Diagnose

Text

von  MagunSimurgh

Dieser Text gehört zu folgenden Textserien:  Vertonte Texte,  Beim Reden
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Bei dem Sturz letztens hatte ich mir ziemlich weh getan.

Das Knie würde schon heilen, meinte der Arzt,

die Gehirnerschütterung – etwas Bettruhe, kein Problem,

aber das Klappern in meiner Brust mache ihm Sorgen.

Er murmelte irgendwelche Diagnose-Codes vor sich hin,

steckte mir eine Schlauchkamera in den Hals,

und schüttelte verzweifelt den Kopf.

Ganz sicher könne er sich nicht sein,

er konnte nichts sehen –

der Weg nach innen sei bei mir außergewöhnlich weit –

aber er vermute eine coronare Luxation.

Stellen Sie sich vor, meinte er,

die Radaufhängung Ihres Autos sei gebrochen

und nun stellen Sie sich vor, 

es geht nicht um Ihr Auto, sondern um Ihr Herz,

Sie haben gewissermaßen ein loses Herzwerk.

Das mag lustig klingen, 

sei aber eine ernste Erkrankung. 

Es sei kein Spaß, wenn mir das Herz auf der Zunge schlüge,

oder im Hals stecken bliebe.

Er verschrieb mir ein Notizbuch, ein Notenblatt,

einen Satz frische Saiten,

und schenkte mir seinen Kuli als Behelfslösung.

Zum Schluss überwies er mich zum Klavierstimmer,

vielleicht könne der noch was machen.





Anmerkung von MagunSimurgh:

Mit Dank an Minze für die Diagnose beim Feinschliff.

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Kommentare zu diesem Text


 monalisa (04.03.22, 08:48)
Lieber Magun, das ist ein Text, de mich auf Anhieb mitten ins Herz getroffen hat :) . Möglicherweise sollte ich auch mal wieder zum Arzt, zu diesem speziellen Arzt, der nicht auschließlich mit Pillen kuriert? Spaß beiseite!

Schreiben und Musik als Therapieansätze und Lebenshilfen, um einer "coronare Luxation" entgegenzuwirken. Viele neigen ja dazu, es (das Herz) zu bandagieren und möglichst ruhig zu stellen, was zu Verhärtungen und stark eingeschränkter Beweglichkeit bis hin zum Tod führen kann.

Wirds davon auch wieder eine Vertonung geben? Bitte!

Liebe Grüße
mona

 MagunSimurgh meinte dazu am 04.03.22 um 22:54:
Liebe Mona,

danke für deine netten Worte und das Kompliment. :)

Vielleicht versuche ich mich am Wochenende mal daran, das einzusprechen, aber da muss ich etwas üben. Musik hab ich dazu eigentlich nicht, für mich ist das der kleine Bruder von der Herz-Lungen-Maschine. Aber ich versuch mich mal dran. 

Liebe Grüße
Magun

 MagunSimurgh antwortete darauf am 05.03.22 um 19:32:
Na schau mal, ob dich das ins Arztzimmer transportiert

 monalisa schrieb daraufhin am 05.03.22 um 22:15:
So sitze ich also im Arztzimmer - und will gar nicht mehr weg. Die Geräuschkulisse finde ich sehr gelungen, deinen Vortrag sowieso!
Und ich denke, "Für Elise" könnte tatsächlich eine stabilisierende Wirkung haben. Ich glaube, ich spüre es schon  :) .

 MagunSimurgh äußerte darauf am 05.03.22 um 22:23:
Freut mich, wenn dich das abholt :)

Für Elise aber nur, nachdem der Klavierstimmer da war!

 eiskimo (04.03.22, 09:35)
Witzig und mit viel Hintersinn!
Gesundheit hat viele Saiten,
LG
Eiskimo

 MagunSimurgh ergänzte dazu am 04.03.22 um 22:56:
Danke! Es gibt Hafen mit sehr vielen Saiten, ja.

 Detektivin (04.03.22, 17:02)
Ich muss gestehen, dass dieser Text mich sehr zum Schmunzeln gebracht hat, auch wenn es ja eine "ernste Erkrankung" ist. Dein Humor im Stil gefällt mir (wenn er denn überhaupt so gemeint war).

Irgendwie sehe ich das lyrische Ich hier sehr stellvertretend für viele typische "Krankheitsverläufe": 
Nach einem einschneidenden Erlebnis tut erstmal vieles weh, aber das allermeiste biegt sich nach kurzer Zeit auch von alleine wieder hin. Was am Ende noch Probleme macht ist meist das Herz/die Psyche (insbesondere bei lockdown-bedingten "coronaren" Erkrankungen [fand ich viel lustiger als ich sollte]). 
Am Ende hat jede:r seine/ihre eigene bevorzugte Therapieform - Musik und Schreiben stellvertretend für den kreativen Ausdruck als Bewältigung finde ich hier sehr passend. 

Abgesehen von dieser Chronologie fand ich auch einige "Einwürfe" spannend; wie die vielleicht fast selbstironische Art des lyrischen Ichs, wenn es wiedergibt "der Weg nach innen sei bei mir außergewöhnlich weit". Harte Schale, weicher Kern? Das Herz scheint ja ordentlich aufgerüttelt worden zu sein (sogar einen Arztbesuch wert), aber trotzdem nicht wirklich zugänglich? Kann das lyrische Ich seinen Schmerz also teilen oder frisst es ihn in sich rein? 
Vielleicht weiß es das ja auch nicht so genau; letztendlich scheint ja auch eine gewisse Ambivalenz zwischen "[...] wenn mir das Herz auf der Zunge schlüge,/ oder im Hals stecken bliebe" zu bestehen. Unabhängig vom lyrischen Ich ist es auf jeden Fall ein clevere Einbettung von Redewendungen, die mich zum Schmunzeln gebracht hat. 

Insgesamt gefällt mir der Text also sehr gut & hat was erfrischendes (:

 MagunSimurgh meinte dazu am 04.03.22 um 23:15:
Vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar!

Freut mich sehr, wenn der Witz verstanden wird. (: Von der Stimmung her ist das für mich tatsächlich so was wie der kleine Bruder von der "Herz-Lungen-Maschine" oder von "Es könnte". Also ja, das war schon so gemeint. 

Aus deiner Beschreibung geht auch für mich hervor, dass das Bild klar wird – ich muss gestehen, dass ich da ursprünglich mal unsicher war, ob es nicht zu abgedreht ist. 

Selbstironisch trifft es ganz gut, was ich mir da vorgestellt habe. Eine andere mögliche Deutung des weiten Wegs nach Innen wäre meines Erachtens Verdrängung/Vermeidung des Schmerzhaften, also es muss ja nicht nur ein Überspielen nach außen sein im Sinne "harte Schale", sondern es ist ja offenbar eine innere anatomische Besonderheit des lyrischen Ichs.

Zu der Ambivalenz würde ich ergänzen, dass es ja beides gleichzeitig geben kann: Man kann ja emotional erschüttert sein und gleichzeitig zu viel am falschen Ort/zur falschen Zeit erzählen und zu wenig an Orten/in Situationen, wo es angemessener wäre. Beides "kein Spaß" (;

Ich freu mich, wenn der Text Spaß gemacht hat!




 monalisa meinte dazu am 06.03.22 um 09:02:
Hallo Detektivin und Magun,

ein Toller Kommentar, indem sich viel Spürsinn (einer Detektivin angemessen) für feine Nuancen offenbart :) .
 
Sehr schön wie hier Kommentar und Rekom. zusammengehen und Leser*innen tiefe Einblicke gewähren.

Liebe Grüße
mona

 MagunSimurgh meinte dazu am 06.03.22 um 09:15:
Oh, dankeschön. Ich finde auch, dass der Text dadurch sehr schön ergänzt wurde. :)

 Detektivin meinte dazu am 06.03.22 um 17:01:
Das freut mich, Dankeschön! 
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