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Erzählung
von Quoth
Wenn wir morgens aufwachten, war oft die Decke von der Atemfeuchte am Kinn festgefroren, wir mussten sie abreißen, und wenn wir aufstanden und uns waschen wollten, lag auf dem Wasser in der Waschschüssel eine Eisschicht, wir zerknickten sie und lutschten an den schmelzenden Schöllchen, standen bibbernd in der Gegend herum und ließen uns beschimpfen, weil wir zu dumm waren, in unsere Leibchen und langen braunen Strümpfe und Pullunder aus aufgeribbelten Socken zu flüchten, und sogar auf Frau van Genees' Pipi schwamm eine Eisscholle, und die Zigeuner waren verschwunden, die seien wie Zugvögel, sagte Frau van Genees, sie zögen im Winter ins Warme, und eigentlich sei das klug, denn so sparten sie Holz, manchmal kriegten wir Stubbenholz, dann war es tagelang warm, aber dann mussten wir wieder die Wehrpässe verheizen, die verbrannten zu schnell, wir saßen in Decken zu Tisch und aßen die Strohgrütze mit Handschuhen, Emil badete seine Finger im heißen Kartoffelwasser, weil sie im Krieg Frost gekriegt hatten, und es kam Ostwind auf, er brachte russische Kälte, Eike bekam Asthma und konnte mit der Lunge pfeifen, und wenn man aus dem Fenster schauen wollte, musste man in die Eisblumen ein Guckloch hauchen, draußen zersägten die Häftlinge die Stubben und waren ganz still geworden, der Übermut des Sommers hatte sich verzogen, keiner wollte Ludemann mehr die Bude anzünden, und Emils Akte war so dick geworden, dass sie ein Kind bekam, und nun waren es zwei, und er wurde immer dürrer vor Ärger, ich hörte, wie er sich mit Vilma stritt und schrie: "Nie, nie in meinem Leben füll ich diesen Fragebogen aus!", aber sie riet ihm, das doch zu tun, er plustere sich nur auf, und als sie einmal auf dem Bürgersteig mit dem Schubkarren ging, das Radio stand darin, ein Telefunken mit Seide und Silberstangen vorm Lautsprecher, kam ihnen ein englischer Offizier entgegen, und Emil schubste sie vom Bürgersteig herunter, damit er Platz hatte, und das fand sie unerhört: "Du warst Soldat und hast keinen Stolz," sagte sie, aber: "Worauf soll ich stolz sein?" erwiderte Emil, und Vilma verschwand für drei Stunden, und immer, wenn sie länger weg war, dann ging sie um den See, und unterwegs machte sie komische Sachen, sie umarmte Bäume, das gebe ihr Kraft, aber das erzählte sie nur mir, und Eike durfte zuhören und machte ein wissendes Gesicht, er sagte, die Frauen hätten alle eine Meise, aber es ginge nicht ohne sie, weil sie die Kinder bekämen, und deshalb müsse man ihnen verzeihen. Manchmal brachte uns auch Frau van Genees ins Bett, sie sang uns flämische Liedchen, über die wir lachen mussten, weil sie so klabauterig klangen, aber sie kannte auch ein deutsches, in dem kam der Große Wagen vor, und sie sang "Zieh, Pferdchen, zieh!", und Herrn Ludemanns Trompete war verstummt, sie hatte ihren Zweck erfüllt, er war zu Frau Klaasen gezogen, hatte das Bett von Eike gekriegt, ja, jetzt wurde erst deutlich, warum wir Eike bei uns hatten aufnehmen müssen, aber ich war froh, dass ich ihn hatte, er war viel gutmütiger als Achim, der aus einem ausgebombten Arbeiterviertel kam, und die Leute da, sagte Vilma, seien "furchtbares Volk", und dabei dachte sie wohl an den Lärm, den sie immer machten, an den Fahrradschlauch mit dem Ventil, an den vielen Alkohol, und ich dachte daran, wie wir mal Luftangriff gespielt hatten, und zuerst hatte Karin auf Achim, dann er auf sie gepinkelt, und Achim hatte gesagt, das sei das einzige sichere Mittel, um in einem Luftschutzkeller zu überleben, wenn oben der Feuersturm tobt.
Anmerkung von Quoth:
wird fortgesetzt