Fahrzeugkontrolle

Kurzgeschichte zum Thema Macht

von  Seelensprache

Jochen war auf dem Nachhauseweg. Die Scheinwerfer leuchteten hell in die diesige Dämmerung. Restfeuchte kroch aus den Hecken und Gräsern und dampfte vom warmen Asphalt herauf. Der Citroen schoss die Landstraße entlang. Zuhause warteten Brezeln, Landjäger und Kartoffelsalat. Ein Fahrzeug, das eben noch schnell an ihn herangefahren war, überholte ihn. Plötzlich leuchtete blaues Licht in den Innenraum. Kaum vorbeigezogen, zeigte ihm der Wagen an, ihm zu folgen. Jochen erschrak. „Scheiße! Polizei!“, schoss es ihm impulshaft durch den Kopf. Es war das gleiche „Scheiße“, das man ausrief, wenn einem ein Glas heruntergefallen und in tausend Teile zersprungen war. Nein, Marihuana hatte er seit seiner Jugend nicht mehr geraucht und auch alle Mordimpulse waren lediglich in der Fantasie, wenn auch genüsslich, ausgelebt. Das Auto war zugelassen, der TÜV in Ordnung. Die erste Anspannung wich nun einer wachsenden Neugier. Warum hatte man ihn angehalten? Das Polizeiauto verlangsamte und fuhr auf einen Rastplatz. Jochen folgte. Nachdem sie zum Stehen gekommen waren, öffneten sich die Türen und zwei Polizisten schritten auf ihn zu. Jochen lies das Fenster herunter. „Abend“, grummelte der Polizist. „Guten Abend“, sagte Jochen und man hörte das Fragezeichen in seiner Stimme mitschwingen. „Alles in Ordnung?“, fragte Jochen. „Führerschein und Fahrzeugpapiere bitte“. Jochen kramte die verlangten Dokumente hervor und reichte sie dem Polizisten. Die Anspannung kehrte zurück. Jochen schluckte, wollte sich die Nervosität jedoch nicht anmerken lassen. Er war überrascht, wie anlasslos und vage man sich schuldig fühlen konnte. Er tat es. Einen Moment lang verspürte er den Impuls das Gaspedal durchzutreten und davon zu rasen. Dies tat er nicht. „Haben Sie in den letzten 24 Stunden etwas getrunken?“, fragte der Polizist noch immer recht unvergnügt. Jochen blickte auf die Uhr. Er dachte nach. 24 Stunden waren eine lange Zeit, wenn einem das Denken schwer fiel. Nach einer Weile sagte er schließlich: „Nein, in den letzten 24 Stunden, da habe ich nichts getrunken“. „Außer Wasser natürlich“, fügte er noch hinzu. „Wohl nen Clown gefrühstückt“, konstatierte der Polizist trocken. Sein Kollege wanderte unterdessen um das Auto. „Stephan, wir haben hier einen Clown“, rief er seinem Kollegen zu. Dieser machte kehrt, kam nun zurück, klopfte an das andere Seitenfenster auf der Beifahrerseite. Jochen lies auch dieses herunter. Nun wurde er durch beide geöffneten Seitenfenster wie eine Kuriosität im Zoogehege angestarrt. Am liebsten wäre er mit dem Sitz zurückgefahren und aus dem Kofferraum herausgekrochen. Jochen bewegte sich nervös auf seinem Sitz hin und her. Seine Handflächen wurden feucht. „Warum denn so nervös?“, fragte jetzt der jüngere Polizist, der bislang geschwiegen und sich dem Auto zugewandt hatte. „Ich bin nicht nervös“, antwortete Jochen sichtlich nervös.  „Steigen Sie mal bitte aus“, forderte ihn der Ältere auf, während er mit seinen Fingern unrhythmisch auf dem Fahrzeugdach trommelte. Seine winzigen, rot unterlaufenen Augen, die zwischen dicker, gegerbter, tief durchfurchter Haut verpackt waren, fixierten ihn.  „Warum?“, fragte Jochen mit trockenem Mund. Doch der Ältere hatte bereits die Tür geöffnet und Jochen stieg aus, ohne auf eine Antwort zu warten. Öffnen Sie bitte den Kofferraum. „Hier prüf das Mal“, sagte der Ältere zum Jüngeren und überreichte ihm die Dokumente. Langsam ging Jochen zum Kofferraum. Seine Gedanken hetzten wild umher. Was sollte das alles? Er öffnete den Kofferraum. Darin lagen wild verstreut allerlei Dinge. Ein halbgefüllter Benzinkanister, eine Sporttasche, zwei leere Getränkeflaschen, eine Decke, ein Rucksack und noch vieles mehr. Der Polizist leuchtete mit seiner Taschenlampe hinein. „Ganz schönes Durcheinander“, kommentierte er abfällig.  „Kann man wohl sagen“, antwortete Jochen, der damit aber nicht das Innenleben seines Kofferraums meinte. „Wie bitte?“, empörte sich der Polizist, der sich nun groß machte und ihn direkt mit seiner Taschenlampe anleuchtete. Jochen wandte den Blick ab und hielt es für besser, nichts mehr zu sagen und schwieg. „Alles in Ordnung rief jetzt der Jüngere, der nun winkend, mit beiden Dokumenten in seiner Hand vom Polizeiauto zurückkehrte. Das ist der Falsche. Jochen atmete tief aus. „Das ist der Falsche“, klang erlösend in seinen Ohren. „Na gut“, sagte der Ältere. „Nichts für ungut“, fügte er hinzu und zog an seiner Polizeimütze. Jochen spürte den Hass in sich aufkochen. „Schönen Abend noch“, sagte der Ältere, wandte sich ab und lies ihn stehen. Jochen schwieg. Das Zuschlagen der Autotüren verhallte in die Nacht. Die Lichter leuchteten auf, der Motor zündete und die Polizisten verschwanden. Jochen stand dort. Sein Körper bebte. Er öffnete den Kofferraum, nahm sich eine Flasche Bier und trank sie genüsslich aus. Jetzt hatte er getrunken.  



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Kommentare zu diesem Text


 franky (05.07.22, 11:16)
Sei froh, dass nicht die Kobra um haln Fünf Uhr morgens an die Türe trommelt und zum Öffnen der Wohnungstüre auffordert und dich dann am Boden fixiert, um die dann mit dem Polizeiauto ins Präsidium fährt. Dich im Vernehmungsraum über einen vermeindlichen
Überfall ausquetschen will.
 
Zwinkernde Grüße von Franky

 LotharAtzert (05.07.22, 13:58)
Nein, Marihuana hatte er seit seiner Jugend nicht mehr geraucht
Na, das ist doch mal was, odr?

 Regina (06.07.22, 04:09)
Ansprechende Kurzgeschichte aus dem Autofahreralltag. "Haben Sie etwas getrunken?" beantworte ich mit "Ja, Orangensaft." Aber die meinen Alkohol.

 Dieter_Rotmund (06.07.22, 14:01)
Alles in OrdnungKOMMA rief
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