Zapfen-Streich

Text

von  MagunSimurgh

Dieser Text ist Teil der Serie  Beim Reden

Zum Abschied noch einmal

Wurzeln schlagen,

die lockere Erde 

zwischen den frischen Trieben spüren,

ihren Reichtum aufsaugen,

ernten, was sich an Humus gebildet hat,

dann Früchte tragen.


Ein letztes Mal noch Schatten spenden

den neuen Freunden

und dem frechen Hasen einen Zapfen

hinterherwerfen.

Ein paar Früchte abwerfen,

ihnen ein Beet bereiten, damit  

sie in meine Lücke wachsen.

Sagen: Das ist alles, was ich hab,

und alles, was ich bin.


Dann weiterziehen:

die welken Blätter abschütteln,

sich im Wind räkeln,

die Wurzeln rausziehen,

den Schmerz verkraften,

den alten Freunden Lebewohl sagen,

auf Wiedersehen hoffend,

noch eine harzige Träne heulen und

die restlichen Früchte mitnehmen.


Nächstes Mal schon im Frühjahr

Wurzeln austreiben.




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Kommentare zu diesem Text


 Thal (07.03.22, 22:26)
Ja, Gartenarbeit ist schon schön.
Hier überschlägt sich Einiges.

 MagunSimurgh meinte dazu am 08.03.22 um 21:29:
Danke für deinen Kommentar, was meinst du mit "sich überschlagen"? :)

 Thal antwortete darauf am 10.03.22 um 15:15:
👎 nee ein drittes Mal kann ich mir das jetzt beim besten Willen nicht durchlesen.
Nevermind

 Detektivin (08.03.22, 18:54)
Dein Text hat mich (wieder mal) sehr berührt und ich fand ihn sehr lesenswert. (:

Der Titel „Zapfen-Streich“ verspricht ja schonmal viel: zur Ruhe kommen (Beginn der Nachtruhe), aber auch das Ende einer Ära (großer Zapfenstreich für Merkel). Vieles davon habe ich irgendwie auch in diesem Text gespürt, von daher let’s go:

Ich verstehe deinen Text so, dass er die drei Phasen eines Abschieds beschreibt.

Vor dem Abschied wird die Bindung zum Umfeld und zum „alten“ noch einmal gestärkt.  Mit dem drohenden Verlust wird ja vielleicht auch noch einmal bewusster wahrgenommen und gespürt was es da eigentlich alles (schönes) gibt („zwischen den frischen Trieben spüren“). Aus dieser intensivierten Beziehung kann dann noch ganz viel an Nährstoffen gezogen werden: Energie tanken, lernen, sich weiterentwickeln. Die Früchte als Produkt dieser Kraft und dieses Wachstums zeigen allen (und einem selbst), wie lehrreich diese Zeit war und wie gut sie nun auch endet.
Abgesehen von Kraft & Energie tanken, ist vor dem Abschied aber auch noch etwas anderes wichtig: den Ort so gestalten, dass man ihn guten Gewissens verlassen kann. Und so wird versucht, Unliebsames loszuwerden und Gutes dort zu lassen – letztendlich im Guten zu gehen und zufrieden über das eigene Werk zu sein. Die eigenen Früchte abzuwerfen und wachsen sehen zu wollen; also letztendlich einen Teil von sich dort zu lassen, damit er sich entwickeln kann, ist an sich irre wertvoll. Was ist mehr wertschätzend meiner eigenen Person gegenüber, als sagen zu können „ich möchte, dass etwas [gutes] von mir bleibt“ – weil daraus schon die Überzeugung spricht, etwas Gutes zu sein und gutes hinterlassen zu können? Und das sogar in einem Umfeld, dass ich nach meinen Idealen formen konnte. Mit dieser eigenen Bestätigung im Gepäck, kann sich dann zufrieden verabschiedet werden.
Der Abschied bietet zudem die Chance, sich über sich selbst bewusst zu werden und zu reflektieren: was war gut? Was möchte ich bewahren? Was möchte ich lieber nicht mit in das neue Abenteuer nehmen? Mit dem eigenen Ich klar vor Augen, kann der Abschied dann vollzogen werden – natürlich nicht ganz schmerzbefreit, denn all das Schöne zu verlassen, was vorher noch so bewusst wahrgenommen wurde, ist natürlich hart. So viel wurde investiert und aufgebaut; jetzt zu gehen ist schwer. Die hierbei geweinte „harzige Träne“ kann gleichzeitig aber auch die Wunden heilen; die des Abschieds und auch die der vergangenen Zeit. So kann sich neuer Hoffnung und mit neuer Kraft dem neuen Abenteuer gewidmet zu werden.
Der Vorsatz, beim nächsten Mal schon schneller anzukommen, zeugt ja nur davon, wie wertvoll das Ankommen und die Verwurzelung waren.
 
Dein Text ist traurig, schön und zuversichtlich zugleich und diese Mischung an Emotionen eröffnet wir eine ganz neue Betrachtungsweise auf das Thema Abschied. Danke dafür.
Ich fand die Einbettung in das Bild des Baums sehr schön – den Baum als Symbol für das Leben finde ich hier sehr passend.
 
Soundtrack dieses Kommentars war übrigens „Your’re my Home – Acoustic” von Joshua Radin, was ich auch thematisch sehr passend finde und gerne als Songempfehlung hier lassen wollte. (:

 MagunSimurgh schrieb daraufhin am 08.03.22 um 22:00:
Wow, vielen Dank für die ausführliche Interpretation (kann man schon so sagen). Das Grundthema hast du sehr treffend beschrieben.

Die drei Strophen (abzgl. der letzten beiden Verse) als drei Phasen/Aspekte zu sehen, finde ich schon sehr passend. Zuerst die Erkenntnis, was alles gut, davon möglichst viel aufsaugen, dann ein verantworungsvoller Umgang mit dem Abschied (vs. "nach mir die Sintflut"). Gleichzeitig finde ich den Aspekt, welches Selbstbild des LI dahinter steckt, interessant, darüber hatte ich bisher noch nicht nachgedacht. Könnte man ja auch als eine Selbstüberhöhung deuten, wenn man zynisch sein wollte. Spannend, dass du das so deutest. 

Auch in der letzten Strophe hast du etwas entdeckt, über das ich gar nicht so nachgedacht hatte. Ich mochte vor allem den Klang "harzige Träne heulen" und dieses Langsame daran, dass das Harz für den Baum auch eine heilende Wirkung hat, habe ich gar nicht mitgedacht, aber ich finde es eine sehr passende Ergänzung des Bildes.

Freut mich sehr, wenn du das alles so aus dem Text herauslesen konntest. Ich kann das nur so unterschreiben.

Den Soundtrack finde ich auch sehr passend!

 Detektivin äußerte darauf am 11.03.22 um 19:00:
Ich habe das aufgrund der tiefen "Verwurzelung" (--> Bodenständigkeit) mal nicht als Selbstüberhöhung gedeutet, aber klar, dass wäre auch möglich. (:

Ansonsten freue ich mich, dass ich deinen Text scheinbar ganz gut verstanden habe :)
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