Wann ich geboren wurde, könnte ich erzählen. Wo und wie ich mein bisheriges Leben verbracht habe. Wer Vater und Mutter sind. Dass Vater Handelsvertreter war. Mutter Schauspielerin – später dann Hausfrau und Mutter. Die sich die Karten legte, um in die Zukunft zu sehen. Vor allem um zu wissen, was mein Vater so trieb. Denn der war selten zu Hause. Und Mutter meinte zu ihrer Freundin Suse, einer faden Blonden (von mir ‘Heulsuse’ genannt) mit der sie Portwein trank, wenn die zu Besuch war – und die kam täglich zu Besuch –, dass Vater alles vögeln würde, was bei drei nicht auf dem Baum sei. Nur mich seit Jahren nicht mehr, weinte sie. Doch mit wem Vater sie wirklich betrog, konnte sie nicht weissagen. Wie auch die schlimmste Katastrophe nicht. Nämlich die, was mir passierte, als ‘Heulsuse’ mir auf dem Klo den Finger ins Poloch steckte – und dabei laut lachte. Während ich mir in den Handrücken biss, um die Schmerzen auszuhalten den ihr Ring verursachte. Da war ich geschätzte fünf Jahre alt ... und meine Mutter beim Friseur. Als ob man auf einer Glatze Locken drehen könnte. Mutter ging trotzdem weiterhin zum Friseur, um ihre Perücke für unten und oben waschen zu lassen. Und ich flehte ‘Heulsuse’ an, ihren Ring während des Spiels abzunehmen. Als sie es endlich tat, hörte ich auch das Blut in meinem Kopf nicht mehr so laut rauschen. Da war ich neun Jahre alt und mein Loch hinten total vernarbt. Bald darauf starb Vater. Angeblich bei einem Verkehrsunfall.
Suse zog bei uns ein.
„Das Haus ist doch groß genug!“
Ausgerechnet in das Zimmer neben meinem. Um meine über den Tod ihres Mannes verwirrte Mutter zu betreuen. Und an mir täglich zu spielen...
„Hör auf zu heulen – und sag endlich mal FISTING ...!“, schrie sie mich immer öfter an, „du musst doch in deinem Alter schon sprechen können ...?“
Aber ich konnte auf Vaters Beerdigung nicht mal mehr weinen.
Meine Tränen sind im Spiel mit Suse draufgegangen.
Als Tränenersatz bekam Vater meinen Kuschelbären aufs Grab, denn den brauchte ich jetzt nicht mehr, ich hatte ja Suse. Und die füllte meine angeblich leere Zeit mittlerweile mit ihrer Faust. Und deshalb sah ich hinten auch aus wie die Paviane im Zoo. Und in meinen Unterhosen war oft Blut – und Kot. Doch meine Mutter merkte nichts. Oder wollte nichts merken. Auch blieb die jetzt oft über Nacht beim Friseur, obwohl ihre Perücken nicht wesentlich mehr geworden waren.
Als ich einige Zeit später am Grab von Vater Blumen ablegen wollte, auch, um meine seelischen Nöte mit ihm zu besprechen, stand auf dem Kreuz am Kopfende vom Hügel ein Name, den ich noch nie gehört hatte.
Mutter sagte, dazu von mir befragt, dass ich sicherlich das Grab verwechselt hätte; doch mit mir hingehen, um mir die richtige Grabstelle zu zeigen, wollte sie auch nicht. So blieb nur die Flucht in meine Gedanken, die in Erinnerungen an eine friedliche Zeit.
Irgendwann, aus mir unbekanntem Grund, hatte ich einen Nervenzusammenbruch, hörte ich den Notarzt eine Diagnose stellen – intensive Wahnvorstellungen, denn ich dachte ehrlich, Vater würde noch leben und ich wäre ihm auf der Straße begegnet. Ich wurde angeblich sogar gegen meine Mutter gewalttätig. Wohl deshalb und auf Anraten von Suse brachte man mich mit der Feuerwehr und fixiert durch den mir eine Spritze setzenden Notarzt „ ... hoch dosiert Valium ... da schläft der Junge wie ein Bär ... „ in die psychiatrische Abteilung eines Krankenhauses. Nach gefühlten zwei Jahren dort, die Besuche meine Mutter wurden immer seltener, begann ich mich ab und an wie ein Mädchen anzuziehen. Die Klamotten dazu tauschte ich mit Jane, die auch auf der Kinderstation lag und ein Junge sein wollte.
Ich ließ mir die Haare lang wachsen.
Jane schnitt ihre ab.
Jane wickelte mir Locken.
Ich rasierte ihr den Kopf.
Ich saß auf dem Schaukelpferd.
Jane drunter.
Ich aß Süßigkeiten und Eiscreme.
Jane die Verpackung.
Ich ging zu Bett, wie und wann ich wollte.
Jane schlief nie.
Jane spielte an mir.
Ich nie an ihr. Sondern an Oskar – bis Jane Oskar eines Nachts mit einer Plastiktüte erstickte. Ab da spielte ich dann an Max, während Jane in ein anderes Haus verlegt wurde und ich ihr lediglich vom Anstaltsgarten aus winken konnte.
Wie ich später hörte, nahm ihr Irrsinn nach der Verlegung dramatische Züge an. Sie aß nicht mehr, nicht mal Verpackungen, und verweigerte irgendwann auch das Trinken. Als Therapie legte man sie in eine Badewanne voller Eiswasser und hoffte auf Besserung. Als sie das Wasser ausgetrunken hatte, starb sie an einer Art rheumatischem Fieber. Oder an Unterkühlung, da sie ihre Körpertemperatur nicht mehr selbständig halten konnte.