vielleicht mäuse

Gedankengedicht

von  Redux

im anfang war es für mich hell und warm
ich hüpfte freudig in mein leben hinein

in den ersten jahren der kindheit

stand ich hinter dieser gläsernen wand

und konnte nicht hindurch blicken

in meiner welt gab es kleine spielzeugindiander

pfannkuchendüfte und prasselndes kaminfeuer

großväter mit hustenbonbons in den taschen

so etwas wie eine überdosis geborgenheit

weiße bettlaken auf wäscheleinen

die in warmen aprilwinden hin und her flatterten

endlose sommertage und schnee im winter

den man bejubelte wenn morgens

die rolladen hinaufgezogen wurden

hinter der wand wartete die riesige hebamme

ganz selten abends im bett hörte ich sie

wenn sie an der anderen seite leise kratzte

vielleicht waren es nur die mäuse

die oben auf dem boden wo das korn lagerte

fangen spielten

bald kamen dann tage an denen ich erwachte

mit zerfetzter nabelschnur



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Kommentare zu diesem Text


 minze (12.04.23, 07:32)
Das ist für mich sehr komplex, das Bild der Hebamme und Mutter und Mutter-Kind-Stein hier zu greifen. Ich werde dem gedanklich heute nachgehen. Allein diese Komplexität aufzuwerfen neben diesen sehr bekannten Bildern, ist interessant.

 Redux meinte dazu am 12.04.23 um 17:49:
Weißt du: es ist diese heile Welt, die natürlich nicht heil war, aber für das kleine Kind war sie so heil, wie sie nur sein konnte, bis das dieses Bild dann kippte, genau das wollte ich ausdrücken....

 minze antwortete darauf am 13.04.23 um 07:51:
ich finde - wenn ichs richtig erinnere - diese wendung mit dem schwein haben irgendwie passend, weil mir diese deftigen, ggf. alltäglichen/platten wendungen in deinen texten einfach nah und authentisch sind, von der logik her passt es für mich besser, weil es ein passives zuteilen von der rolle ist: es geht ja darum, wie es dem lyr. ich ergangen ist, was ihm halt zuteil wurde, indem, wie es im leben hingesetzt wurde gewisser maßen.

zu deiner erläuterung, redux, ja, das konnte ich erlesen. interessant finde ich diesen wendepunkt anhand der äußeren gewalt/einwirkung einer "hebamme" zu beschreiben. 
die hebamme erscheint irgendwie als äußere einwirkung, als eine gewalt, als eine vielleicht unnatürlich-einwirkende.
ich fands spannend, wie irritierend, dass die glaswand für mich sich als plazenta liest, die geborgene, heile welt noch im mutterleib, bis dann, von außen einwirkend, durch gewalt, das kind ins richtige leben hinausgerissen wird, und das als "geburt", als gewissermaßen, tatsächlichen schicksalhaften start ins leben.

und für mich steht dann sehr klar das fehlen der mutter oder die frage nach der mutter in diesem sinnbild zentral. als hätte die mutter mit dem kind eigentlich die geburt, den start, gestalten müssen, die mutter als anker, rahmen und geborgenheit im moment direkt nach der geburt bzw. als eigentlicher akteur des geburtsaktes mit dem kind ist so weg, dass hier eine große leerstelle für mich erfahrbar wird.
aber dieses fehlen und diese beziehungslosigkeit durch den beschriebenen charakter der geburt machen hier schon sinn.

so mal in kürze noch meine gedanken hinterher.

 A.Reditus (12.04.23, 07:37)
Ich finde es überwiegend gut, aber - nach meinem Geschmack! - leidet es am umgangssprachlichen Eingangsvers und dem allzu drastischen Ausgangsvers. Ich lese es einfach ohne diese beiden und dann gefällt es mir besser, wobei ich aus den Tagen im (für mich) letzten Vers auch nur einen machen möchte.

P.S.: Abgesehen davon, dass man den Rollladen heute mit drei "L" schreibt, worauf Du nachvollziehbar verzichtest, heißt der Plural "Rollläden". Aber nachdem Du auch auf Groß- und Kleinschreibung und jegliche Satzzeichen verzichtest, ist das vielleicht ähnlich absichtlich, wie die Verse zu Ein- und Ausgang.

 Redux schrieb daraufhin am 12.04.23 um 17:51:
Dein Kommmentar hat mich nachdenklich gemacht und ich muss dir letztendlich zustimmen. Ein - und ausgangs habe ich den Stil annähernd verfehlt. Sehr aufmerksam übrigens gelesen....

 AchterZwerg (12.04.23, 08:22)
Kann ich gut nachvollziehen.
Das Herausfallen aus einer Idylle ist vermutlich ebenso schwer wie das Verharren in einer (bekannten) Misere.
Die Elenden verfügen jedoch über mehr Kraft. Jedenfalls meistens.

 Redux äußerte darauf am 12.04.23 um 17:52:
Das hast du wunderbar formuliert, Deinen letzten Satz werden ich mir merken, lieber Zwerg....

 Oops (12.04.23, 13:39)
Die Metaphern: riesige Hebamme und zerfetzte Nabelschnur lassen mich wortlos zurück. Wenn etwas kaputt geht in der Kindheit hat das wohl auch mit Ängsten zu tun die das Kind nicht wirklich benennen kann. 
Beeindruckt Oops.

 Redux ergänzte dazu am 12.04.23 um 17:53:
Vielen Dank Oops. Das wird wohl so sein. das Kind fühlt es, aber kann nicht genau sagen, was es da empfindet

 Oops meinte dazu am 13.04.23 um 10:55:
Wenn es Alpträume waren, dann könnte man sie sich deuten lassen:(..ich meinte mit meinem Kommentar das Alter0-3 )

Viele gute Erinnerungen heben die schlechten auf:) . LG

 ginTon (12.04.23, 18:38)
in deinem Prosagedicht schwingt feine Poesie mit, deswegen ist es nur zu empfehlen, gefällt mir...

 Redux meinte dazu am 12.04.23 um 19:03:
Vielen Dank GinTon, eine glückliche Kindheit ist mit ein Grund dafür...
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