazu am 02.05.21:
Huch, der türkische Fahrradsammler von Bielefelder Fahrrädern ist keine Figur, sondern lebensecht! Habe ich die Tage noch in Beilefeld gesehen!

Oder hat du das selber satirisch gemeint?

Vielleicht ist es für außen stehende doch nicht so einfach, Satire von echt zu unterscheiden?
Am Besten, man schreibt es immer dazu? Wäre ja auch eine Art von Satire?

Antwort geändert am 02.05.2021 um 10:49 Uhr

 Graeculus antwortete darauf am 02.05.21:
Das kann man als Leser nicht unterscheiden - vor allem dann nicht, wenn "Satire" statt "Bericht" darübersteht.

 Thomas-Wiefelhaus schrieb daraufhin am 02.05.21:
Ich befürchte ja, bei meinem Text "Können Bielefelder lachen", wo ich schreibe "zum Lachen in den Atomschutzbunker gehen", glauben selbst manche Bielefelder nicht, dass es einen solchen in waschecht in Bielefeld gibt?

Den namentlich genannten Resul Benli empfand ich demgegenüber nicht als (missverständliche) Satire. Eine Geschichte, wie sie das Leben eben schreibt.

Ist aber ohnehin meine Erfahrung, dass Texte von Lesern sehr oft anderes aufgefasst werden, als sie geschrieben bzw. gemeint waren. Manchmal liegt es am Lesen, manchmal am Schreiben, manchmal: Unentschieden!

Aber ich bin wohl in guter (oder schlechter?) Gesellschaft, wenn ich höre, wie die Satire - Alles dichtmachen! - aufgefasst wurde.

 Graeculus äußerte darauf am 02.05.21:
Mit dem Etikett - in diesem Fall: Satire - gibst Du dem Leser eine gewissen Deutung vor. Er erwartet dann keine realistische Darstellung.

 Thomas-Wiefelhaus ergänzte dazu am 02.05.21:
Natürlich sollten die Leserin, der Leser keine realistische Darstellung erwarten. Tun sie aber sehr oft. (Und dann an der falschen Stelle.) Andererseits handelt Satire meist von realistischen Dingen, dem Verhalten von Politikern, oder von echten Missständen, usw., die überspitzt oder untertrieben dargestellt werden. Wie da die Grenze darstellen?
Es gibt leicht Missverständnisse in beiden Richtungen.
Im besagten Fall, denke ich, dass jemand, der meine Texte gut kennt, schreibe, wenigsten hier, gerne über reale Personen, das leichter versteht. Viele Autoren denken sich eher die Personen aus.

Ich bin übrigens gewarnt worden, lieber keine Satire zu versuchen, weil viele Leser dann nicht wüssten, was ernst gemeint sei und was nicht. Neuland für mich.

Im Idealfall fühlen sich die Richtigen angesprochen und verstehen die Kritik. Schon eher lachen die anderen. Wäre blauäugig (pardon: diskriminierend) zu denken, dass es gleich klappt!
Ich habe hier mehr ausprobiert, als erforscht. (Wozu ist KV da?) Werde mir aber in aller Ruhe noch meine Gedanken zum Thema Satire machen.

Ich erwarte vom Leser Viel. Vielleicht Zuviel?

Tucholsky meint, Satire soll ungerecht sein.
Ich meine: Satire soll viel mehr auf Ungerechtigkeiten hinweisen. Muss sie aber nicht ...

Antwort geändert am 02.05.2021 um 15:49 Uhr
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