XI
 Inhalt 
XIII 

XII

Erzählung

von  Quoth

Ein anderes Mal schnitt ich mir den Finger an einem Scherben, als wir mit Marmeln spielten, Marmeln hießen die und nicht Murmeln, murmeln tun Bächlein und zahnlose Weiber wie die alte Else, die in Schwarz herumlief und allen Leuten was von Wunderwaffen erzählte und ihnen ins Ohr spuckte, und dabei war doch der Krieg längst vorbei, aber das hatte sie nicht mitgekriegt, für sie war immer Krieg, und sie hoffte noch auf den Endsieg, unsere Marmeln waren aus Ton und blau oder grün gefärbt, wenn man drauftrat, zerbarsten sie rötlich, man lieh sich zehn Stück bei Rolli, der einen ganzen Beutel voll hatte, und dann musste man sie mit dem gekrümmten Finger in ein Loch kullern lassen, und wer die letzte hineinschoss, kriegte den Pott, und wenn man Glück hatte, blieben zum Schluss welche übrig, und man musste nicht alle an Rolli zurückgeben, ich war gut im Schießen, obgleich ich mit Links schoss, alle schrien, der Linkspoot! - guckt euch mal den Linkspoot an, ö. ö, ö! aber ich wollte es ihnen zeigen und übte hinter dem Klohäuschen, bis ich aus fünf Schritt Entfernung auch das kleinste Loch traf und Rolli einmal den ganzen Beutel abgewann, und er war sauer und sagte, ich hätte geschummelt, und nahm mir alle Marmeln wieder weg, und als wir nackt um den kahlen Apfelbaum rannten, weil wir Indianer waren, sah ich, wie vernarbt sein Hintern war, und er tat mir leid, obgleich er nicht ehrlich war. Einmal las Vilma uns eine Geschichte vor, die hieß "Eine Nacht in der Elfenwohnung", ein Mann durchtanzt dort eine Nacht, und als er wieder herauskommt, sind seine Eltern und Freunde tot, es sind hundert Jahre vergangen und auch er selbst stirbt dann ziemlich schnell, es wurde mir ganz blümerant, und ich hatte Angst, wenn ich aus dem Gericht wieder zurückzöge ins Bratenviertel, dann wären auch hundert Jahre vergangen und Vilma wär tot, und Emil würde nicht mehr mit dem rosigen kleinen Finger, dessen Nagel spitz zulaufend geschnitten war, in großer Höhe, als dürfe das Blatt auf keinen Fall berührt werden, über die Stelle hinfahren, die ihn verdross, nicht mehr den Mund spitzen, als ob er pfeifen wollte, die Käuzchen würden nicht mehr in den Lebensbäumen balzen und schuhuhen, Frau van Genees wäre nach Charleroi abgereist mit ihrem falschen Verlobten und alles, alles wäre aus und vorbei! 


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Kommentare zu diesem Text


 Fridolin (29.05.25, 18:13)
Es fällt mir so viel zu diesen Texten ein, dass ich nicht weiß, wo anfangen. Willibald hätte gesagt: "Großen Dank dafür", besser kann ich es auch nicht ausdrücken.
Kommen diese Zeiten demnächst wieder? Das schwebt bei allem im Hintergrund. Immerhin gilt das aktuell in gewissen Kreisen als das Jahr der "Niederlage", obwohl es doch das des Aufbruchs in eine bessre Zeit sein sollte, hätte sein können.
Du schreibst, es sollte vor allem ein Stimmungsbild sein, aber es ist weit mehr als das. Geburtsstunde eines kindlichen Bewußtseins, aber auch der Neuaufbruch eines Landes. Die Atmosphäre dazu ist sehr dicht beschrieben. Verschiedene Handlungsstränge werden, entsprechend dem Alter der Hauptperson, angedeutet, erahnt gewissermaßen.
Ich wünsche dem Text von Herzen ein weiteres Wachstum, und es wundert mich sehr, dass er nicht mehr Resonanz hier findet.

 Quoth meinte dazu am 29.05.25 um 20:18:
Freut mich sehr, vor allem Dein Bezug auf Willibald, der mal einer unserer klügsten und einfühlsamsten Schreiber und Leser war.
Ich habe Teil 12, der etwas lang geraten war, auf Teil 12 und 13 aufgeteilt, stört Dich hoffentlich nicht.

Antwort geändert am 29.05.2025 um 20:18 Uhr

 Fridolin antwortete darauf am 30.05.25 um 00:10:
Nein, das muss man natürlich dem Autor überlassen.
Aber ich will auch dazu sagen: Die Länge ist mir gar nicht aufgefallen. Bei einem guten Text stört es mich ganz und gar nicht, wenn er lang ist.
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