2009

Revue

von  Terminator



Januar 2009


Anfang Januar 2009 fiel mein persönlicher Leitindex unter 3000, und das ist ein verdammt schlechter Wert, wenn man bedenkt, dass das Allzeithoch bei 8189 Punkten, und das Allzeittief bei 2154 Punkten lag. Die Gründe waren gesundheitlich: ab 25 steigt die Gesundheit in der Glückshierarchie enorm auf, macht eine steile Karriere. Schon bald werde ich den die Gesundheit betreffenden Geburtstagswunsch nicht mehr als pure Floskel vernehmen.


In den letzten drei Januarwochen machte ich ein äußerst interessantes Praktikum in einem philosophischen Institut. Ich lernte viele Titel, Thesen und Temperamente kennen. Ich schloss keine Freundschaften, aber eröffnete zwei. Ein kalter Januar, besonders in den Morgenstunden. Die Entdeckung des Monats: Halloren Baumkuchenkugeln.



März 2009


Ein Amoklauf ist nicht das, was in Winnenden, Erfurt, Virginia oder Denver geschah. Ein Amoklauf ist die Geschichte eines normalen amerikanischen Bürgers in "Falling Down" mit Michael Gekko Douglas und von Joel 8mm Schumacher. Ein Amokläufer glaubt bis zuletzt, sich angemessen zu verhalten; er rächt sich nicht, er wehrt sich. Ein Schüler, der monatelang ein Massaker plant, ist kein Amokläufer, sondern ein Revanchist, ein Revisionist. Ein Amokläufer glaubt sich bis zuletzt im Recht, ein Rächer fühlt sich zu seiner Rache berechtigt, weiß aber in jedem Augenblick, dass er Unrecht tut. Ein Amokläufer will nichts Böses, ein Rächer will Böses vergelten. Beide treffen sich nur darin, dass sie jahrelang Unrecht ertragen mussten; eines Tages weigert sich der Amokläufer ohne einen bewussten Sinneswandel, das Unrecht länger zu ertragen, oder wird sich des Unrechts schlagartig bewusst und beginnt sich ihm sofort zu widersetzen. Ein sich rächender Massakrateur ist sich jeden Tag dessen bewusst, wie unmenschlich er behandelt wird, und versinkt immer tiefer in der Spirale der Schwäche, Scham und des Selbsthasses, bis er sein Leben so unerträglich findet, dass er nichts zu verlieren hat, selbst wenn er sein Leben verliert. Beim Rachemassaker mordet jemand, der auch persönlich gemeint war, als er all die Zeit zuvor gedemütigt wurde; beim Amoklauf wehrt sich ein Unbeteiligter gegen Unbeteiligte, meint es ein Nichtgemeinter nicht so, wie er schießt. Nein, Schulmassaker sind nicht cool. Die wahren Amokläufe sind es.



Mai 2009


"Das Nachdenken bringt dich nicht weiter", klingt in meinen Ohren heute wie "Es gibt keinen Markt für Privatcomputer" oder "Flugmaschinen sind unmöglich". Spätestens als der Maiwind ein Gefühl auf meiner Haut erzeugte, welches ich nur vom Nachdenken her kannte, wusste ich, dass ich schon mit 5 Recht hatte: es ist das Denken allein, das einen weiterbringt.



Juli 2009


Da war es vier Jahre her, als ich mich entschied, entweder die Wissenschaft der Wahrheit zu erlernen, oder eine Abkürzung zum letzten Ziel allen Lebens zu nehmen. Ich konnte mich nicht mit Beliebigem, Zufälligem beschäftigen. Wer ein Haus baut und eine Familie gründet, hat im Studium und später in der Erwerbsarbeit ein gutes Mittel zum genannten Zweck. Obgleich eine Erklärung keine Entschuldigung ist, kann ich nachvollziehen, weshalb die meisten Menschen Wissenschaft und Lebenswerk nicht als Selbstzweck betreiben.


Wenn aber das Leben einem verhasst ist, und nur noch der Gedanke, dass man es sich heute noch nehmen könnte, es einem erträglich macht, sieht die Sache anders aus. Ich habe vier Jahre Philosophie studiert, sehr gut die Note, knapp hinreichend, um weiter leben zu können. Mittel zum Zweck, auch bei mir? Durchaus, wenn auch das Leben selbst als ein Mittel zum Zweck gefasst wird: leben, um weiter hoffen zu können, denn alles Hoffen geht auf Glückseligkeit, so Kant. Alles Hoffen geht auf eine zweite Kindheit, so ich.



August 2009


Ein gewöhnlicher Wochentag begann mit einem Schwarzbier oder einem Irish Coffee – oft mit mehreren , mittags ein meist chinesisches Mittagessen, nachmittags Rotwein von Jacques. Ende des Monats probierte ich den 12-jährigen Macallan Fine Oak, und nicht zu knapp. Ich betrank mich füchterlich, kippte einen Chateau de Jau hinterher, mir sprangen später die Münzen beim Bezahlen im Supermarkt aus dem Portemonnaie, und ich war zu vernebelt, um die Fiftycents und Euros aufzuheben, – dieser Müll, kann ich bei Allianz versichern, lag nicht lange auf dem Boden, vielmehr weckte er Urinstinkte bei Miteinkäufern und ließ sämtliche Schamschürzen fallen. Hätte ich einen Chef gehabt, hätte er mich damals als gesellig bezeichnen müssen. Es war eine fröhliche Gruppentruppe aus einem festen Kern und wechselhaft wechselnden Mittrinkern. Besoffen ging ich nie ins Bett – ich wanderte den Rausch in den Abenden in Hannover aus. Wenn ich betrunken bin, bin ich nur fröhlich und singe, ab 1,2 Promille auch Nationalhymnen.



Oktober 2009


Ein Monat, der temperatürlich immer kälter wurde, was bei Monaten öfter vorkommt. Ich blicke auf 4 Jahre erfolgreichen Studiums und 26,5 Jahre weniger erfolgreicher Dahinvegetation zurück. Es ist der passive Teil des Lebens, in dem ich ständig versage. Wenn es ums Aktive, ums Tun geht, mach ich mein Ding. Wenn es ums Passive, ums Passieren geht, passiert mir nie was. Ich rede vom unverdienten Glück, vom Glücklichsein und Glücklichgemachtwedern, ohne selbst etwas dafür zu können. Mein Glück muss ich mir selbst erarbeiten, und so ist es nie Glück, sondern bestenfalls Genugtuung und Zufriedenstellung. Man kann nicht alles haben gut handeln und gut behandelt werden zugleich ist unmöglich. Da ich nicht stillsitzen kann, habe ich mich schon früh in den Kindertagen für das Handeln entschieden.



November 2009


Seit dem 2.11.2009 lebe ich in Berlin. Sterben will ich woanders, insofern bin ich ein großes Risiko eingegangen. Vier Wochen ohne Internet. Vom schrecklichen Ereignis in meiner Heimat erfahre ich zwei Tage später aus der Zeitung. Der 12-jährige Macallan Fine Oak bekommt mit den vier neuen Glenmorangies böse Konkurrenz und wird vom Thron des perfekten Whiskys gestoßen. Seit fünf Monaten weiß ich überhaupt, was ein Single Malt Whisky ist. Es wird viel passieren.


Berlin erlebe ich in diesem Monat als kalt und lebensfeindlich, was sich nicht mehr ändern wird, allein das angenehm Kalte des Winters wird in den Sommern durch das schwül Warme ersetzt. Bauchfreies Menschenfleisch ist in der kalten Jahreszeit nicht zu sehen. Immerhin.



Dezember 2009


Ein Katastrophendezember, katastrophal. Da das Jahr endet, komme ich zu nichts mehr, dafür umso öfter ins Internet. Ich entdecke die heute für den gesamten mich legendäre Dokumentation "Ahnen der Saurier". Zusammen mit einem Alptraum vom 12. auf den 13. inspiriert sie mich zur Kurzgeschichte "Trilobit", die kurz darauf im Internet veröffentlicht wird, und auf einige Leser stark befremdlich bis tief verwirrend wirkt, doch auf mich befreiend, da ich erstmals meinen Ekel so präzise und ausdrücklich in Worte fasse. Ekel ist das Grundgefühl meines Lebens, dieses wird Tag und Nacht vom Ekel bestimmt. Ich wasche mir an einem guten Tag 10 bis 20 Mal die Hände, an einem ekelhaften bis zu 250. Selig, die es nun glauben, aber ich bin schon subtiler als mein Benutzername auf einer Internettplattform für Dichter und Schreibende vermuten läßt. Ich bin nämlich nicht so dumm wie ich mich freiwillig stelle, und weiß, dass durch das Waschen der Ekel nicht verschwindet, denn er sitzt nicht dadraußen, sondern dortdrinnen, was wiederum nur für die Pseudopsychologen unter den akademisierten Halbaffen sofort heißt, ich würde mich vor mir selbst ekeln. Die reale Welt ist nicht die physische Welt, sondern die Welt im Kopf. Die Milben auf und in der Bettwäsche machen mir nichts aus. So ist es stets eine symbolische Handlung, mir der ich mir immer aufs Neue den Ekel vom Geist halte. Doch in meinen Träumen habe ich wenig Einfluss auf die nächtlichen Besuche der Maden, Würmer, Raupen, dicken und hässlichen homo sapiens, des grünen und gelben Schleims. Für die Schuld, die durch das Auftreten organischen Lebens über die Erde kam, müssen pikanterweise die menschlichen Höhepunkte der Entwicklung des Lebens Zinsen entrichten.




Anmerkung von Terminator:

15.9.2009

Wir konkurrieren, Wichser, nicht -
um was? Es ist nichts da.
Und wären reine Mädchen, so
den Edlen liebten sie bevor
der Balztanz könnt beginnen.

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