Dinner unter Bekannten

Kurzgeschichte zum Thema Essen/ Ernährung

von  Seelensprache

Isabell war eine schöne Frau. Ihr fuchsrotes Haar war dicht und lang, es reichte bis an die Hüfte hinab. Dennis hingegen war ein leicht übergewichtiger junger Mann, dessen großes Geheimnis seine zehnjährige Profitänzerkarriere war, von der er nie jemandem erzählte. Auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches, eines sehr geschmackvoll dekorierten Tisches, saß Gastgeberin Tina. Sie war eine durchschnittliche Frau, die, stets adrett gekleidet und zurechtgemacht war und wenn sie lachte wie ein Pferd aussah . Neben ihr saß Moritz, der nur knapp 1,6m groß war, aber ein Gesicht wie Prinz Eisenherz hatte. Bei ihm seufzten die Frauen immer, „Ach wenn du doch nur größer wärst“, so als habe das Schicksal ihnen etwas vorenthalten. Es sollte ein gemütlicher Dinner-Abend werden. „Stößchen“, sagte Tina. „Auf einen schönen Abend“. Die Weingläser stießen aneinander. „Schön, dass ihr da seid“. „Danke, dass wir da sein dürfen“, antwortete Dennis und die anderen stimmten zu. „Ich verziehe mich mal in die Küche“, sagte Tina und verließ den Raum. Dennis, der als einziger einen Kapuzenpullover trug und nicht kochen konnte, freute sich wie ein Knallbonbon darauf, mal wieder bekocht zu werden. „Das wird geilo!“, sagte er. „Ja mega nice, soo schön“, antwortete Isabell  mit einer etwas überzogenen Lieblichkeit. „Tata, der erste Gang“, kündigte die Gastgeberin in erregter Stimme an. „Oh“, raunte es anerkennend aus der Gruppe. Es gab selbstgemachte Ravioli, mit Schafskäse gefüllt, auf einem Erbsensüppchen. Sie stießen erneut an: „Auf einen schönen Abend“. Da waren sich alle einig. Dann setzte Stille ein und alle probierten. Isabell, die Stille nicht ertragen konnte, unterbrach diese, noch bevor alle den ersten Bissen heruntergeschluckt hatten. „Sehr, sehr lecker“. „Danke, das freut mich“, antwortet Tina, doch man wusste nicht ob es Freude oder etwas anderes in ihrem Gesicht war. Es wirkte eher wie ein förmlicher Akt, wie bei Geschäftspartnern, die gerade ihre Visitenkarten getauscht hatten. „Wirklich sehr, sehr gut“, setzte Moritz hinterher. Tina lächelte höflich. „Was schmeckt da so frisch im Süppchen?“, rätselte Dennis. „Minze oder?“, schoss es aus Moritz hervor, der kulinarisch der bewandertste unter ihnen war und auch sonst mit seinem Wissen nicht hinter dem Berg hielt. Tina nickte. „Ah, sehr gut, wirklich gut!“. „Sehr gut oder gut?“, fragte sich Tina. Ach so wichtig war das schließlich auch wieder nicht, sagte sie sich und versuchte erfolglos den Gedanken beiseite zu schieben . „Sind die Ravioli selbst gemacht?“, fragte Isabell. Selbstverständlich antwortete Tina in einem aufgedrehten Singsang und einem breitgezogenen Lächeln, so als ob dies eine Selbstverständlichkeit wäre. Ihre Entrüstung schluckte sie noch rechtzeitig herunter. „Ich hoffe sie sind nicht zu hart geworden, das ist mir leider schon des Öfteren passiert“. Schweigendes Kopfschütteln in der Runde. „Sie sind überhaupt nicht zu fest. Ich finde sie von der Bissfestigkeit optimal“, antwortete Isabell schließlich, die den penetranten Schafskäsegeschmack nicht ausstehen konnte und versuchte, sich den Mund mit Wasser und Weißwein neutral zu spülen. Moritz begutachtete das zur Suppe gereichte Baguette. „Selbstgebacken?“, fragte er, das Brot wie einen Untersuchungsgegenstand der Deckenbeleuchtung entgegengestreckt. Tina, senkte den Kopf, wie ein kleines Mädchen, das sich beim Spielen schmutzig gemacht hatte. „Nein, ich wollte es machen, aber … „. „Nicht schlimm“, unterbrach sie Moritz, der sie jedoch heimlich genüsslich dafür abwertete. Er backte sein Brot immer selbst.

Der zweite Gang hatte es in sich, Kalbsbraten im Speckmantel, auf Polenta angerichtet mit einer kräftigen Jus, die tagelang eingekocht hatte. „Uiuiuiui“, raunte es am Tisch. Es sah wirklich vorzüglich aus. Moritz drückte mit der Gabel in die Polenta, die cremig darum zerfloss. „Ist sehr weich geworden“, sagte er. „Ist auch eine Polentacreme“, antwortete Tina. Moritz wusste nicht, ob das nun eine kluge Ausrede war oder dies tatsächlich der Wahrheit entsprach. Selbst Tina, die das Essen selbst zubereitet und sich genau dieses Resultat gewünscht hatte, fühlte sich einen Moment lang so, als würde sie die anderen anlügen. „Ist auch egal“, sagte Isabelle schließlich, die die Stille nicht mochte. „Hauptsache es schmeckt und es schmeckt wirklich super gut, yammi!!!“ fügte sie hinzu, kniff dabei das Gesicht zusammen, strampelte aufgewühlt  mit Händen und Füßen und wirkte dabei so authentisch wie jemand, der ständig „Supi!“ sagt.

Der Nachtisch, ein Schichtdessert aus Mascarpone-Creme, Himbeeren und in Espresso getränkten Amarettini zauberte Freude in die Mägen der Anwesenden. „Mhm“, „lecker“, purzelten die Worte des Wohlgefühls aus den entzückten Mündern. „Ich könnte das Glas auslecken“, schwärmte Dennis und hoffte auf einen Nachschlag. Auch Moritz hatte es gemundet, wenn es ihm auch insgesamt an Raffinesse gefehlt hatte. Isabell war einfach glücklich darüber, dass alle sich noch weiterhin mochten und es zu keinem Streit gekommen war und Tina lag an diesem Abend noch lange wach. Sie dachte darüber nach, ob es nun gut oder sehr gut war, ob sie das Brot nicht doch hätte selbst backen können und ob die Ravioli nun wirklich geschmeckt hatten, da war sie sich ebenfalls nicht sicher.

 



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Kommentare zu diesem Text


 minimum (20.06.22, 12:38)
Alternativvorschlag zur thematischen Zuordnung: "Horror" würde auch gut passen.

 Seelensprache meinte dazu am 20.06.22 um 13:54:
Definitiv! Danke für deinen Kommentar und die Empfehlung!

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 20.06.22 um 22:18:
Der Horror ist sehr lebensnah.

LG
Ekki

 Dieter_Rotmund (03.07.22, 17:22)
1,6 was? Mintze?

Ansonsten gerne gelesen.

 Seelensprache schrieb daraufhin am 03.07.22 um 21:42:
Danke für die Hinweise und Ihren Kommentar!

 Dieter_Rotmund äußerte darauf am 04.07.22 um 09:29:
Bitte, gern geschehen.
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