Extravertiertes Fühlen

Sozialdrama zum Thema Mitmenschen

von  Terminator

Laut dem Biologen Sergey Saveliev haben wir den Neocortex, um Essen mit nicht verwandten Mitmenschen zu teilen. Es ist sozusagen das Gönnzentrum im Gehirn. Und daraus hat sich später das Gewissen entwickelt, als sozial-moralische Inhibitionsinstanz.


Der Neocortex unterdrückt laut dem Biologen Richard Wrangham das selbstsüchtige Chotschú und zwingt dem Individuum die Stimme der Gattung, das Nádo, auf. Chotschú und Nádo wähle ich hier als Fachbegriffe, um den Egoismus und den Altruismus wissenschaftlicher zu beschreiben: der Mensch kommt aus dem Tierreich, und es handelt sich eben nicht um rationale Entscheidungen, meistens geschieht die Wahl zwischen selbstsüchtigem und altruistischem Verhalten sogar unbewusst.


Für introvertierte Fühler (Fi-user) fällt nun die ultimative Creepy-Arschkarte: mehr als die Hälfte, vielleicht zwei Drittel der Menschen, sind Fe-user, sie nutzen extravertiertes Fühlen. Das heißt, deine ENFJ- oder ESFJ-Freundin liebt dich nicht als Individuum, sondern als Teil der Gruppe. Du bist nicht Johannes, sondern "mein Boyfriend", so empfindet sie; Johannes will sie auch nicht kennenlernen. Fe ist emotionale Bindung an die Mitglieder der Sippe, nicht individuelle Sympathie für eine bestimmte Person.


So will ein Fi-user nicht geliebt werden. Aber andererseits warum auch nicht: extravertiertes Fühlen ist beständiger, Fe-Ehen werden wahrscheinlich seltener geschieden, weil das Individuum, das man nie wirklich kennengelernt hat, auch nicht enttäuschen kann. Du bist für deine Frau "mein Mann", du bist für deinen Mann "meine Frau", und nicht der erträumte Seelengefährte. Eltern- und Geschwisterliebe ist auf die Fe-Funktion oft angewiesen, ansonsten würden Familienmitglieder einander nicht ausstehen können.


Was machen wir damit? Ich bin nicht schwul, aber jetzt weiß ich, warum ich mich eher in einen männlichen Fi-user als in einen weiblichen Fe-user verlieben könnte. Wir sind weniger Genitalien und mehr Persönlichkeit als wir denken, und das sagt nicht die Lyrik, sondern die Wissenschaft, welcher grundsätzlich Reduktionismus nachgesagt wird. Ich liebe die INFP-Persönlichkeit dadurch nicht weniger, dass ich weiß, durch welche (Anordnung der) kognitiven Funktionen sie funktioniert, aber ich verstehe jetzt mehr, warum ich diese verträumten niedlichguckenden romantischen Kätzchenmenschen so liebe.


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