Fleisch

Kurzgeschichte zum Thema Abgrund

von  Seelensprache

„Vater im Himmel, wir danken dir für das Essen, das du uns bereitet hast. Bitte segne diese Speißen. Amen“. Brian biss in das saftige Stück Fleisch. Es zerfiel zwischen seinen Kauleisten, die genüsslich darauf herumrieben. Außen braungebräunt wie nach einem vierwöchigen Mallorca-Urlaub, sogar etwas vom Meersalz hatte sich fein darüber drapiert. Darunter ein helles Rosa, das sich zum Zentrum hin mehr und mehr in ein tiefdunkles Rot einfärbte. Mit jedem Bissen tropfte etwas der Melange aus Rinderblut, Röstaromen, Salz und Speichelbad aus den Mundwinkeln und versickerte in Brians Bartwuchs. Es verzückte ihn.    

Rosa hatte Schichtende. Das warme Wasser strömte an ihrem Körper hinab. An der Wand, fein säuberlich aufgereiht, eine Reihe von Duschgels und Shampoos. In ihrer Nase hing noch immer ein Restgeruch aus Bauernhof und Industriegelände. Rosa schloss die Augen. In ihren Ohren hallte das  Gequieke der Schweine nach und die Schüsse des Bolzenschussgeräts. Sie rieb sich mit ihren Händen durch das Gesicht. Das Strömen des Wassers vermischte sich mit Bildern vom  dunkelroten Blut der aufgeschlitzten Schweine, die an Haken von der Decke baumelten, wie Sandsäcke in einer Kampfsporthalle. Die Schlachtfabrik war ein Ort ohne Erinnerung, ein Ort des Vergessens. Die Böden gefliest, der Rest aus Stahl und Metall. Alles abwaschbar, mechanisch und leblos. Es gab dort kein Grün, nichts Warmes außer der Restwärme abgeschlachteter Tierkadaver. Selbst ohne die leblosen Körper, die überall herumbaumelten, war es ein unheimlicher Ort. Die Böden waren feucht von den Wasserschläuchen die sie reinigten und eine Mischung aus Blut und Wasser versickerte im Abfluss. Rosa schrubbte sich den Körper ab. Selbst die riesigen Deckenleuchten warfen ein kaltes, nüchternes Weiß in die Hallen. Sie trugen weiße Kittel und weiße Helme, darunter Plastiküberzüge über den Haaren, über Händen und Armen. Am Ende eines Arbeitstages waren sie rot gefleckt. In den Hallen ein harsches Rumgebrülle und nicht einmal verstehen konnte man sich. Aus aller Herren Länder waren sie hier eingepfercht und taten was getan werden musste. Nach vielen Stunden stumpf, bezahlt und oft auch nicht, fiel das Tor dann hinter ihnen schließlich zu. Eine lächelnde Sau, ein süßes Kalb und ein stolzer Hahn schauten, aus Metall gestanzt und in frohen Farben, vom Fabrikdach auf sie herab. Die Haut an Rosas Körper rötete sich, doch sie konnte nicht aufhören, darauf herumzuschrubben.

Brian nahm die Gabel, steckte sie in den aufgeschnittenen Braten,  der so hübsch in der Tischmitte seinen Platz gefunden hatte. Die Gabelspitze drückte das Blut heraus. Ein Jauchzer entfuhr ihm.  Es war so saftig, so triefend herrlich nass . So musste ein Fleisch sein. „Noch eins“, sagte er bassig und gleichzeitig quietschend wie ein Ferkel.  



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