Der Übermensch: Nachwort

Essay zum Thema Wahrhaftigkeit

von  Terminator

Zusatz I: Nietzsche für Missratene

 Der Missratene wird sich entweder nicht als missraten fühlen (Lebenslüge) oder von sich wegsehen auf noch schlechter Weggekommene: Behinderte, Kranke, aber auch bestimmte Minderheiten, auf die das grobe Volksmaul gern Inkompetenz und Verachtungswürdigkeit projiziert.

Die Nietzsche-Lektüre ist für Schlechtweggekommene gefährlich: sie nährt nur ihr Ressentiment, ohne zur läuternden Krisis zu führen, die der Weg des durch Schicksal Missratenen zum durch die Kraft des Willens Wohlgeratenen sein könnte. Manche Philosophen sind nichts für schwachen Nerven, Nietzsche ist nichts für schwache Willen.


Zusatz II: Selbstmitleid

 Der Wohlgeratene hat Selbstzweifel, an denen er wächst, der Missratene hat Selbstmitleid, in dem er sich gemütlich einrichtet. Zweifelt ein intelligenter und sensibler wohlgeratener Jugendlicher an sich selbst, so kommt es schonmal vor, dass missratene Erwachsene von sich selbst auf andere schließen, und dem Jugendlichen Selbstmitleid vorwerfen.

Wohlgeratensein ist nicht ein Mangel an Intelligenz oder Fehlen von Sensibilität; zum Vortrefflichsein sind Intelligenz und Sensibilität zwingend erforderlich. Dumpf und debil, aber stark und selbstsicher bedeutet ein Wohlgeratensein nur im instrumentellen Sinne: ein nützliches Werkzeug für jeden manipulativen Mann und für fast alle Frauen.

Der Missratene ändert sich nicht in der Folge seiner Selbstzweifel, er suhlt sich in Selbsthass und empfindet sein Zukurzgekommensein fatalistisch. Dies führt zum Selbstmitleid, das so lange anhält, bis sich jemand endlich des Missratenen erbarmt. Das "Verständnis" für seine "Situation" nutzt der Missratene, um seine Untätigkeit zu rechtfertigen.

So wie der Missratene niemals dem Mut zum Freitod hätte, hat er auch keinen Mut, sein Leben zu leben. Darum ist er in seinem eigenen Leben kein Subjekt, sondern ein Objekt: das Leben passiert ihm nur. Weil er keine Entscheidungen trifft, ist er auch nie selber für etwas verantwortlich: die Anderen sind folglich an seinem Schlechtweggekommensein schuld.


Zusatz III: Recht auf Suizid

 Der Wohlgeratene besteht auf seinem Recht, über sein Leben frei zu verfügen. Deshalb bestreiten die Missratenen sein Recht auf Suizid, wobei es nie logische, manchmal moralische und oft emotional-manipulative Argumente (Beschämungen, Schuldgefühlmacherei) gibt. Der Bessere soll sich, würden sie sagen, wenn sie ehrlich wären, dem Elend um ihn herum ja nicht entziehen dürfen!

Der Missratene spricht nie über ein Recht auf Freitod, denn ein solches will er gar nicht haben. Im Gegenteil: er rechtfertigt seine Feigheit, es nicht zu tun, oft mit dem Argument, er dürfe es gar nicht. Sonst würde er ja... Aber nein, wird er nicht: er will bloß Aufmerksamkeit, bloß Mitleid, Verständnis, ein offenes Ohr, dass Mama oder Ersatzmama ihn wieder lieb hat. Kurz: er ist das Elend, dem sich andere Menschen ja nicht entziehen dürfen!


Zusatz IV: Lebensfeindlichkeit

 Du bist frei, lächelt dich der Vortreffliche an, nimm dir so viel Leben, wie du leben kannst! Aber du zögerst: mit der Freiheit hast du auch die Verantwortung. Schließlich begehst du einen covert contract mit dem Leben: du schreckst einerseits ängstlich davor zurück, es wirklich zu leben, und bindest dich andererseits an das Leben, indem du dir verbietest, es durch einen Freitod zu beenden (was logisch wäre, da du es ja nicht leben willst). Und nun schuldet dir das Leben etwas: ein besseres Karma, weil du keinen Suizid begehst, und es schuldet dir natürlich auch Mitmenschen, die immer für dich da sind, und dir gegenüber verpflichtet sind, sich auch in ihrem Leben an dein Suizidverbot zu halten. – Wenn du dieser Mensch bist, dann bist du so lebensfeindlich, wie ein Mensch überhaupt nur sein kann.

Leben bedeutet für den Wohlgeratenen hohes Leben – nicht als Anspruch, aber als Ideal. Lebensbejahung bedeutet zugleich, im Leben nach Vortrefflichkeit zu streben. Und Lebensbejahung bedeutet die bedingungslose Bejahung der Freiheit, die mit dem Leben einhergeht. Jeder verfügt auch frei über sein Lebensende: die Entscheidung, eines natürlichen Todes zu sterben, ist eine genauso freie und souveräne Entscheidung wie die Entscheidung für den Suizid (aus welchen Gründen auch immer dieser begangen wird). Wer den Freitod nicht wählt, fügt sich keineswegs in einen "natürlichen" Lauf der Dinge, – dieser existiert angesichts der Freiheit nicht, denn alles, was kein unmittelbarer Zwang ist, ist eine freie Entscheidung!

Für den Missratenen ist das Leben Zwang. Seine Lebensbejahung ist die Bejahung seines gekränkten Ego im Trotz gegen das Leben, gegen seine Unwägbarkeiten, das mit dem Leben einhergehende Leid, auch gegen die Ungewissheit, die Freiheit und die damit einhergehende Verantwortung für sich selbst.

Der Missratene will das Leben zu einem Gefängnis für sich und andere machen. Für diesen bedeutet die Missachtung seiner Ansprüche auf das Leben anderer Lebensverneinung; Lebensbejahung bezieht sich für ihn auf das elende, armselige Leben: es ist falsch, einen Verteidigungskrieg zu kämpfen, wenn die Alternative die Unterjochung deines Landes unter einen Tyrannen ist, der dich ja am Leben lässt, also schließlich "im Recht", weil "lebensbejahend" ist. Ja, ausgerechnet die Missratenen wollen Gott spielen!


Zusatz V: Zeloten der Vortrefflichkeit


 Gewarnt sei vor Zeloten der Vortrefflichkeit, wie eurem bescheidenen Diener, denn meine Wenigkeit wurde als Wohlgeratener unter Missratenen sozialisiert und schießt mit der Verachtung für Missratene über jedes vernünftige Ziel hinaus. Ein artgerecht sozialisierter Wohlgeratener würde allerdings niemals mit existentiellem Ernst philosophieren. Die Welt braucht Wohlgeratene, die Unrecht litten, die ins graue Gefängnis der Lebensfeindlichkeit geworden und ihrer Lebenskraft und Lebenslust systematisch beraubt wurden.

Wir sind keine Opfer, wir sind gute, nützliche Täter. Wir schätzen das Leben mehr, als Wohlgeratene, denen es zu selbstverständlich geworden ist, wir verteidigen die Freiheit kompromissloser, weil wir Unfreiheit erlebt haben, und wir kennen die andere Seite: die Dunkelheit des welt- und menschenhassenden Ressentiments, die Verstellung, die Verlogenheit, das armselige Elend, das sich selbst reproduzieren will, als hätte es ein eigenes Leben (ein Gegenleben, im Fall, dass es das materialisierte Böse selbst ist).

Und doch sei gewarnt vor unserem Eifer: der ist nicht für alle, nur für uns. Wenn wir unser Leben opfern, um Unschuldige zu retten, verpflichten wir andere nicht, es uns gleich zu tun: wir wollen Helden, Märtyrer, Krieger sein, und zwar aus Liebe, aus einer Liebe, die nur wir kennen, die der Sehnsucht des guten Herzens, das für lange Zeit in der Hölle (der anderen) war, entsprungen ist, und das Leben mit kindlicher Hingabe bedingungslos liebt. Es wird auch solche von uns geben, die ihre eigene Hölle für ihre einstigen Peiniger errichten werden, und es ist unsere – nicht eure – Aufgabe, uns täglich daran zu erinnern, dass wir im Kampf gegen das ästhetisch Böse selbst moralisch böse werden können.


Zusatz VI: Suizidgefahr

 So wie ein Bergsteigender oder Fliegender stets sturzgefährdet ist, ist ein hoch Lebender suizidgefährdet. Niemals suizidgefährdet ist nur ein niederes Leben, vergleichbar mit dem Regenwurm, der keine Fallhöhe hat. Ein Wohlgeratener ist oft genug suizidgefährdet, ein Vortrefflicher permanent, diesen Umstand gibt allein das scharfe Bewusstsein der Freiheit her.

Und wohlgemerkt: die Sturz-Metapher ist ein Vergleich, der dem Suizid, als einem unveräußerlichen Recht der Freiheit, schon Unrecht tut, weil er impliziert, dass der Freitod nur zu einem schlechteren Zustand führen könnte und außerdem den Sturz, Fall, bildlich als ein Scheitern darstellt.

Jeder, selbst der wohlbehütetste Wohlgeratene wird früher oder später mit unerwarteter Krankheit oder mit Alter und bevorstehendem Tod konfrontiert. Manche wirft das aus der Bahn und sie missraten, manche wirft das in eine neue Bahn, wie den vortrefflichen Prinzen Siddhartha, der zum Buddha wurde.

Glücklicher sind Vortreffliche, die die Suizidgefahr schon von Kindheit an kennen, die am Leid gewachsen sind, das aus Kohle Diamanten macht. Sie müssen nicht den Einbruch der Negativität in ihr wohlgeratenes Leben abwarten, ohne darauf vorbereitet zu sein: sie sind mit der Negativität aufgewachsen und an ihr gewachsen.

Es ist keine Leistung, keine gute Tat, kein Pluspunkt auf dem moralischen Schuldkonto, sich einen weiteren Tag nicht das Leben genommen zu haben. Es ist vielmehr ein intensiv erlebtes Glück, zu leben, obwohl der Freitod einem frei stand, und somit, zu leben, weil es das Leben selbst wert ist. Es gibt keine moralischen Gründe, den Freitod nicht zu wählen, es gibt nur ästhetische Gründe: eine neue Idee, die Schönheit eines Mädchens, der ewige blaue Himmel.


Zusatz VII: Missratene Weiber I

 Es ist dem Sexismus des Lesers überlassen, in der Unterscheidung der Wohlgeratenen und der Missratenen ausschließlich an Männer zu denken. Sexistisch ist aber schon der natürliche Instinkt, der sagt: die Frau ist schon, der Mann soll erst werden; die Frau hat ihren Wert von der Natur schon bekommen, der Mann muss sich erst beweisen.

Selbst wenn dem so: die Natur ist nicht perfekt. Es gibt hässliche Tiere, ja ganze Tierarten, die nur Abscheu und Ekel auslösen. Und wenn das Sollen, der Willensfreiheit, die Kultur auch zur weiblichen Existenz gehört, ist es umso verlogener, die Frau von dieser Unterscheidung auszuschließen.

Zunächst betrachten wir das narzisstisch missratene Weib, das seine Emotionalität verabsolutiert und über jedes logische und moralische Argument stellt. Es ist das Weib, das sich unreflektivert als Mittelpunkt der Welt betrachtet. Dieses Weib fühlt sich im Mutterrecht: nur weil es Leben austragen kann, fühlt es sich berechtigt, über alles Leben zu herrschen. Der Mann, das Kind und das Vieh sind da, um dem Weibe zu dienen, ja selbst die Kuh, deren Lebensleistung als Muttertier keineswegs geringer ist als die einer menschlichen Frau.

Das narzisstische Weib meint sich selbst nicht nur als Weib, sondern als das Weib: ICH, dieses Weib, bin das Zentrum des Universums, und alle haben mich gefälligst zu umkreisen! Das Ego ist aber ein Endliches, und die Verabsolutierung des Endlichen ist Hybris (im heutigen psychologisierenden Sprachgebrauch Narzissmus).



Zusatz VIII: Missratene Weiber II

 
Hässliche Weiber.

Es gibt viel an Deutschland auszusetzen, aber was einem wohlgeratenen Mann am schmerzvollsten auffällt, ist der Mangel an schönen Frauen. Deutschland wirkt womöglich vor allem deshalb selbst an den heitersten Orten grau und depressivistisch.

Das hässliche Weib ist das von Natur aus missratene Weib, und hat die sprichwörtliche Arschkarte, wenn es sich, wie das sexuell attraktive Weib, auf die Gaben der Natur verlassen und auf dem Mann parasitieren will. Diese Anspruchshaltung hängt ja nicht davon ab, ob eine Frau attraktiv ist: sie ist angeboren und beruht auf der Fähigkeit, Mutter werden zu können. Doch eine Heiratsprostituierte, die keiner will, ist selbst für die exakten Wissenschaften ein unlösbares Problem (und nein, auch die Spieltheorie kann dieses Problem nicht lösen).

Zurück zu den schönen Frauen. Frauen können schön sein – hässlich oder sexuell attraktiv sind Weiber. Es gibt die klassische schöne Frau, die von Natur aus Wohlgeratene, und zu ihr gibt es nichts weiter zu sagen. Es gibt aber auch die kulturschöne Frau, die wohlgeratene Emanze, die die zweitklassigen Gaben ihrer Natur mit geistiger Vortrefflichkeit ausgleicht. Sie stellt sich nicht als Sexualobjekt auf, ist keine Hure, benutzt ihre Sexualität nicht als Waffe, ist keine Nutte, vögelt nicht blöd herum, ist keine Schlampe. Ihr Leben dreht sich nicht um die Sexualität – die Sexualität ist nur ein Teil ihres Lebens.

Gerade die klassische, androgyne oder mannhafte Emanze kann in ihrer Selbstbestimmung und Würde schön sein, und wenn sie sexuell attraktiv ist, dann ist sie auch attraktiv, wenn sie Mutter ist, ist sie auch Mutter, – all das, womit die missratenen Weiber versuchen, Männer zu bestechen, zu erpressen, auszubeuten und zu beherrschen, sind Schwerter, die die ehrenwerte Emanze zu Pflugscharen umgewandelt hat. Sie hat den Mann als Versorger nicht nötig, sie hat das Kind als Geisel nicht nötig. Also nein: das missratene Weib ist nicht die Emanze.



Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren

Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (13.03.23, 17:15)
Der Missratene ist nicht für die Wahrheit geschaffen.

Gruß
Ekki

 Terminator meinte dazu am 13.03.23 um 22:29:
Deshalb ist er in der Regel verlogen.

 AchterZwerg (31.03.23, 08:29)
Ob sich der Missratene wohl selbst berät? ;)

 harzgebirgler (24.05.23, 09:06)
"– Wer die Luft meiner Schriften zu atmen weiß, weiß, daß es eine Luft der Höhe ist, eine starke Luft. Man muß für sie geschaffen sein, sonst ist die Gefahr keine kleine, sich in ihr zu erkälten. Das Eis ist nahe, die Einsamkeit ist ungeheuer – aber wie ruhig alle Dinge im Lichte liegen! wie frei man atmet! wieviel man unter sich fühlt! – Philosophie, wie ich sie bisher verstanden und gelebt habe, ist das freiwillige Leben in Eis und Hochgebirge – das Aufsuchen alles Fremden und Fragwürdigen im Dasein, alles dessen, was durch die Moral bisher in Bann getan war. Aus einer langen Erfahrung, welche eine solche Wanderung im Verbotenen gab, lernte ich die Ursachen, aus denen bisher moralisiert und idealisiert wurde, sehr anders ansehn, als es erwünscht sein mag: die verborgene Geschichte der Philosophen, die Psychologie ihrer großen Namen kam für mich ans Licht. – Wieviel Wahrheit erträgt, wieviel Wahrheit wagt ein Geist? das wurde für mich immer mehr der eigentliche Wertmesser. Irrtum (– der Glaube ans Ideal –) ist nicht Blindheit, Irrtum ist Feigheit... Jede Errungenschaft, jeder Schritt vorwärts in der Erkenntnis folgt aus dem Mut, aus der Härte gegen sich, aus der Sauberkeit gegen sich... Ich widerlege die Ideale nicht, ich ziehe bloß Handschuhe vor ihnen an... Nitimur in vetitum: in diesem Zeichen siegt einmal meine Philosophie, denn man verbot bisher grundsätzlich immer nur die Wahrheit. –"
(http://www.zeno.org/Philosophie/M/Nietzsche,+Friedrich/Ecce+Homo/Vorwort)

 Dieter Wal (13.06.23, 01:39)
Ein Großvater wurde aus einem Nietzsche-Fanatiker zu einem NS-Fanatiker. Er konnte beide Weltbilder bestens miteinander verbinden. Der rechte Philosoph für Herrenmenschen.

 Terminator antwortete darauf am 13.06.23 um 02:01:
Nietzsche meint mit dem Übermenschen eine Möglichkeit für das Individuum. Der Nazi-Herrenmensch war ein Herdenmensch, der automatisch (qua Volkszugehörigkeit) zum Übermenschen erklärt wurde. Der heutige Feminismus/Political Correctness/Wokeismus sind näher bei den Nazis als es Nietzsche jemals sein könnte.
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram