Im Sommer bevor unser Haus einstürzte, fuhren wir mit dem Range Rover die Meeresflanke entlang. Zu viert sassen wir im klimatisierten Auto, während hinter der Scheibe die Luft flimmerte. Google Maps lotste uns zu den schillerndsten Stränden und Schluchten.
Unser Blut tropfte auf die Ledersitze. An der Brust war eine triefende Wunde, weil wir in jedes Messer rannten. Im Sommer bevor das Haus einfiel, waren alle sehr verliebt.
Und manchmal kam jemandem die Katzen unseres Biolehrers in den Sinn. Und die Schweineherzen. Er erzählt, dass er sie nach dem Sezieren seinen Haustieren verfüttert. Dass sie, schon wenn er zur Tür eintritt, die Herzen im Plastikbeutel, sich um ihn scharren, und sich vor Verlangen kaum halten können. Wie sie sich auf die festen Muskelwände stürzen, Löcher in das Fleisch fressen und sie zum Verschwinden bringen.
Das Meer war karibikwarm, wir verbrachten den ganzen Tag im Wasser, ohne dass unsere Körper abkühlten. Wir trieben im Meer unweit eines Quallenschwarms. Ein gallenartiger Teppich – sahen wir in den Nachrichten – bedeckte weite Teile der Oberfläche. Aber wir sahen keine der geisterhaften Geschöpfe im Wasser treiben.
Der Himmel trug die Farbe von Aperol Spritz.
Ein Krieg von vielen wurde ganz nah an uns ausgetragen. Manchmal meinten wir Artelleriebeschuss zu hören, aber es war nur der knatternde Motor eines Fahrzeugs.
Ab zu trugen wir Masken über den schwitzenden Gesichtern und manchmal wurde jemand krank und blieb es für lange Zeit. Eine Krankheit, die zurückkam in den merkwürdigsten Momenten und schildkrötenhafte Schnappatmung verursachte.
Jemand schaute aufs Wasser, als wir die Kurven schnitten und sagte: Das ist das Meer, in dem man Menschen ertrinken lässt.
Wir gaben die Schuld unseren Eltern, den Konzernen und den Flugzeugen. Wir schossen kleine Steine, die an der mediterranen Küste herumlagen in Richtung der Maschinen.
In diesem Sommer wussten wir noch nicht, dass das Haus einstürzen wird, aber wir ahnten es. Wir spekulierten. Manche sagten es wird noch etwas halten, anderen sahen schon die Balken einstürzen. Schon lange war es für baufällig erklärt worden.
Bevor wir ans Meer gefahren sind, gab es zuhause eine „der Wächter und der Wolf“ Situation. Die Geschichte, in der ein Junge aus Langeweile WOLF brüllt, obwohl das Tier nicht zu sehen ist. Solange, bis die Leute im Dorf ihm nicht mehr glauben und als tatsächlich ein Wolf durch das Tor gelangt und er wieder WOLF, EIN WOLF brüllt, glaubt ihm niemand mehr. Sie drehen sich im Schlaf, als das Tier die Schafe reisst und als es schliesslich auch den Jungen verspeist, schlagen sie die Decke über ein Bein.
Jemand hat nämlich bei uns im Haus Rauch aufsteigen sehen, ist hinübergerannt und hat geschrien: ES BRENNT, ES BRENNT. Aber wir haben ihn ausgelacht und gesagt: das ist nur der Dampf unseres Bügeleisens, der über unsere Kleider fährt.
Wir sahen alle Vorzeichen, aber wir wussten die Zeichen nicht immer zu deuten.
Im Radio sprachen sie von Bränden, die im bergigen Hinterland nicht unweit von unserem Strandabschnitt wüten sollten. Aber wir sahen keinen Rauch am Himmel, keine Asche im Wasser.
Ein gelbes Löschflugzeug ist eines Tages vor uns auf dem Meer gelandet, hat den Tank gefüllt und ist hinter den Berg geflogen. Kurze Zeit später ist es zurückgekehrt. Die Brände mussten ganz nah gewesen sein, obwohl wir keinen Rauch am Himmel sahen.
Abends tranken wir Sangria und Piña Colada, dann Energydrink und Gatorate gegen den Kater, gegen die pelzige Zunge und den pochenden Kopf.
Wir wussten noch nichts vom Klang, wenn das Hausdach einstürzt, wie das Feuer alles versengt, alles frisst und als Asche ausspuckt.
Und wir wussten nicht, wie sich Lungen voller Kohlenmonoxid anfüllen.
Stattdessen fuhren wir blutenden Herzens der Küste entlang und trieben im karibikwarmen Wasser.