Warum ist Moral so teuer?

Revue zum Thema Fragen

von  Terminator

Vor einem Jahr fragte ich: Ist Moral für Zukurzgekommene?

Die Beobachtung, dass Moral für billig verkauft wird, aber teuer erkauft werden muss, veranlasste mich zu folgender Replik:


Jene, die sagen, einer wolle nur deshalb gut sein, weil er zu kurz gekommen sei, sind ziemlich anspruchsvoll mit ihren Forderungen an den zu kurz gekommenen Guten: dieser soll nicht sein eigenes Glück anstreben, sondern das ihre, er soll sich selbst nicht als Selbstzweck ansehen, sondern als Mittel, soll nur anderen dienen und sich selbst an die letzte Stelle setzen. Das heißt, der Preis, den sie für das Behaupten (und Vorleben) des moralischen Unterschieds verlangen, soll nicht geringer sein als die Selbstaufopferung.

Wenn das Gute so billig ist, wenn es nur schlechter Trost für Verlierer sein soll, warum verlangen die, die dies sagen, dann einen so hohen Preis dafür? Ich vermute, sie wissen ganz genau, dass ich nicht deshalb gut bin, weil ich nicht die Möglichkeit habe, böse zu sein, sondern weil ich die Willenskraft habe, trotz aller Widerstände des Weltlaufs und der menschlichen Natur gegen das Gute und aller Verlockungen des Bösen gut zu sein. Nein, ich bin nicht gut, weil ich zu kurz gekommen bin. Ich soll vielmehr zu kurz kommen, weil ich der Gute sein will.

Der gute Mensch muss sich seine Moral also sehr teuer erkaufen. Doch warum? Hier ist die Antwort:

Wer gut sein will, hat es schwer: ständig wird er auf kleinste Verfehlungen hin kritisiert, unter Rechtfertigungsdruck gestellt und auf seine „eigentlichen“ Motive hin gaslightet. Versucht er, das Messen mit zweierlei Maß zu unterbinden, erwidert sein Kritiker: „Ich halte mich selbst gar nicht für gut, also muss ich nicht denselben Ansprüchen gerecht werden wie du“. Da glaubt er, fein raus zu sein, und ist dabei so grob raus, wie man nur sein kann, nämlich raus aus der Existenzberechtigung.

Das Gute ist das, was sein soll. Wer gut sein will, tut es nicht, um anderen zu gefallen, sondern aus Pflicht (andernfalls will er nicht gut sein, sondern nur gut scheinen). Die Pflicht, gut zu sein, erwächst aus dem Recht, zu sein. Nur das Gute hat ein bedingungsloses Existenzrecht. Wer nicht durch seine Natur gut ist (ein Engel), sondern sich fortwährend frei zwischen Gut und Böse entscheiden muss (das ist die conditio humana), verdient sein Daseinsrecht erst durch die Willensanstrengung, gut zu werden.

Die Existenz des menschlichen Subjekts ist ontologisch prekär. Von der Objektseite ist der Mensch ein Tier, von der Subjektseite ein Ebenbild Gottes. Das selbst-bewusste Subjekt hat eine innere Teleologie mit dem Endziel Glückseligkeit. Damit hat der Mensch das Recht, sich selbst für einen Endzweck zu halten. Daraus resultiert die Pflicht, mit der Kraft des Willens das Gute anzustreben.

Wer gar nicht den Anspruch hat, gut zu sein, hat auch keine Würde, denn nur ein Endzweck, ein absoluter Selbstzweck hat Würde. Der Mensch als Tier ist nur ein relativer Selbstzweck, aber vielmehr das Mittel der Selbsterhaltung für seine Gattung/seine DNA. Er muss auch keinen moralischen Gesetzen gerecht werden, sondern nur seine Gene weitergeben.

Der dogmatische Satz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ ist nur dann wahr, wenn die Würde mit der moralischen Pflicht einhergeht: Die Pflicht zum Guten ist unantastbar, denn diese macht die Würde des Menschen aus. Wer aber, die Pflicht von sich weisend, sagt: „Ich halte mich gar nicht für einen guten Menschen“, mag sich in seinem Eigendünkel für cool und lässig halten, ist aber in Wahrheit nur ein Nichtswürdiger.

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Kommentare zu diesem Text

kleinschreibe (57)
(15.05.20)
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 Terminator meinte dazu am 15.05.20:
Gutsein bedeuetet Streben nach sittlicher Vollkommenheit, auch wenn sie ein unerreichbares Ideal ist. Selbstzufriedenheit ist das Ende dieses Strebens und in der Tat eine Pflichtverletzung.
kleinschreibe (57) antwortete darauf am 15.05.20:
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 Augustus (15.05.20)
Wäre zu fragen, ob das Gute auch allein für sich stehen kann ohne in Bezug zu einer Sache oder Handlung oder Gedanke in Verbindung gebracht zu werden.
Allein glaube ich, dass das Böse sich gar nicht als böse wahrnimmt, sondern überraschenderweise als gut, ungefähr so wie das Feuer sich selbst nicht spürt und heiß empfindet, empfindet ein Äußeres die Verbrennung, das es berührt.
So empfindet also eigentlich das Böse selbst sich als Gut und sieht im eigentlichen Guten das Böse.
Ohne subjektive Betrachtungsweise ist die Lösung ob Gut oder Böse nicht zu lösen. Außer wenn das Gute von vornherein im Menschen veranlagt ist - aber ist es das? Wenn ja, dann ist das Böse aber auch von vornherein im Menschen veranlagt. Ist es letzlich nur noch eine Frage der Fütterung, welchen Wolf im Herzen man nährt, der überleben soll?

Ave
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